Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
ihn zurücklegte, scheint mehr geeignet, uns mit bescheidener De-
muth, als mit Stolz, zu erfüllen, und uns, indem wir das
Wenige, was uns nach so vieler Mühe von den großen Werken
der Natur zu wissen gegönnt ist, dankbar hinnehmen, durch diesen
unseren sogenannten Reichthum selbst an unsere Armuth und an
das Gefühl der Ohnmacht zu erinnern, welches der gewöhnliche
Begleiter des Menschen auf seiner Bahn zur Wahrheit ist. Wir
werden sehen, daß der menschliche Geist in dieser Wissenschaft in der
That weiter, als in allen anderen, vorgedrungen ist, daß aber
auch zugleich in keiner anderen das Verhältniß des Bekannten zu
dem Unbekannten so klein ist, als in eben dieser, und daß über-
haupt die schönsten und wichtigsten Entdeckungen, deren wir uns
rühmen, nur durch Zufall und auf Abwegen gemacht wurden,
auf welchen man, ganz andere Schätze suchend, und nicht findend,
Jahrhunderte lang ohne Rath und Steuer herumgeirrt ist.

Beinahe die vollen vier ersten Jahrtausende unserer soge-
nannten Weltgeschichte verblieb die Astronomie in ihrer ersten,
hilflosen Kindheit. Erst zwei Jahrhunderte vor dem Anfange der
christlichen Zeitrechnung unternahm sie, in der Alexandrinischen
Schule, unter dem Schutze der die Wissenschaften liebenden Pto-
lemäer, die ersten furchtsamen Schritte. Aber die darauf folgende
Uebermacht der Römer, welche diese Wissenschaft nie cultivirten,
und der gewaltsame Sturz ihres Reiches, der die ganze damals
bekannte Welt erschütterte, begrub auch sie unter den Trümmern,
die so lange Zeit nach jener Trauerepoche Kunst und Wissenschaft
und Bildung jeder Art bedeckten. Gleichsam zum Ersatze, oder
als eines jener sonderbaren Spiele der Natur, erhob sich, im
siebenten Jahrhundert, ein Nomadenvolk der Wüste, ein Volk von
Eroberern, die Araber, berühmt durch das kurze, aber weithin
schimmernde Glück ihrer Waffen, und nicht minder groß durch
den Schutz, dessen sich unter ihrer Aegide die Wissenschaften, und
vorzüglich die Königin derselben, die Astronomie, erfreute. Aber
wieder lagerte sich, mit dem Untergange dieses Heldenvolkes, eine
tiefe Nacht der Barbarei über den Erdball. Unwissenheit und
Aberglaube wurden das Losungswort der verwilderten Nationen.
Allgemeine Entartung der Sitten, abentheuerliche und unmensch-
liche Kriege, und ihr gewöhnliches Gefolge, stumpfe Ermattung,

Einleitung.
ihn zurücklegte, ſcheint mehr geeignet, uns mit beſcheidener De-
muth, als mit Stolz, zu erfüllen, und uns, indem wir das
Wenige, was uns nach ſo vieler Mühe von den großen Werken
der Natur zu wiſſen gegönnt iſt, dankbar hinnehmen, durch dieſen
unſeren ſogenannten Reichthum ſelbſt an unſere Armuth und an
das Gefühl der Ohnmacht zu erinnern, welches der gewöhnliche
Begleiter des Menſchen auf ſeiner Bahn zur Wahrheit iſt. Wir
werden ſehen, daß der menſchliche Geiſt in dieſer Wiſſenſchaft in der
That weiter, als in allen anderen, vorgedrungen iſt, daß aber
auch zugleich in keiner anderen das Verhältniß des Bekannten zu
dem Unbekannten ſo klein iſt, als in eben dieſer, und daß über-
haupt die ſchönſten und wichtigſten Entdeckungen, deren wir uns
rühmen, nur durch Zufall und auf Abwegen gemacht wurden,
auf welchen man, ganz andere Schätze ſuchend, und nicht findend,
Jahrhunderte lang ohne Rath und Steuer herumgeirrt iſt.

Beinahe die vollen vier erſten Jahrtauſende unſerer ſoge-
nannten Weltgeſchichte verblieb die Aſtronomie in ihrer erſten,
hilfloſen Kindheit. Erſt zwei Jahrhunderte vor dem Anfange der
chriſtlichen Zeitrechnung unternahm ſie, in der Alexandriniſchen
Schule, unter dem Schutze der die Wiſſenſchaften liebenden Pto-
lemäer, die erſten furchtſamen Schritte. Aber die darauf folgende
Uebermacht der Römer, welche dieſe Wiſſenſchaft nie cultivirten,
und der gewaltſame Sturz ihres Reiches, der die ganze damals
bekannte Welt erſchütterte, begrub auch ſie unter den Trümmern,
die ſo lange Zeit nach jener Trauerepoche Kunſt und Wiſſenſchaft
und Bildung jeder Art bedeckten. Gleichſam zum Erſatze, oder
als eines jener ſonderbaren Spiele der Natur, erhob ſich, im
ſiebenten Jahrhundert, ein Nomadenvolk der Wüſte, ein Volk von
Eroberern, die Araber, berühmt durch das kurze, aber weithin
ſchimmernde Glück ihrer Waffen, und nicht minder groß durch
den Schutz, deſſen ſich unter ihrer Aegide die Wiſſenſchaften, und
vorzüglich die Königin derſelben, die Aſtronomie, erfreute. Aber
wieder lagerte ſich, mit dem Untergange dieſes Heldenvolkes, eine
tiefe Nacht der Barbarei über den Erdball. Unwiſſenheit und
Aberglaube wurden das Loſungswort der verwilderten Nationen.
Allgemeine Entartung der Sitten, abentheuerliche und unmenſch-
liche Kriege, und ihr gewöhnliches Gefolge, ſtumpfe Ermattung,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0022" n="10"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
ihn zurücklegte, &#x017F;cheint mehr geeignet, uns mit be&#x017F;cheidener De-<lb/>
muth, als mit Stolz, zu erfüllen, und uns, indem wir das<lb/>
Wenige, was uns nach &#x017F;o vieler Mühe von den großen Werken<lb/>
der Natur zu wi&#x017F;&#x017F;en gegönnt i&#x017F;t, dankbar hinnehmen, durch die&#x017F;en<lb/>
un&#x017F;eren &#x017F;ogenannten Reichthum &#x017F;elb&#x017F;t an un&#x017F;ere Armuth und an<lb/>
das Gefühl der Ohnmacht zu erinnern, welches der gewöhnliche<lb/>
Begleiter des Men&#x017F;chen auf &#x017F;einer Bahn zur Wahrheit i&#x017F;t. Wir<lb/>
werden &#x017F;ehen, daß der men&#x017F;chliche Gei&#x017F;t in die&#x017F;er Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft in der<lb/>
That weiter, als in allen anderen, vorgedrungen i&#x017F;t, daß aber<lb/>
auch zugleich in keiner anderen das Verhältniß des Bekannten zu<lb/>
dem Unbekannten &#x017F;o klein i&#x017F;t, als in eben die&#x017F;er, und daß über-<lb/>
haupt die &#x017F;chön&#x017F;ten und wichtig&#x017F;ten Entdeckungen, deren wir uns<lb/>
rühmen, nur durch Zufall und auf Abwegen gemacht wurden,<lb/>
auf welchen man, ganz andere Schätze &#x017F;uchend, und nicht findend,<lb/>
Jahrhunderte lang ohne Rath und Steuer herumgeirrt i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Beinahe die vollen vier er&#x017F;ten Jahrtau&#x017F;ende un&#x017F;erer &#x017F;oge-<lb/>
nannten Weltge&#x017F;chichte verblieb die A&#x017F;tronomie in ihrer er&#x017F;ten,<lb/>
hilflo&#x017F;en Kindheit. Er&#x017F;t zwei Jahrhunderte vor dem Anfange der<lb/>
chri&#x017F;tlichen Zeitrechnung unternahm &#x017F;ie, in der Alexandrini&#x017F;chen<lb/>
Schule, unter dem Schutze der die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften liebenden Pto-<lb/>
lemäer, die er&#x017F;ten furcht&#x017F;amen Schritte. Aber die darauf folgende<lb/>
Uebermacht der Römer, welche die&#x017F;e Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft nie cultivirten,<lb/>
und der gewalt&#x017F;ame Sturz ihres Reiches, der die ganze damals<lb/>
bekannte Welt er&#x017F;chütterte, begrub auch &#x017F;ie unter den Trümmern,<lb/>
die &#x017F;o lange Zeit nach jener Trauerepoche Kun&#x017F;t und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft<lb/>
und Bildung jeder Art bedeckten. Gleich&#x017F;am zum Er&#x017F;atze, oder<lb/>
als eines jener &#x017F;onderbaren Spiele der Natur, erhob &#x017F;ich, im<lb/>
&#x017F;iebenten Jahrhundert, ein Nomadenvolk der Wü&#x017F;te, ein Volk von<lb/>
Eroberern, die Araber, berühmt durch das kurze, aber weithin<lb/>
&#x017F;chimmernde Glück ihrer Waffen, und nicht minder groß durch<lb/>
den Schutz, de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich unter ihrer Aegide die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, und<lb/>
vorzüglich die Königin der&#x017F;elben, die A&#x017F;tronomie, erfreute. Aber<lb/>
wieder lagerte &#x017F;ich, mit dem Untergange die&#x017F;es Heldenvolkes, eine<lb/>
tiefe Nacht der Barbarei über den Erdball. Unwi&#x017F;&#x017F;enheit und<lb/>
Aberglaube wurden das Lo&#x017F;ungswort der verwilderten Nationen.<lb/>
Allgemeine Entartung der Sitten, abentheuerliche und unmen&#x017F;ch-<lb/>
liche Kriege, und ihr gewöhnliches Gefolge, &#x017F;tumpfe Ermattung,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0022] Einleitung. ihn zurücklegte, ſcheint mehr geeignet, uns mit beſcheidener De- muth, als mit Stolz, zu erfüllen, und uns, indem wir das Wenige, was uns nach ſo vieler Mühe von den großen Werken der Natur zu wiſſen gegönnt iſt, dankbar hinnehmen, durch dieſen unſeren ſogenannten Reichthum ſelbſt an unſere Armuth und an das Gefühl der Ohnmacht zu erinnern, welches der gewöhnliche Begleiter des Menſchen auf ſeiner Bahn zur Wahrheit iſt. Wir werden ſehen, daß der menſchliche Geiſt in dieſer Wiſſenſchaft in der That weiter, als in allen anderen, vorgedrungen iſt, daß aber auch zugleich in keiner anderen das Verhältniß des Bekannten zu dem Unbekannten ſo klein iſt, als in eben dieſer, und daß über- haupt die ſchönſten und wichtigſten Entdeckungen, deren wir uns rühmen, nur durch Zufall und auf Abwegen gemacht wurden, auf welchen man, ganz andere Schätze ſuchend, und nicht findend, Jahrhunderte lang ohne Rath und Steuer herumgeirrt iſt. Beinahe die vollen vier erſten Jahrtauſende unſerer ſoge- nannten Weltgeſchichte verblieb die Aſtronomie in ihrer erſten, hilfloſen Kindheit. Erſt zwei Jahrhunderte vor dem Anfange der chriſtlichen Zeitrechnung unternahm ſie, in der Alexandriniſchen Schule, unter dem Schutze der die Wiſſenſchaften liebenden Pto- lemäer, die erſten furchtſamen Schritte. Aber die darauf folgende Uebermacht der Römer, welche dieſe Wiſſenſchaft nie cultivirten, und der gewaltſame Sturz ihres Reiches, der die ganze damals bekannte Welt erſchütterte, begrub auch ſie unter den Trümmern, die ſo lange Zeit nach jener Trauerepoche Kunſt und Wiſſenſchaft und Bildung jeder Art bedeckten. Gleichſam zum Erſatze, oder als eines jener ſonderbaren Spiele der Natur, erhob ſich, im ſiebenten Jahrhundert, ein Nomadenvolk der Wüſte, ein Volk von Eroberern, die Araber, berühmt durch das kurze, aber weithin ſchimmernde Glück ihrer Waffen, und nicht minder groß durch den Schutz, deſſen ſich unter ihrer Aegide die Wiſſenſchaften, und vorzüglich die Königin derſelben, die Aſtronomie, erfreute. Aber wieder lagerte ſich, mit dem Untergange dieſes Heldenvolkes, eine tiefe Nacht der Barbarei über den Erdball. Unwiſſenheit und Aberglaube wurden das Loſungswort der verwilderten Nationen. Allgemeine Entartung der Sitten, abentheuerliche und unmenſch- liche Kriege, und ihr gewöhnliches Gefolge, ſtumpfe Ermattung,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/22
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/22>, abgerufen am 19.04.2024.