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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Die Norm. § 3.
Sie setzt nicht Freiheit des Wollens, sondern Bestimmbar-
keit durch Motive voraus, und diese wird von keiner Seite
geleugnet. Die Strafe ist nach ihr nicht nur verträglich
mit dem Determinismus, der auch die menschliche Handlung
dem allgemeinen Kausalgesetze unterwirft, sondern erhält erst
durch ihn ihre feste praktische Grundlage. Denn gerade
wenn die Handlung notwendiges Produkt ihrer Faktoren ist,
gerade wenn sie, dem Kräfteparallelogramme gemäß, not-
wendig in der Richtung des stärksten Motives erfolgt, kann
durch Einführung neuer Faktoren in der Gestalt neuer Mo-
tive, sowie durch Verstärkung der in den gegebenen Faktoren
vorhandenen motivirenden Kraft die Richtung der Handlung
bestimmt werden.1

§. 3.
Die Norm.

I. Wir haben als einen der Wege, auf welchen die
Strafe ihren Zweck, den Schutz der Rechtsgüter, erreicht,
die Androhung der Strafe bezeichnet. Der Gesetzgeber
verbietet oder gebietet bei Strafe gewisse Handlungen, deren
Vornahme oder Unterlassung einen Angriff auf die zu
schützenden Rechtsgüter in sich schließt; er verstärkt die moti-
virende Kraft seiner Imperative durch das Gewicht der
Strafdrohung. Lösen wir die Strafdrohung aus, so erhalten
wir einen einfachen, sei es negativen, sei es positiven Im-
perativ. Diesen, den Strafrechtssätzen zu Grunde liegenden,
der Strafdrohung entkleideten, staatlichen Imperativ nennen
wir die Norm. Die Norm gehört durchaus nicht nur dem

1 [Spaltenumbruch] Vgl. unten §. 25 die Lehre
von der Zurechnungsfähigkeit.[Spaltenumbruch] Dazu Hertz das Unrecht usw.
I S. 119 ff.

Die Norm. § 3.
Sie ſetzt nicht Freiheit des Wollens, ſondern Beſtimmbar-
keit durch Motive voraus, und dieſe wird von keiner Seite
geleugnet. Die Strafe iſt nach ihr nicht nur verträglich
mit dem Determinismus, der auch die menſchliche Handlung
dem allgemeinen Kauſalgeſetze unterwirft, ſondern erhält erſt
durch ihn ihre feſte praktiſche Grundlage. Denn gerade
wenn die Handlung notwendiges Produkt ihrer Faktoren iſt,
gerade wenn ſie, dem Kräfteparallelogramme gemäß, not-
wendig in der Richtung des ſtärkſten Motives erfolgt, kann
durch Einführung neuer Faktoren in der Geſtalt neuer Mo-
tive, ſowie durch Verſtärkung der in den gegebenen Faktoren
vorhandenen motivirenden Kraft die Richtung der Handlung
beſtimmt werden.1

§. 3.
Die Norm.

I. Wir haben als einen der Wege, auf welchen die
Strafe ihren Zweck, den Schutz der Rechtsgüter, erreicht,
die Androhung der Strafe bezeichnet. Der Geſetzgeber
verbietet oder gebietet bei Strafe gewiſſe Handlungen, deren
Vornahme oder Unterlaſſung einen Angriff auf die zu
ſchützenden Rechtsgüter in ſich ſchließt; er verſtärkt die moti-
virende Kraft ſeiner Imperative durch das Gewicht der
Strafdrohung. Löſen wir die Strafdrohung aus, ſo erhalten
wir einen einfachen, ſei es negativen, ſei es poſitiven Im-
perativ. Dieſen, den Strafrechtsſätzen zu Grunde liegenden,
der Strafdrohung entkleideten, ſtaatlichen Imperativ nennen
wir die Norm. Die Norm gehört durchaus nicht nur dem

1 [Spaltenumbruch] Vgl. unten §. 25 die Lehre
von der Zurechnungsfähigkeit.[Spaltenumbruch] Dazu Hertz das Unrecht uſw.
I S. 119 ff.
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[5/0031] Die Norm. § 3. Sie ſetzt nicht Freiheit des Wollens, ſondern Beſtimmbar- keit durch Motive voraus, und dieſe wird von keiner Seite geleugnet. Die Strafe iſt nach ihr nicht nur verträglich mit dem Determinismus, der auch die menſchliche Handlung dem allgemeinen Kauſalgeſetze unterwirft, ſondern erhält erſt durch ihn ihre feſte praktiſche Grundlage. Denn gerade wenn die Handlung notwendiges Produkt ihrer Faktoren iſt, gerade wenn ſie, dem Kräfteparallelogramme gemäß, not- wendig in der Richtung des ſtärkſten Motives erfolgt, kann durch Einführung neuer Faktoren in der Geſtalt neuer Mo- tive, ſowie durch Verſtärkung der in den gegebenen Faktoren vorhandenen motivirenden Kraft die Richtung der Handlung beſtimmt werden. 1 §. 3. Die Norm. I. Wir haben als einen der Wege, auf welchen die Strafe ihren Zweck, den Schutz der Rechtsgüter, erreicht, die Androhung der Strafe bezeichnet. Der Geſetzgeber verbietet oder gebietet bei Strafe gewiſſe Handlungen, deren Vornahme oder Unterlaſſung einen Angriff auf die zu ſchützenden Rechtsgüter in ſich ſchließt; er verſtärkt die moti- virende Kraft ſeiner Imperative durch das Gewicht der Strafdrohung. Löſen wir die Strafdrohung aus, ſo erhalten wir einen einfachen, ſei es negativen, ſei es poſitiven Im- perativ. Dieſen, den Strafrechtsſätzen zu Grunde liegenden, der Strafdrohung entkleideten, ſtaatlichen Imperativ nennen wir die Norm. Die Norm gehört durchaus nicht nur dem 1 Vgl. unten §. 25 die Lehre von der Zurechnungsfähigkeit. Dazu Hertz das Unrecht uſw. I S. 119 ff.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/31>, abgerufen am 09.11.2024.