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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Einleitung. I. Die Grundbegriffe.
Gebiete des Strafrechtes an; sie spielt aber allerdings hier
ihre bedeutendste Rolle. Ohne klare Erkenntnis der Funk-
tionen, welche die Norm auf dem Gebiete des Strafrechtes
zu erfüllen hat, ist tieferes Verständniß des Strafrechtes selbst
kaum möglich. Es ist Binding's bleibendes Verdienst,
nicht zuerst aber am bestimmtesten und konsequentesten die
Bedeutung der Norm betont zu haben.

II. Wir haben an dieser Stelle zuerst das Verhältnis
der Normen zu den zu schützenden Rechtsgütern
ins
Auge zu fassen.

1. Der Gesetzgeber kann sich damit begnügen, ein be-
stimmtes Interesse einfach unter seinen Rechtsschutz zu stellen,
es zu einem Rechtsgute zu erklären. Er verbietet dadurch
-- nicht notwendig bei Strafe -- jede gegen das Rechtsgut
gerichtete, wie immer geartete, Handlung. So entstehen die
allgemeinen, immer negativen Normen: Du sollst nicht töten,
an fremdem Eigentum Dich nicht vergreifen, die Ehre
Deines Mitbürgers nicht verletzen usw.

2. Der Gesetzgeber kann aber auch gewisse, von ihm
bestimmt bezeichnete Handlungen verbieten, weil ihre
Vornahme regelmäßig, wenn auch nicht immer, eine Ver-
letzung oder Gefährdung des zu schützenden Rechtsgutes im
Gefolge hat. Dann ist diese Handlung verboten, auch wenn
sie im konkreten Falle die regelmäßige Wirkung nicht nach
sich zieht. So ist der Handel mit Gift ohne polizeiliche Er-
laubnis (StGB. §. 367 Nr. 3) im Interesse der körperlichen
Sicherheit verboten auch dann, wenn der Handeltreibende
durch die von ihm ergriffenen Vorsichtsmaßregeln jede Ge-
fahr im konkreten Falle ausgeschlossen hat. Auch einzelne
der sog. gemeingefährlichen Delikte -- so z. B. die Brunnen-
vergiftung des §. 324 StGB. -- gehören in diese Gruppe.

Einleitung. I. Die Grundbegriffe.
Gebiete des Strafrechtes an; ſie ſpielt aber allerdings hier
ihre bedeutendſte Rolle. Ohne klare Erkenntnis der Funk-
tionen, welche die Norm auf dem Gebiete des Strafrechtes
zu erfüllen hat, iſt tieferes Verſtändniß des Strafrechtes ſelbſt
kaum möglich. Es iſt Binding’s bleibendes Verdienſt,
nicht zuerſt aber am beſtimmteſten und konſequenteſten die
Bedeutung der Norm betont zu haben.

II. Wir haben an dieſer Stelle zuerſt das Verhältnis
der Normen zu den zu ſchützenden Rechtsgütern
ins
Auge zu faſſen.

1. Der Geſetzgeber kann ſich damit begnügen, ein be-
ſtimmtes Intereſſe einfach unter ſeinen Rechtsſchutz zu ſtellen,
es zu einem Rechtsgute zu erklären. Er verbietet dadurch
— nicht notwendig bei Strafe — jede gegen das Rechtsgut
gerichtete, wie immer geartete, Handlung. So entſtehen die
allgemeinen, immer negativen Normen: Du ſollſt nicht töten,
an fremdem Eigentum Dich nicht vergreifen, die Ehre
Deines Mitbürgers nicht verletzen uſw.

2. Der Geſetzgeber kann aber auch gewiſſe, von ihm
beſtimmt bezeichnete Handlungen verbieten, weil ihre
Vornahme regelmäßig, wenn auch nicht immer, eine Ver-
letzung oder Gefährdung des zu ſchützenden Rechtsgutes im
Gefolge hat. Dann iſt dieſe Handlung verboten, auch wenn
ſie im konkreten Falle die regelmäßige Wirkung nicht nach
ſich zieht. So iſt der Handel mit Gift ohne polizeiliche Er-
laubnis (StGB. §. 367 Nr. 3) im Intereſſe der körperlichen
Sicherheit verboten auch dann, wenn der Handeltreibende
durch die von ihm ergriffenen Vorſichtsmaßregeln jede Ge-
fahr im konkreten Falle ausgeſchloſſen hat. Auch einzelne
der ſog. gemeingefährlichen Delikte — ſo z. B. die Brunnen-
vergiftung des §. 324 StGB. — gehören in dieſe Gruppe.

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[6/0032] Einleitung. I. Die Grundbegriffe. Gebiete des Strafrechtes an; ſie ſpielt aber allerdings hier ihre bedeutendſte Rolle. Ohne klare Erkenntnis der Funk- tionen, welche die Norm auf dem Gebiete des Strafrechtes zu erfüllen hat, iſt tieferes Verſtändniß des Strafrechtes ſelbſt kaum möglich. Es iſt Binding’s bleibendes Verdienſt, nicht zuerſt aber am beſtimmteſten und konſequenteſten die Bedeutung der Norm betont zu haben. II. Wir haben an dieſer Stelle zuerſt das Verhältnis der Normen zu den zu ſchützenden Rechtsgütern ins Auge zu faſſen. 1. Der Geſetzgeber kann ſich damit begnügen, ein be- ſtimmtes Intereſſe einfach unter ſeinen Rechtsſchutz zu ſtellen, es zu einem Rechtsgute zu erklären. Er verbietet dadurch — nicht notwendig bei Strafe — jede gegen das Rechtsgut gerichtete, wie immer geartete, Handlung. So entſtehen die allgemeinen, immer negativen Normen: Du ſollſt nicht töten, an fremdem Eigentum Dich nicht vergreifen, die Ehre Deines Mitbürgers nicht verletzen uſw. 2. Der Geſetzgeber kann aber auch gewiſſe, von ihm beſtimmt bezeichnete Handlungen verbieten, weil ihre Vornahme regelmäßig, wenn auch nicht immer, eine Ver- letzung oder Gefährdung des zu ſchützenden Rechtsgutes im Gefolge hat. Dann iſt dieſe Handlung verboten, auch wenn ſie im konkreten Falle die regelmäßige Wirkung nicht nach ſich zieht. So iſt der Handel mit Gift ohne polizeiliche Er- laubnis (StGB. §. 367 Nr. 3) im Intereſſe der körperlichen Sicherheit verboten auch dann, wenn der Handeltreibende durch die von ihm ergriffenen Vorſichtsmaßregeln jede Ge- fahr im konkreten Falle ausgeſchloſſen hat. Auch einzelne der ſog. gemeingefährlichen Delikte — ſo z. B. die Brunnen- vergiftung des §. 324 StGB. — gehören in dieſe Gruppe.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/32>, abgerufen am 09.11.2024.