Parallaxen u. Entfernungen d. Gestirne von d. Erde.
seiner an das Entsetzliche gränzenden Geschwindigkeit, erst in Jahrtausenden bis zu uns gelangt, so daß zur Zeit unseres Moses oder Alexanders am Himmel totale Veränderungen vor- gegangen seyn können, von welchen wir, die wir ihn noch immer unverändert sehen, keine Kunde haben, weil der Bote, der sie uns bringen soll, weil das Licht seitdem noch nicht Zeit gehabt hat, aus jenem Raume bis zu uns zu gelangen.
§. 71. (Wahre Größe der Fixsterne.) Da wir über die Ent- fernung der Fixsterne keine nähere Kenntniß haben, so bleiben wir auch über die wahre Größe dieser Himmelskörper in Ungewißheit. Diese Ungewißheit wird noch dadurch vermehrt, daß wir die schein- bare Größe derselben oder die Winkel, welche ihre Durchmesser in unserem Auge bilden, wegen der ungemeinen Kleinheit dieser Win- kel, nicht mehr mit Zuverläßigkeit angeben können. Zwar erschei- nen Sirius, die Ziege, die Leier und andere Gestirne der ersten Größe mit ihrem lebhaften Lichte dem freien Auge noch immer von nicht unbeträchtlicher Größe, aber dieses scintillirende Licht, welches sie ringsum umgibt, ist nicht der Kern, der eigentliche Körper des Sterns, sondern nur ein nach allen Seiten überfließen- des, parasitisches Licht, dessen Ursprung nicht sowohl in dem Stern, als vielmehr in der Unvollkommenheit unseres Auges zu suchen ist, daher denn auch im Allgemeinen die Fixsterne immer kleiner, immer mehr als eigentliche Punkte erscheinen, je vollkommener das Fernrohr ist, durch welches man sie betrachtet.
Da übrigens der wahre Halbmesser eines jeden kugelförmig gebauten Gestirns gleich ist dem Produkte der Entfernung desselben von der Erde in dem Sinus des scheinbaren Halbmessers des Ge- stirns, so würde es leicht seyn, die wahre Größe derselben anzu- geben, wenn man ihre scheinbare Größe und ihre Entfernungen als bekannt voraussetzen könnte. So will z. B. der ältere Her- schel den scheinbaren Halbmesser des schönen Sterns in der Leier, der unter dem Namen Wega bekannt ist, gleich 1/6 einer Secunde gefunden haben. Nimmt man die Entfernung desselben gleich einer Sternweite oder gleich 200.000 Erdweiten, oder seine jährliche Parallaxe gleich einer Secunde an, so folgt daraus, daß sein wah- rer Halbmesser gleich 0,16 Erdweiten oder, da eine Erdweite 214 Sonnenhalbmesser beträgt, gleich 34 Sonnenhalbmesser ist, so daß
Parallaxen u. Entfernungen d. Geſtirne von d. Erde.
ſeiner an das Entſetzliche gränzenden Geſchwindigkeit, erſt in Jahrtauſenden bis zu uns gelangt, ſo daß zur Zeit unſeres Moſes oder Alexanders am Himmel totale Veränderungen vor- gegangen ſeyn können, von welchen wir, die wir ihn noch immer unverändert ſehen, keine Kunde haben, weil der Bote, der ſie uns bringen ſoll, weil das Licht ſeitdem noch nicht Zeit gehabt hat, aus jenem Raume bis zu uns zu gelangen.
§. 71. (Wahre Größe der Fixſterne.) Da wir über die Ent- fernung der Fixſterne keine nähere Kenntniß haben, ſo bleiben wir auch über die wahre Größe dieſer Himmelskörper in Ungewißheit. Dieſe Ungewißheit wird noch dadurch vermehrt, daß wir die ſchein- bare Größe derſelben oder die Winkel, welche ihre Durchmeſſer in unſerem Auge bilden, wegen der ungemeinen Kleinheit dieſer Win- kel, nicht mehr mit Zuverläßigkeit angeben können. Zwar erſchei- nen Sirius, die Ziege, die Leier und andere Geſtirne der erſten Größe mit ihrem lebhaften Lichte dem freien Auge noch immer von nicht unbeträchtlicher Größe, aber dieſes ſcintillirende Licht, welches ſie ringsum umgibt, iſt nicht der Kern, der eigentliche Körper des Sterns, ſondern nur ein nach allen Seiten überfließen- des, paraſitiſches Licht, deſſen Urſprung nicht ſowohl in dem Stern, als vielmehr in der Unvollkommenheit unſeres Auges zu ſuchen iſt, daher denn auch im Allgemeinen die Fixſterne immer kleiner, immer mehr als eigentliche Punkte erſcheinen, je vollkommener das Fernrohr iſt, durch welches man ſie betrachtet.
Da übrigens der wahre Halbmeſſer eines jeden kugelförmig gebauten Geſtirns gleich iſt dem Produkte der Entfernung deſſelben von der Erde in dem Sinus des ſcheinbaren Halbmeſſers des Ge- ſtirns, ſo würde es leicht ſeyn, die wahre Größe derſelben anzu- geben, wenn man ihre ſcheinbare Größe und ihre Entfernungen als bekannt vorausſetzen könnte. So will z. B. der ältere Her- ſchel den ſcheinbaren Halbmeſſer des ſchönen Sterns in der Leier, der unter dem Namen Wega bekannt iſt, gleich ⅙ einer Secunde gefunden haben. Nimmt man die Entfernung deſſelben gleich einer Sternweite oder gleich 200.000 Erdweiten, oder ſeine jährliche Parallaxe gleich einer Secunde an, ſo folgt daraus, daß ſein wah- rer Halbmeſſer gleich 0,16 Erdweiten oder, da eine Erdweite 214 Sonnenhalbmeſſer beträgt, gleich 34 Sonnenhalbmeſſer iſt, ſo daß
<TEI><text><body><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0176"n="164"/><fwplace="top"type="header">Parallaxen u. Entfernungen d. Geſtirne von d. Erde.</fw><lb/>ſeiner an das Entſetzliche gränzenden Geſchwindigkeit, erſt in<lb/>
Jahrtauſenden bis zu uns gelangt, ſo daß zur Zeit unſeres<lb/>
Moſes oder Alexanders am Himmel totale Veränderungen vor-<lb/>
gegangen ſeyn können, von welchen wir, die wir ihn noch immer<lb/>
unverändert ſehen, keine Kunde haben, weil der Bote, der ſie uns<lb/>
bringen ſoll, weil das Licht ſeitdem noch nicht Zeit gehabt hat,<lb/>
aus jenem Raume bis zu uns zu gelangen.</p><lb/><p>§. 71. (Wahre Größe der Fixſterne.) Da wir über die Ent-<lb/>
fernung der Fixſterne keine nähere Kenntniß haben, ſo bleiben wir<lb/>
auch über die wahre Größe dieſer Himmelskörper in Ungewißheit.<lb/>
Dieſe Ungewißheit wird noch dadurch vermehrt, daß wir die ſchein-<lb/>
bare Größe derſelben oder die Winkel, welche ihre Durchmeſſer in<lb/>
unſerem Auge bilden, wegen der ungemeinen Kleinheit dieſer Win-<lb/>
kel, nicht mehr mit Zuverläßigkeit angeben können. Zwar erſchei-<lb/>
nen Sirius, die Ziege, die Leier und andere Geſtirne der erſten<lb/>
Größe mit ihrem lebhaften Lichte dem freien Auge noch immer<lb/>
von nicht unbeträchtlicher Größe, aber dieſes ſcintillirende Licht,<lb/>
welches ſie ringsum umgibt, iſt nicht der Kern, der eigentliche<lb/>
Körper des Sterns, ſondern nur ein nach allen Seiten überfließen-<lb/>
des, paraſitiſches Licht, deſſen Urſprung nicht ſowohl in dem Stern,<lb/>
als vielmehr in der Unvollkommenheit unſeres Auges zu ſuchen<lb/>
iſt, daher denn auch im Allgemeinen die Fixſterne immer kleiner,<lb/>
immer mehr als eigentliche Punkte erſcheinen, je vollkommener<lb/>
das Fernrohr iſt, durch welches man ſie betrachtet.</p><lb/><p>Da übrigens der wahre Halbmeſſer eines jeden kugelförmig<lb/>
gebauten Geſtirns gleich iſt dem Produkte der Entfernung deſſelben<lb/>
von der Erde in dem Sinus des ſcheinbaren Halbmeſſers des Ge-<lb/>ſtirns, ſo würde es leicht ſeyn, die wahre Größe derſelben anzu-<lb/>
geben, wenn man ihre ſcheinbare Größe und ihre Entfernungen<lb/>
als bekannt vorausſetzen könnte. So will z. B. der ältere Her-<lb/>ſchel den ſcheinbaren Halbmeſſer des ſchönen Sterns in der Leier,<lb/>
der unter dem Namen <hirendition="#aq">Wega</hi> bekannt iſt, gleich ⅙ einer Secunde<lb/>
gefunden haben. Nimmt man die Entfernung deſſelben gleich einer<lb/>
Sternweite oder gleich 200.000 Erdweiten, oder ſeine jährliche<lb/>
Parallaxe gleich einer Secunde an, ſo folgt daraus, daß ſein wah-<lb/>
rer Halbmeſſer gleich 0,<hirendition="#sub">16</hi> Erdweiten oder, da eine Erdweite 214<lb/>
Sonnenhalbmeſſer beträgt, gleich 34 Sonnenhalbmeſſer iſt, ſo daß<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[164/0176]
Parallaxen u. Entfernungen d. Geſtirne von d. Erde.
ſeiner an das Entſetzliche gränzenden Geſchwindigkeit, erſt in
Jahrtauſenden bis zu uns gelangt, ſo daß zur Zeit unſeres
Moſes oder Alexanders am Himmel totale Veränderungen vor-
gegangen ſeyn können, von welchen wir, die wir ihn noch immer
unverändert ſehen, keine Kunde haben, weil der Bote, der ſie uns
bringen ſoll, weil das Licht ſeitdem noch nicht Zeit gehabt hat,
aus jenem Raume bis zu uns zu gelangen.
§. 71. (Wahre Größe der Fixſterne.) Da wir über die Ent-
fernung der Fixſterne keine nähere Kenntniß haben, ſo bleiben wir
auch über die wahre Größe dieſer Himmelskörper in Ungewißheit.
Dieſe Ungewißheit wird noch dadurch vermehrt, daß wir die ſchein-
bare Größe derſelben oder die Winkel, welche ihre Durchmeſſer in
unſerem Auge bilden, wegen der ungemeinen Kleinheit dieſer Win-
kel, nicht mehr mit Zuverläßigkeit angeben können. Zwar erſchei-
nen Sirius, die Ziege, die Leier und andere Geſtirne der erſten
Größe mit ihrem lebhaften Lichte dem freien Auge noch immer
von nicht unbeträchtlicher Größe, aber dieſes ſcintillirende Licht,
welches ſie ringsum umgibt, iſt nicht der Kern, der eigentliche
Körper des Sterns, ſondern nur ein nach allen Seiten überfließen-
des, paraſitiſches Licht, deſſen Urſprung nicht ſowohl in dem Stern,
als vielmehr in der Unvollkommenheit unſeres Auges zu ſuchen
iſt, daher denn auch im Allgemeinen die Fixſterne immer kleiner,
immer mehr als eigentliche Punkte erſcheinen, je vollkommener
das Fernrohr iſt, durch welches man ſie betrachtet.
Da übrigens der wahre Halbmeſſer eines jeden kugelförmig
gebauten Geſtirns gleich iſt dem Produkte der Entfernung deſſelben
von der Erde in dem Sinus des ſcheinbaren Halbmeſſers des Ge-
ſtirns, ſo würde es leicht ſeyn, die wahre Größe derſelben anzu-
geben, wenn man ihre ſcheinbare Größe und ihre Entfernungen
als bekannt vorausſetzen könnte. So will z. B. der ältere Her-
ſchel den ſcheinbaren Halbmeſſer des ſchönen Sterns in der Leier,
der unter dem Namen Wega bekannt iſt, gleich ⅙ einer Secunde
gefunden haben. Nimmt man die Entfernung deſſelben gleich einer
Sternweite oder gleich 200.000 Erdweiten, oder ſeine jährliche
Parallaxe gleich einer Secunde an, ſo folgt daraus, daß ſein wah-
rer Halbmeſſer gleich 0,16 Erdweiten oder, da eine Erdweite 214
Sonnenhalbmeſſer beträgt, gleich 34 Sonnenhalbmeſſer iſt, ſo daß
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/176>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.