Das älteste und das einfachste dieser Instrumente war ohne Zweifel der Gnomon, der in einer bloßen Säule 0 der in einem geradlinigen Stabe bestand, den man vertical auf einer horizon- talen Ebene aufstellte. Aus dem Schatten, den der Gnomon, wenn er von der Sonne beschienen wurde, auf seine Ebene warf, suchte man die Höhe der Sonne über dieser horizontalen Ebene abzuleiten.
Um dieß besser zu übersehen, sey CD (Fig. 6) die Höhe des verticalen Gnomons z. B. von 30 Fuß und DB die Länge seines horizontalen Schattens von 15 Fuß. Verbindet man die beiden äußersten Punkte C und B des Gnomons und des Schattens durch die gerade Linie BC, so erhält man ein geradliniges, in D rechtwinkliges Dreieck BCD, und es wird nun darauf ankommen, die Größe des Winkels B dieses Dreiecks zu bestimmen. Denn dieser Winkel ist der gesuchten Höhe der Sonne gleich, weil ein Auge in B den Mittelpunkt der Sonne in der Richtung der Linie BC, also in der Höhe DBC über der horizontalen Linie BD sehen würde.
I. Aufgaben dieser Art gehören in die sogenannte ebene Trigonometrie, die einen interessanten Theil der Geometrie ausmacht, und die uns lehrt, wie man, wenn von den Seiten und Winkeln eines Dreiecks drei Stücke gegeben sind, die andern drei durch Rechnung finden kann. So sind hier zwei Seiten mit dem von ihnen eingeschlossenen rechten Winkel gegeben, und der einer dieser Seiten gegenüberstehende Winkel zu finden. Da es gegen unsere Absicht ist, diese Lehren der Trigonometrie hier vorzutra- gen, oder sie bei unsern Lesern als schon bekannt vorauszusetzen, so wollen wir ein anderes Mittel angeben, Dreiecke dieser Art auch ohne jene Kenntnisse aufzulösen.
Man sieht leicht, daß der gesuchte Winkel auch in jedem an- dern, selbst viel kleinern, rechtwinkligen Dreiecke dieselbe Größe, d. h. dieselbe Anzahl von Graden haben werde, wenn nur das Verhältniß der beiden gegebenen Seiten CD und BD in dem kleinern Dreiecke dasselbe wie in dem großen ist. In dem Dreiecke des Gnomons ist aber dieses Verhältniß gleich dem der beiden Zahlen 30 zu 15 oder einfacher gleich 2 zu 1. Man verzeichne sich also auf irgend einer Ebene, z. B. auf der des Papiers, zwei
Jährliche Bewegung der Sonne.
Das älteſte und das einfachſte dieſer Inſtrumente war ohne Zweifel der Gnomon, der in einer bloßen Säule 0 der in einem geradlinigen Stabe beſtand, den man vertical auf einer horizon- talen Ebene aufſtellte. Aus dem Schatten, den der Gnomon, wenn er von der Sonne beſchienen wurde, auf ſeine Ebene warf, ſuchte man die Höhe der Sonne über dieſer horizontalen Ebene abzuleiten.
Um dieß beſſer zu überſehen, ſey CD (Fig. 6) die Höhe des verticalen Gnomons z. B. von 30 Fuß und DB die Länge ſeines horizontalen Schattens von 15 Fuß. Verbindet man die beiden äußerſten Punkte C und B des Gnomons und des Schattens durch die gerade Linie BC, ſo erhält man ein geradliniges, in D rechtwinkliges Dreieck BCD, und es wird nun darauf ankommen, die Größe des Winkels B dieſes Dreiecks zu beſtimmen. Denn dieſer Winkel iſt der geſuchten Höhe der Sonne gleich, weil ein Auge in B den Mittelpunkt der Sonne in der Richtung der Linie BC, alſo in der Höhe DBC über der horizontalen Linie BD ſehen würde.
I. Aufgaben dieſer Art gehören in die ſogenannte ebene Trigonometrie, die einen intereſſanten Theil der Geometrie ausmacht, und die uns lehrt, wie man, wenn von den Seiten und Winkeln eines Dreiecks drei Stücke gegeben ſind, die andern drei durch Rechnung finden kann. So ſind hier zwei Seiten mit dem von ihnen eingeſchloſſenen rechten Winkel gegeben, und der einer dieſer Seiten gegenüberſtehende Winkel zu finden. Da es gegen unſere Abſicht iſt, dieſe Lehren der Trigonometrie hier vorzutra- gen, oder ſie bei unſern Leſern als ſchon bekannt vorauszuſetzen, ſo wollen wir ein anderes Mittel angeben, Dreiecke dieſer Art auch ohne jene Kenntniſſe aufzulöſen.
Man ſieht leicht, daß der geſuchte Winkel auch in jedem an- dern, ſelbſt viel kleinern, rechtwinkligen Dreiecke dieſelbe Größe, d. h. dieſelbe Anzahl von Graden haben werde, wenn nur das Verhältniß der beiden gegebenen Seiten CD und BD in dem kleinern Dreiecke daſſelbe wie in dem großen iſt. In dem Dreiecke des Gnomons iſt aber dieſes Verhältniß gleich dem der beiden Zahlen 30 zu 15 oder einfacher gleich 2 zu 1. Man verzeichne ſich alſo auf irgend einer Ebene, z. B. auf der des Papiers, zwei
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Jährliche Bewegung der Sonne.
Das älteſte und das einfachſte dieſer Inſtrumente war ohne
Zweifel der Gnomon, der in einer bloßen Säule 0 der in einem
geradlinigen Stabe beſtand, den man vertical auf einer horizon-
talen Ebene aufſtellte. Aus dem Schatten, den der Gnomon,
wenn er von der Sonne beſchienen wurde, auf ſeine Ebene warf,
ſuchte man die Höhe der Sonne über dieſer horizontalen Ebene
abzuleiten.
Um dieß beſſer zu überſehen, ſey CD (Fig. 6) die Höhe des
verticalen Gnomons z. B. von 30 Fuß und DB die Länge ſeines
horizontalen Schattens von 15 Fuß. Verbindet man die beiden
äußerſten Punkte C und B des Gnomons und des Schattens
durch die gerade Linie BC, ſo erhält man ein geradliniges, in D
rechtwinkliges Dreieck BCD, und es wird nun darauf ankommen,
die Größe des Winkels B dieſes Dreiecks zu beſtimmen. Denn
dieſer Winkel iſt der geſuchten Höhe der Sonne gleich, weil ein
Auge in B den Mittelpunkt der Sonne in der Richtung der Linie
BC, alſo in der Höhe DBC über der horizontalen Linie BD ſehen
würde.
I. Aufgaben dieſer Art gehören in die ſogenannte ebene
Trigonometrie, die einen intereſſanten Theil der Geometrie
ausmacht, und die uns lehrt, wie man, wenn von den Seiten und
Winkeln eines Dreiecks drei Stücke gegeben ſind, die andern drei
durch Rechnung finden kann. So ſind hier zwei Seiten mit dem
von ihnen eingeſchloſſenen rechten Winkel gegeben, und der einer
dieſer Seiten gegenüberſtehende Winkel zu finden. Da es gegen
unſere Abſicht iſt, dieſe Lehren der Trigonometrie hier vorzutra-
gen, oder ſie bei unſern Leſern als ſchon bekannt vorauszuſetzen,
ſo wollen wir ein anderes Mittel angeben, Dreiecke dieſer Art
auch ohne jene Kenntniſſe aufzulöſen.
Man ſieht leicht, daß der geſuchte Winkel auch in jedem an-
dern, ſelbſt viel kleinern, rechtwinkligen Dreiecke dieſelbe Größe,
d. h. dieſelbe Anzahl von Graden haben werde, wenn nur das
Verhältniß der beiden gegebenen Seiten CD und BD in dem
kleinern Dreiecke daſſelbe wie in dem großen iſt. In dem Dreiecke
des Gnomons iſt aber dieſes Verhältniß gleich dem der beiden
Zahlen 30 zu 15 oder einfacher gleich 2 zu 1. Man verzeichne
ſich alſo auf irgend einer Ebene, z. B. auf der des Papiers, zwei
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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/122>, abgerufen am 06.07.2024.
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