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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Erstes Buch. III. Delikte gegen das Vermögen.
geschwemmten oder verlorenen Gegenständen, wohl aber an
vergessenen oder verlegten Sachen. Durch Aufgeben des
Gewahrsams3 von Seiten des Gewahrsams-Inhabers wird
die Möglichkeit des Diebstahls ausgeschlossen; nicht not-
wendig aber schon durch Einwilligung in die Ergreifung der
Sache. Der Gewahrsams-Inhaber selbst kann sich des
Diebstahls nicht (wohl aber der Unterschlagung) schuldig
machen; der Mitgewahrsams-Inhaber begeht Diebstahl,
wenn er sich rechtswidrig die ausschließliche Verfügungsgewalt
verschafft (vgl. das zu 2 über den Miteigentümer Ge-
sagte). Der letzte Satz ist von großer praktischer Bedeutung,
da in zahlreichen Fällen mehrfacher Gewahrsam an derselben
Sache -- sei es gleichgestellten, sei es einander untergeord-
neten Personen zustehend -- vorkommt.4 Demnach ist die
Aneignung mitvermieteter Sachen durch den Mieter eines
meublierten Zimmers als Diebstahl zu betrachten, da der
Thäter nur Mit-Gewahrsamsinhaber ist.5

4. Nicht erfolgte, wohl aber beabsichtigte Aneignung
der Sache gehört zu den Merkmalen des Diebstahls-
begriffes. Aneignung aber besteht darin, daß die Sache,
gleichsam als wäre sie Eigentum, den Zwecken des Thäters
dauernd und ausschließlich dienstbar gemacht wird. Sofortige
Vernichtung der Sache ist nicht Aneignung, ebensowenig
vorübergehender Gebrauch derselben; eben darum ist Ver-
pfändung der Sache nicht Aneignung, wenn die Absicht und

3 [Spaltenumbruch] Innehaben und Aufgeben
des Gewahrsams durch einen
Wahnsinnigen hat (mit Recht)
RGR. 19. Juni 1880, R II 85
als nach Umständen möglich
angenommen.
4 [Spaltenumbruch] RGR. 5. April 1880, R I
540, E II
1 (Entwendung von
Ladenvorräten durch einen im
Geschäfte angestellten Verkäufer).
5 [Spaltenumbruch] Dagegen (aber ohne über-
zeugende Motivierung) RGR.
12. Juli 1880, R II 184.

Erſtes Buch. III. Delikte gegen das Vermögen.
geſchwemmten oder verlorenen Gegenſtänden, wohl aber an
vergeſſenen oder verlegten Sachen. Durch Aufgeben des
Gewahrſams3 von Seiten des Gewahrſams-Inhabers wird
die Möglichkeit des Diebſtahls ausgeſchloſſen; nicht not-
wendig aber ſchon durch Einwilligung in die Ergreifung der
Sache. Der Gewahrſams-Inhaber ſelbſt kann ſich des
Diebſtahls nicht (wohl aber der Unterſchlagung) ſchuldig
machen; der Mitgewahrſams-Inhaber begeht Diebſtahl,
wenn er ſich rechtswidrig die ausſchließliche Verfügungsgewalt
verſchafft (vgl. das zu 2 über den Miteigentümer Ge-
ſagte). Der letzte Satz iſt von großer praktiſcher Bedeutung,
da in zahlreichen Fällen mehrfacher Gewahrſam an derſelben
Sache — ſei es gleichgeſtellten, ſei es einander untergeord-
neten Perſonen zuſtehend — vorkommt.4 Demnach iſt die
Aneignung mitvermieteter Sachen durch den Mieter eines
meublierten Zimmers als Diebſtahl zu betrachten, da der
Thäter nur Mit-Gewahrſamsinhaber iſt.5

4. Nicht erfolgte, wohl aber beabſichtigte Aneignung
der Sache gehört zu den Merkmalen des Diebſtahls-
begriffes. Aneignung aber beſteht darin, daß die Sache,
gleichſam als wäre ſie Eigentum, den Zwecken des Thäters
dauernd und ausſchließlich dienſtbar gemacht wird. Sofortige
Vernichtung der Sache iſt nicht Aneignung, ebenſowenig
vorübergehender Gebrauch derſelben; eben darum iſt Ver-
pfändung der Sache nicht Aneignung, wenn die Abſicht und

3 [Spaltenumbruch] Innehaben und Aufgeben
des Gewahrſams durch einen
Wahnſinnigen hat (mit Recht)
RGR. 19. Juni 1880, R II 85
als nach Umſtänden möglich
angenommen.
4 [Spaltenumbruch] RGR. 5. April 1880, R I
540, E II
1 (Entwendung von
Ladenvorräten durch einen im
Geſchäfte angeſtellten Verkäufer).
5 [Spaltenumbruch] Dagegen (aber ohne über-
zeugende Motivierung) RGR.
12. Juli 1880, R II 184.
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[258/0284] Erſtes Buch. III. Delikte gegen das Vermögen. geſchwemmten oder verlorenen Gegenſtänden, wohl aber an vergeſſenen oder verlegten Sachen. Durch Aufgeben des Gewahrſams 3 von Seiten des Gewahrſams-Inhabers wird die Möglichkeit des Diebſtahls ausgeſchloſſen; nicht not- wendig aber ſchon durch Einwilligung in die Ergreifung der Sache. Der Gewahrſams-Inhaber ſelbſt kann ſich des Diebſtahls nicht (wohl aber der Unterſchlagung) ſchuldig machen; der Mitgewahrſams-Inhaber begeht Diebſtahl, wenn er ſich rechtswidrig die ausſchließliche Verfügungsgewalt verſchafft (vgl. das zu 2 über den Miteigentümer Ge- ſagte). Der letzte Satz iſt von großer praktiſcher Bedeutung, da in zahlreichen Fällen mehrfacher Gewahrſam an derſelben Sache — ſei es gleichgeſtellten, ſei es einander untergeord- neten Perſonen zuſtehend — vorkommt. 4 Demnach iſt die Aneignung mitvermieteter Sachen durch den Mieter eines meublierten Zimmers als Diebſtahl zu betrachten, da der Thäter nur Mit-Gewahrſamsinhaber iſt. 5 4. Nicht erfolgte, wohl aber beabſichtigte Aneignung der Sache gehört zu den Merkmalen des Diebſtahls- begriffes. Aneignung aber beſteht darin, daß die Sache, gleichſam als wäre ſie Eigentum, den Zwecken des Thäters dauernd und ausſchließlich dienſtbar gemacht wird. Sofortige Vernichtung der Sache iſt nicht Aneignung, ebenſowenig vorübergehender Gebrauch derſelben; eben darum iſt Ver- pfändung der Sache nicht Aneignung, wenn die Abſicht und 3 Innehaben und Aufgeben des Gewahrſams durch einen Wahnſinnigen hat (mit Recht) RGR. 19. Juni 1880, R II 85 als nach Umſtänden möglich angenommen. 4 RGR. 5. April 1880, R I 540, E II 1 (Entwendung von Ladenvorräten durch einen im Geſchäfte angeſtellten Verkäufer). 5 Dagegen (aber ohne über- zeugende Motivierung) RGR. 12. Juli 1880, R II 184.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/284>, abgerufen am 24.11.2024.