Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Tägliche Bewegung der Erde.
Thiere gibt, die ebenfalls, wie wir, auf ihren Füßen, und nicht
auf ihren Köpfen gehen, obschon diese ihre Füße gegen die unse-
ren, also in der Sprache jenes Einwurfs zu reden, aufwärts ge-
richtet sind. Da aber die Existenz der Antipoden durch unsere
Reisen um die Welt über alle Zweifel erhoben ist, so ist auch die
Möglichkeit eines solchen sogenannten aufrechten Standes derselben
schon unmittelbar durch die Wirklichkeit dieses Standes erwiesen.
Die Bewohner der Insel Sumatra in Ostindien sind denen der
Stadt Quito in Süd-Amerika gerade entgegengesetzt, so daß eine
gerade Linie, durch sie gezogen, durch den Mittelpunkt der Erde
geht, und daß sie sich, wenn die Erde immer kleiner würde, end-
lich mit ihren Fußsohlen berühren würden. Die Sterne, die der
eine gerade über sich, in seinem Scheitelpunkte sieht, werden für
den anderen unsichtbar seyn, weil sie in seinem Fußpunkte stehen,
und von der Erde verdeckt sind. Aber nach zwölf Stunden wird
umgekehrt jener dieselben Sterne in seinem Fußpunkte haben, und
dieser sie über seinem Scheitel sehen. Beide stehen also in der
That in einander ganz entgegengesetzten Lagen, und beide gehen
doch den Kopf aufwärts, mit ihren Füßen auf der Erde, wie alle
jene Seefahrer erzählten, und wie sie es auch an sich selbst erfah-
ren haben, wenn sie die Gegenden betreten, die denjenigen, von
welchen sie mit ihren Schiffen ausgefahren sind, gerade entgegen
liegen. Wer dieß läugnen wollte, müßte auch zugleich läugnen
wollen, daß je ein Schiff diese Reise um die Welt gemacht habe.

In der That stehen auch unsere Antipoden mit ihren Füßen
gegen uns, aber sie stehen dessenungeachtet aufwärts so wie wir.
Denn was nennen wir aufrecht stehen? Doch wohl: mit den
Füßen gegen die Erde, und mit dem Kopf gegen den Himmel gerichtet
seyn? -- Nun wohl, ganz ebenso stehen ja unsere Antipoden auch,
so wie wir selbst. Für uns ist oben was weiter von der Erde,
und unten was näher bei der Erde ist, und ganz ebenso werden
diese Worte auch von unseren Antipoden verstanden, denn auch sie
glauben ohne Zweifel, daß sie den Kopf über den Füßen tragen,
weil er auch bei ihnen weiter als diese von der Erde weggekehrt,
weil er auch bei ihnen, wie bei uns, gegen den Himmel gewendet
ist. Der Regen fällt für sie ganz ebenso von d nach D (Fig. 1)
nämlich vom Himmel zur Erde herab, wie er bei uns von a nach

Tägliche Bewegung der Erde.
Thiere gibt, die ebenfalls, wie wir, auf ihren Füßen, und nicht
auf ihren Köpfen gehen, obſchon dieſe ihre Füße gegen die unſe-
ren, alſo in der Sprache jenes Einwurfs zu reden, aufwärts ge-
richtet ſind. Da aber die Exiſtenz der Antipoden durch unſere
Reiſen um die Welt über alle Zweifel erhoben iſt, ſo iſt auch die
Möglichkeit eines ſolchen ſogenannten aufrechten Standes derſelben
ſchon unmittelbar durch die Wirklichkeit dieſes Standes erwieſen.
Die Bewohner der Inſel Sumatra in Oſtindien ſind denen der
Stadt Quito in Süd-Amerika gerade entgegengeſetzt, ſo daß eine
gerade Linie, durch ſie gezogen, durch den Mittelpunkt der Erde
geht, und daß ſie ſich, wenn die Erde immer kleiner würde, end-
lich mit ihren Fußſohlen berühren würden. Die Sterne, die der
eine gerade über ſich, in ſeinem Scheitelpunkte ſieht, werden für
den anderen unſichtbar ſeyn, weil ſie in ſeinem Fußpunkte ſtehen,
und von der Erde verdeckt ſind. Aber nach zwölf Stunden wird
umgekehrt jener dieſelben Sterne in ſeinem Fußpunkte haben, und
dieſer ſie über ſeinem Scheitel ſehen. Beide ſtehen alſo in der
That in einander ganz entgegengeſetzten Lagen, und beide gehen
doch den Kopf aufwärts, mit ihren Füßen auf der Erde, wie alle
jene Seefahrer erzählten, und wie ſie es auch an ſich ſelbſt erfah-
ren haben, wenn ſie die Gegenden betreten, die denjenigen, von
welchen ſie mit ihren Schiffen ausgefahren ſind, gerade entgegen
liegen. Wer dieß läugnen wollte, müßte auch zugleich läugnen
wollen, daß je ein Schiff dieſe Reiſe um die Welt gemacht habe.

In der That ſtehen auch unſere Antipoden mit ihren Füßen
gegen uns, aber ſie ſtehen deſſenungeachtet aufwärts ſo wie wir.
Denn was nennen wir aufrecht ſtehen? Doch wohl: mit den
Füßen gegen die Erde, und mit dem Kopf gegen den Himmel gerichtet
ſeyn? — Nun wohl, ganz ebenſo ſtehen ja unſere Antipoden auch,
ſo wie wir ſelbſt. Für uns iſt oben was weiter von der Erde,
und unten was näher bei der Erde iſt, und ganz ebenſo werden
dieſe Worte auch von unſeren Antipoden verſtanden, denn auch ſie
glauben ohne Zweifel, daß ſie den Kopf über den Füßen tragen,
weil er auch bei ihnen weiter als dieſe von der Erde weggekehrt,
weil er auch bei ihnen, wie bei uns, gegen den Himmel gewendet
iſt. Der Regen fällt für ſie ganz ebenſo von d nach D (Fig. 1)
nämlich vom Himmel zur Erde herab, wie er bei uns von a nach

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <p><pb facs="#f0105" n="93"/><fw place="top" type="header">Tägliche Bewegung der Erde.</fw><lb/>
Thiere gibt, die ebenfalls, wie wir, auf ihren Füßen, und nicht<lb/>
auf ihren Köpfen gehen, ob&#x017F;chon die&#x017F;e ihre Füße gegen die un&#x017F;e-<lb/>
ren, al&#x017F;o in der Sprache jenes Einwurfs zu reden, aufwärts ge-<lb/>
richtet &#x017F;ind. Da aber die Exi&#x017F;tenz der Antipoden durch un&#x017F;ere<lb/>
Rei&#x017F;en um die Welt über alle Zweifel erhoben i&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t auch die<lb/>
Möglichkeit eines &#x017F;olchen &#x017F;ogenannten aufrechten Standes der&#x017F;elben<lb/>
&#x017F;chon unmittelbar durch die Wirklichkeit die&#x017F;es Standes erwie&#x017F;en.<lb/>
Die Bewohner der In&#x017F;el <hi rendition="#aq">Sumatra</hi> in O&#x017F;tindien &#x017F;ind denen der<lb/>
Stadt <hi rendition="#aq">Quito</hi> in Süd-Amerika gerade entgegenge&#x017F;etzt, &#x017F;o daß eine<lb/>
gerade Linie, durch &#x017F;ie gezogen, durch den Mittelpunkt der Erde<lb/>
geht, und daß &#x017F;ie &#x017F;ich, wenn die Erde immer kleiner würde, end-<lb/>
lich mit ihren Fuß&#x017F;ohlen berühren würden. Die Sterne, die der<lb/>
eine gerade über &#x017F;ich, in &#x017F;einem Scheitelpunkte &#x017F;ieht, werden für<lb/>
den anderen un&#x017F;ichtbar &#x017F;eyn, weil &#x017F;ie in &#x017F;einem Fußpunkte &#x017F;tehen,<lb/>
und von der Erde verdeckt &#x017F;ind. Aber nach zwölf Stunden wird<lb/>
umgekehrt jener die&#x017F;elben Sterne in &#x017F;einem Fußpunkte haben, und<lb/>
die&#x017F;er &#x017F;ie über &#x017F;einem Scheitel &#x017F;ehen. Beide &#x017F;tehen al&#x017F;o in der<lb/>
That in einander ganz entgegenge&#x017F;etzten Lagen, und beide gehen<lb/>
doch den Kopf aufwärts, mit ihren Füßen auf der Erde, wie alle<lb/>
jene Seefahrer erzählten, und wie &#x017F;ie es auch an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t erfah-<lb/>
ren haben, wenn &#x017F;ie die Gegenden betreten, die denjenigen, von<lb/>
welchen &#x017F;ie mit ihren Schiffen ausgefahren &#x017F;ind, gerade entgegen<lb/>
liegen. Wer dieß läugnen wollte, müßte auch zugleich läugnen<lb/>
wollen, daß je ein Schiff die&#x017F;e Rei&#x017F;e um die Welt gemacht habe.</p><lb/>
          <p>In der That &#x017F;tehen auch un&#x017F;ere Antipoden mit ihren Füßen<lb/>
gegen uns, aber &#x017F;ie &#x017F;tehen de&#x017F;&#x017F;enungeachtet <hi rendition="#g">aufwärts</hi> &#x017F;o wie wir.<lb/>
Denn was nennen wir <hi rendition="#g">aufrecht &#x017F;tehen</hi>? Doch wohl: mit den<lb/>
Füßen gegen die Erde, und mit dem Kopf gegen den Himmel gerichtet<lb/>
&#x017F;eyn? &#x2014; Nun wohl, ganz eben&#x017F;o &#x017F;tehen ja un&#x017F;ere Antipoden auch,<lb/>
&#x017F;o wie wir &#x017F;elb&#x017F;t. Für uns i&#x017F;t <hi rendition="#g">oben</hi> was weiter von der Erde,<lb/>
und <hi rendition="#g">unten</hi> was näher bei der Erde i&#x017F;t, und ganz eben&#x017F;o werden<lb/>
die&#x017F;e Worte auch von un&#x017F;eren Antipoden ver&#x017F;tanden, denn auch &#x017F;ie<lb/>
glauben ohne Zweifel, daß &#x017F;ie den Kopf über den Füßen tragen,<lb/>
weil er auch bei ihnen weiter als die&#x017F;e von der Erde weggekehrt,<lb/>
weil er auch bei ihnen, wie bei uns, gegen den Himmel gewendet<lb/>
i&#x017F;t. Der Regen fällt für &#x017F;ie ganz eben&#x017F;o von <hi rendition="#aq">d</hi> nach <hi rendition="#aq">D</hi> (Fig. 1)<lb/>
nämlich vom Himmel zur Erde herab, wie er bei uns von <hi rendition="#aq">a</hi> nach<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0105] Tägliche Bewegung der Erde. Thiere gibt, die ebenfalls, wie wir, auf ihren Füßen, und nicht auf ihren Köpfen gehen, obſchon dieſe ihre Füße gegen die unſe- ren, alſo in der Sprache jenes Einwurfs zu reden, aufwärts ge- richtet ſind. Da aber die Exiſtenz der Antipoden durch unſere Reiſen um die Welt über alle Zweifel erhoben iſt, ſo iſt auch die Möglichkeit eines ſolchen ſogenannten aufrechten Standes derſelben ſchon unmittelbar durch die Wirklichkeit dieſes Standes erwieſen. Die Bewohner der Inſel Sumatra in Oſtindien ſind denen der Stadt Quito in Süd-Amerika gerade entgegengeſetzt, ſo daß eine gerade Linie, durch ſie gezogen, durch den Mittelpunkt der Erde geht, und daß ſie ſich, wenn die Erde immer kleiner würde, end- lich mit ihren Fußſohlen berühren würden. Die Sterne, die der eine gerade über ſich, in ſeinem Scheitelpunkte ſieht, werden für den anderen unſichtbar ſeyn, weil ſie in ſeinem Fußpunkte ſtehen, und von der Erde verdeckt ſind. Aber nach zwölf Stunden wird umgekehrt jener dieſelben Sterne in ſeinem Fußpunkte haben, und dieſer ſie über ſeinem Scheitel ſehen. Beide ſtehen alſo in der That in einander ganz entgegengeſetzten Lagen, und beide gehen doch den Kopf aufwärts, mit ihren Füßen auf der Erde, wie alle jene Seefahrer erzählten, und wie ſie es auch an ſich ſelbſt erfah- ren haben, wenn ſie die Gegenden betreten, die denjenigen, von welchen ſie mit ihren Schiffen ausgefahren ſind, gerade entgegen liegen. Wer dieß läugnen wollte, müßte auch zugleich läugnen wollen, daß je ein Schiff dieſe Reiſe um die Welt gemacht habe. In der That ſtehen auch unſere Antipoden mit ihren Füßen gegen uns, aber ſie ſtehen deſſenungeachtet aufwärts ſo wie wir. Denn was nennen wir aufrecht ſtehen? Doch wohl: mit den Füßen gegen die Erde, und mit dem Kopf gegen den Himmel gerichtet ſeyn? — Nun wohl, ganz ebenſo ſtehen ja unſere Antipoden auch, ſo wie wir ſelbſt. Für uns iſt oben was weiter von der Erde, und unten was näher bei der Erde iſt, und ganz ebenſo werden dieſe Worte auch von unſeren Antipoden verſtanden, denn auch ſie glauben ohne Zweifel, daß ſie den Kopf über den Füßen tragen, weil er auch bei ihnen weiter als dieſe von der Erde weggekehrt, weil er auch bei ihnen, wie bei uns, gegen den Himmel gewendet iſt. Der Regen fällt für ſie ganz ebenſo von d nach D (Fig. 1) nämlich vom Himmel zur Erde herab, wie er bei uns von a nach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/105
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/105>, abgerufen am 24.11.2024.