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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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(o)
überein, und wenn ich ein Geistlicher wäre, so hät-
te ich hier die schönste Gelegenheit, ihn zu verketzern:
Allein ich thue es nicht, sondern bitte nur Ew.
Hochwohlgeb., zu bedencken, wohin Leute, die sol-
che Dinge lehren, endlich verfallen müssen.

Sie bringen den ersten Menschen um seine fünf
Sinne, und müssen sagen, Wermuth habe ihm ge-
schmeckt wie Honig, und Honig wie Wermuth:
Er sey nicht im Stande gewesen, den Geruch eines
Aases von dem Geruch der Violen zu unterschei-
den, und was dergleichen Fratzen mehr sind.

Hat nun der Mensch, seiner über grossen Heilig-
keit wegen, keine angenehme Empfindung haben
können, so wird er auch unstreitig von keinem
Schmertz gewust haben; oder GOtt müste ihn ge-
wiß in seinem Zorn erschafen haben. Es hat also
der erste Mensch gar keine Empfindung gehabt; son-
dern sich in einer immerwährenden Entzückung be-
funden, und nicht gewust, ob er in oder ausser dem
Leibe sey. Es ist sein Glück gewesen, daß er gefal-
len ist; denn sonst sehe ich nicht, wie er sich mit eben
so einem Cörper, als wir haben, ohne das uns so
nöthige Gefühl von Lust und Schmertz hätte erhal-
ten können.

Jener Weltweise war so sehr in seinen Gedan-
cken vertiefet, daß er sich, ohne es zu mercken, seinen
Fuß verbrannte. Endlich kam der Wurm zu sich
selbst. Aber der erste Mensch des Hrn. Mantzels,
das wunderliche Thier, hätte mit Haut und Haar ver-
brennen können, ehe er es selbst gewust. Er war ohne
Gefühl, und kannte also die Kraft des Feuers nicht.
Wie hätte er sich dann davor in acht nehmen können?

Er

(o)
uͤberein, und wenn ich ein Geiſtlicher waͤre, ſo haͤt-
te ich hier die ſchoͤnſte Gelegenheit, ihn zu verketzern:
Allein ich thue es nicht, ſondern bitte nur Ew.
Hochwohlgeb., zu bedencken, wohin Leute, die ſol-
che Dinge lehren, endlich verfallen muͤſſen.

Sie bringen den erſten Menſchen um ſeine fuͤnf
Sinne, und muͤſſen ſagen, Wermuth habe ihm ge-
ſchmeckt wie Honig, und Honig wie Wermuth:
Er ſey nicht im Stande geweſen, den Geruch eines
Aaſes von dem Geruch der Violen zu unterſchei-
den, und was dergleichen Fratzen mehr ſind.

Hat nun der Menſch, ſeiner uͤber groſſen Heilig-
keit wegen, keine angenehme Empfindung haben
koͤnnen, ſo wird er auch unſtreitig von keinem
Schmertz gewuſt haben; oder GOtt muͤſte ihn ge-
wiß in ſeinem Zorn erſchafen haben. Es hat alſo
der erſte Menſch gar keine Empfindung gehabt; ſon-
dern ſich in einer immerwaͤhrenden Entzuͤckung be-
funden, und nicht gewuſt, ob er in oder auſſer dem
Leibe ſey. Es iſt ſein Gluͤck geweſen, daß er gefal-
len iſt; denn ſonſt ſehe ich nicht, wie er ſich mit eben
ſo einem Coͤrper, als wir haben, ohne das uns ſo
noͤthige Gefuͤhl von Luſt und Schmertz haͤtte erhal-
ten koͤnnen.

Jener Weltweiſe war ſo ſehr in ſeinen Gedan-
cken vertiefet, daß er ſich, ohne es zu mercken, ſeinen
Fuß verbrannte. Endlich kam der Wurm zu ſich
ſelbſt. Aber der erſte Menſch des Hrn. Mantzels,
das wunderliche Thier, haͤtte mit Haut und Haar ver-
brennen koͤnnen, ehe er es ſelbſt gewuſt. Er war ohne
Gefuͤhl, und kannte alſo die Kraft des Feuers nicht.
Wie haͤtte er ſich dann davor in acht nehmen koͤnnen?

Er
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[750/0842] (o) uͤberein, und wenn ich ein Geiſtlicher waͤre, ſo haͤt- te ich hier die ſchoͤnſte Gelegenheit, ihn zu verketzern: Allein ich thue es nicht, ſondern bitte nur Ew. Hochwohlgeb., zu bedencken, wohin Leute, die ſol- che Dinge lehren, endlich verfallen muͤſſen. Sie bringen den erſten Menſchen um ſeine fuͤnf Sinne, und muͤſſen ſagen, Wermuth habe ihm ge- ſchmeckt wie Honig, und Honig wie Wermuth: Er ſey nicht im Stande geweſen, den Geruch eines Aaſes von dem Geruch der Violen zu unterſchei- den, und was dergleichen Fratzen mehr ſind. Hat nun der Menſch, ſeiner uͤber groſſen Heilig- keit wegen, keine angenehme Empfindung haben koͤnnen, ſo wird er auch unſtreitig von keinem Schmertz gewuſt haben; oder GOtt muͤſte ihn ge- wiß in ſeinem Zorn erſchafen haben. Es hat alſo der erſte Menſch gar keine Empfindung gehabt; ſon- dern ſich in einer immerwaͤhrenden Entzuͤckung be- funden, und nicht gewuſt, ob er in oder auſſer dem Leibe ſey. Es iſt ſein Gluͤck geweſen, daß er gefal- len iſt; denn ſonſt ſehe ich nicht, wie er ſich mit eben ſo einem Coͤrper, als wir haben, ohne das uns ſo noͤthige Gefuͤhl von Luſt und Schmertz haͤtte erhal- ten koͤnnen. Jener Weltweiſe war ſo ſehr in ſeinen Gedan- cken vertiefet, daß er ſich, ohne es zu mercken, ſeinen Fuß verbrannte. Endlich kam der Wurm zu ſich ſelbſt. Aber der erſte Menſch des Hrn. Mantzels, das wunderliche Thier, haͤtte mit Haut und Haar ver- brennen koͤnnen, ehe er es ſelbſt gewuſt. Er war ohne Gefuͤhl, und kannte alſo die Kraft des Feuers nicht. Wie haͤtte er ſich dann davor in acht nehmen koͤnnen? Er

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 750. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/842>, abgerufen am 22.11.2024.