Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.Tägliche Bewegung der Erde. hingleitet, obschon wir dessenungeachtet dieser Bewegung sehr gewißsind, weil wir alle Gegenstände am Ufer vor uns vorübereilen sehen, die doch, wie wir wohl wissen, unbeweglich auf denselben stehen. Und doch ist die Bewegung des Schiffes noch lange nicht so gleichförmig, wie die der Erde, da das Schiff nicht selten von Wind und Wellen hin und her getrieben wird, und seinen Lauf so oft ändert. Ueberhaupt sind die natürlichsten und gewöhnlichsten Bewegungen beinahe immer auch zugleich diejenigen, welche wir am wenigsten empfinden, und von deren Daseyn wir oft nichts ahnen. Dieß begegnet uns nicht bloß, wie wir später noch oft sehen werden, in der physischen, sondern selbst in der moralischen Welt. Welche innere Bewegungen sind uns wohl gewöhnlicher und stärker zugleich, als die der Eigenliebe, und wie selten sind wir uns dieser Triebfeder beinahe aller unserer Handlungen be- wußt, wenn wir uns schmeicheln, sie aus ganz anderen, und viel edleren Gründen unternommen zu haben. Uebrigens ist jenes Beispiel eines auf der ruhigen Wasserfläche hingleitenden Schiffes, ein sehr treues Bild unserer gemeinschaftlichen Fahrt auf dem Weltenschiffe, der Erde, die wir, wenn wir sie gleich nicht unmit- telbar fühlen, doch sehr gut in dem schnellen Vorübereilen der festen Inseln, und der glänzenden Körper erkennen, welche aus dem unermeßlichen Ocean des Himmels hervorragen. Außer unserem Schiffe scheint alles in Bewegung, wenn gleich in der That alles stille steht; in demselben aber, wo sich alles zugleich mit uns bewegt, können wir diese Bewegung unseres Schiffes nicht bemerken, nicht einmal an der Luft die wir athmen, weil die Atmosphäre der Erde sich mit der Erde zugleich, und mit derselben Geschwindigkeit, und nach derselben Richtung bewegt. Aber, könnte man weiter einwenden, wenn wir nun sammt unse- rer kugelförmigen Erde uns täglich einmal um ihre Axe drehen, so müssen wir ja, wenn wir jetzt aufrecht stehen, zwölf Stunden später, alle den Kopf abwärts tragen, oder den Kopf unten, und die Füße oben haben, und auch dieß sollen wir nicht bemerken? -- Durch unsere Seereisen, durch unsere sogenannten Reisen um Tägliche Bewegung der Erde. hingleitet, obſchon wir deſſenungeachtet dieſer Bewegung ſehr gewißſind, weil wir alle Gegenſtände am Ufer vor uns vorübereilen ſehen, die doch, wie wir wohl wiſſen, unbeweglich auf denſelben ſtehen. Und doch iſt die Bewegung des Schiffes noch lange nicht ſo gleichförmig, wie die der Erde, da das Schiff nicht ſelten von Wind und Wellen hin und her getrieben wird, und ſeinen Lauf ſo oft ändert. Ueberhaupt ſind die natürlichſten und gewöhnlichſten Bewegungen beinahe immer auch zugleich diejenigen, welche wir am wenigſten empfinden, und von deren Daſeyn wir oft nichts ahnen. Dieß begegnet uns nicht bloß, wie wir ſpäter noch oft ſehen werden, in der phyſiſchen, ſondern ſelbſt in der moraliſchen Welt. Welche innere Bewegungen ſind uns wohl gewöhnlicher und ſtärker zugleich, als die der Eigenliebe, und wie ſelten ſind wir uns dieſer Triebfeder beinahe aller unſerer Handlungen be- wußt, wenn wir uns ſchmeicheln, ſie aus ganz anderen, und viel edleren Gründen unternommen zu haben. Uebrigens iſt jenes Beiſpiel eines auf der ruhigen Waſſerfläche hingleitenden Schiffes, ein ſehr treues Bild unſerer gemeinſchaftlichen Fahrt auf dem Weltenſchiffe, der Erde, die wir, wenn wir ſie gleich nicht unmit- telbar fühlen, doch ſehr gut in dem ſchnellen Vorübereilen der feſten Inſeln, und der glänzenden Körper erkennen, welche aus dem unermeßlichen Ocean des Himmels hervorragen. Außer unſerem Schiffe ſcheint alles in Bewegung, wenn gleich in der That alles ſtille ſteht; in demſelben aber, wo ſich alles zugleich mit uns bewegt, können wir dieſe Bewegung unſeres Schiffes nicht bemerken, nicht einmal an der Luft die wir athmen, weil die Atmoſphäre der Erde ſich mit der Erde zugleich, und mit derſelben Geſchwindigkeit, und nach derſelben Richtung bewegt. Aber, könnte man weiter einwenden, wenn wir nun ſammt unſe- rer kugelförmigen Erde uns täglich einmal um ihre Axe drehen, ſo müſſen wir ja, wenn wir jetzt aufrecht ſtehen, zwölf Stunden ſpäter, alle den Kopf abwärts tragen, oder den Kopf unten, und die Füße oben haben, und auch dieß ſollen wir nicht bemerken? — Durch unſere Seereiſen, durch unſere ſogenannten Reiſen um <TEI> <text> <body> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0104" n="92"/><fw place="top" type="header">Tägliche Bewegung der Erde.</fw><lb/> hingleitet, obſchon wir deſſenungeachtet dieſer Bewegung ſehr gewiß<lb/> ſind, weil wir alle Gegenſtände am Ufer vor uns vorübereilen<lb/> ſehen, die doch, wie wir wohl wiſſen, unbeweglich auf denſelben<lb/> ſtehen. Und doch iſt die Bewegung des Schiffes noch lange nicht<lb/> ſo gleichförmig, wie die der Erde, da das Schiff nicht ſelten von<lb/> Wind und Wellen hin und her getrieben wird, und ſeinen Lauf<lb/> ſo oft ändert. 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Tägliche Bewegung der Erde.
hingleitet, obſchon wir deſſenungeachtet dieſer Bewegung ſehr gewiß
ſind, weil wir alle Gegenſtände am Ufer vor uns vorübereilen
ſehen, die doch, wie wir wohl wiſſen, unbeweglich auf denſelben
ſtehen. Und doch iſt die Bewegung des Schiffes noch lange nicht
ſo gleichförmig, wie die der Erde, da das Schiff nicht ſelten von
Wind und Wellen hin und her getrieben wird, und ſeinen Lauf
ſo oft ändert. Ueberhaupt ſind die natürlichſten und gewöhnlichſten
Bewegungen beinahe immer auch zugleich diejenigen, welche wir
am wenigſten empfinden, und von deren Daſeyn wir oft nichts
ahnen. Dieß begegnet uns nicht bloß, wie wir ſpäter noch oft
ſehen werden, in der phyſiſchen, ſondern ſelbſt in der moraliſchen
Welt. Welche innere Bewegungen ſind uns wohl gewöhnlicher
und ſtärker zugleich, als die der Eigenliebe, und wie ſelten ſind
wir uns dieſer Triebfeder beinahe aller unſerer Handlungen be-
wußt, wenn wir uns ſchmeicheln, ſie aus ganz anderen, und viel
edleren Gründen unternommen zu haben. Uebrigens iſt jenes
Beiſpiel eines auf der ruhigen Waſſerfläche hingleitenden Schiffes,
ein ſehr treues Bild unſerer gemeinſchaftlichen Fahrt auf dem
Weltenſchiffe, der Erde, die wir, wenn wir ſie gleich nicht unmit-
telbar fühlen, doch ſehr gut in dem ſchnellen Vorübereilen der
feſten Inſeln, und der glänzenden Körper erkennen, welche aus
dem unermeßlichen Ocean des Himmels hervorragen. Außer
unſerem Schiffe ſcheint alles in Bewegung, wenn gleich in der
That alles ſtille ſteht; in demſelben aber, wo ſich alles zugleich
mit uns bewegt, können wir dieſe Bewegung unſeres Schiffes
nicht bemerken, nicht einmal an der Luft die wir athmen, weil
die Atmoſphäre der Erde ſich mit der Erde zugleich, und mit
derſelben Geſchwindigkeit, und nach derſelben Richtung bewegt.
Aber, könnte man weiter einwenden, wenn wir nun ſammt unſe-
rer kugelförmigen Erde uns täglich einmal um ihre Axe drehen,
ſo müſſen wir ja, wenn wir jetzt aufrecht ſtehen, zwölf Stunden
ſpäter, alle den Kopf abwärts tragen, oder den Kopf unten, und
die Füße oben haben, und auch dieß ſollen wir nicht bemerken? —
Durch unſere Seereiſen, durch unſere ſogenannten Reiſen um
die Welt, iſt es eine ausgemachte Sache, daß wir Gegenfüßler
oder Antipoden haben, d. h. daß es gegenüber von der Gegend
der großen Kugel, die wir bewohnen, auch noch Menſchen und
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