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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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(o)
so, wie ich sage, eingerichtet; so hätte er denselben nicht
an die Materie knüpfen, und den Menschen mit den
Sinnen und der Einbildungs-Kraft begaben durfen.
Folglich wäre der erste Mensch kein Mensch, sondern
ein blosser Geist gewesen. Durch eine besondere Of-
fenbahrung können auch die allgemeine Begrife in
dem Menschen nicht entstanden seyn: Weil alle Ofen-
bahrung eine Fähigkeit dieselbe zu verstehen, in demje-
nigen, dem sie geschiehet, zum Grunde hat. Durch die
Ofenbahrung allgemeiner Begrife kan ich aber in
dem Verstande eines Menschen, der niemahlen eintzele
Dinge gesehen, und betrachtet hat, nicht den gering-
sten Begrif erwecken. Folglich würde eine solche Of-
fenbahrung unnütze seyn; weil sie demjenigen, der da-
durch unterrichtet werden soll, unverständlich. Glau-
ben Ew. Hochwohlgeb., daß GOtt, durch seine All-
macht, einem blind gebohrnen einen klaren und deut-
lichen Begrif der Farben mittheilen könne? Jch den-
cke es nicht: Oder Sie müssen auch glauben, GOtt
könne machen, daß wir den Schall riechen, und durch
das Gehör Teufels-Dreck von Ambra unterscheiden
können.

Da es nun unbegreiflich ist, wie eine aus Geist und
Materie bestehende Creatur, anders, als ietzo zu allge-
meinen Begrifen gelangen könne; unbegreifliche Sä-
tze aber in der Welt-Weißheit keinen Platz finden, es
sey dann, daß die Erfahrung uns nöthige, eine Sache,
die wir nicht begreifen, als wahr anzunehmen: So
handelt der Hr. Prof. Manzel nicht, als ein Weltwei-
ser, wann er in einer philosophischen Schrift einen un-
begreiflichen Satz als eine unstreitige Wahrheit vor-
aussetzet, von dessen Wahrheit er durch die Erfah-
rung nicht übersühret ist.

II.
Z z 2

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ſo, wie ich ſage, eingerichtet; ſo haͤtte er denſelben nicht
an die Materie knuͤpfen, und den Menſchen mit den
Sinnen und der Einbildungs-Kraft begaben durfen.
Folglich waͤre der erſte Menſch kein Menſch, ſondern
ein bloſſer Geiſt geweſen. Durch eine beſondere Of-
fenbahrung koͤnnen auch die allgemeine Begrife in
dem Menſchen nicht entſtanden ſeyn: Weil alle Ofen-
bahrung eine Faͤhigkeit dieſelbe zu verſtehen, in demje-
nigen, dem ſie geſchiehet, zum Grunde hat. Durch die
Ofenbahrung allgemeiner Begrife kan ich aber in
dem Veꝛſtande eines Menſchen, der niemahlen eintzele
Dinge geſehen, und betrachtet hat, nicht den gering-
ſten Begrif erwecken. Folglich wuͤrde eine ſolche Of-
fenbahrung unnuͤtze ſeyn; weil ſie demjenigen, der da-
durch unterrichtet werden ſoll, unverſtaͤndlich. Glau-
ben Ew. Hochwohlgeb., daß GOtt, durch ſeine All-
macht, einem blind gebohrnen einen klaren und deut-
lichen Begrif der Farben mittheilen koͤnne? Jch den-
cke es nicht: Oder Sie muͤſſen auch glauben, GOtt
koͤnne machen, daß wir den Schall riechen, und durch
das Gehoͤr Teufels-Dreck von Ambra unterſcheiden
koͤnnen.

Da es nun unbegreiflich iſt, wie eine aus Geiſt und
Materie beſtehende Creatur, anders, als ietzo zu allge-
meinen Begrifen gelangen koͤnne; unbegreifliche Saͤ-
tze aber in der Welt-Weißheit keinen Platz finden, es
ſey dann, daß die Erfahrung uns noͤthige, eine Sache,
die wir nicht begreifen, als wahr anzunehmen: So
handelt der Hr. Prof. Manzel nicht, als ein Weltwei-
ſer, wañ er in einer philoſophiſchen Schrift einen un-
begreiflichen Satz als eine unſtreitige Wahrheit vor-
ausſetzet, von deſſen Wahrheit er durch die Erfah-
rung nicht uͤberſuͤhret iſt.

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Z z 2
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[723/0815] (o) ſo, wie ich ſage, eingerichtet; ſo haͤtte er denſelben nicht an die Materie knuͤpfen, und den Menſchen mit den Sinnen und der Einbildungs-Kraft begaben durfen. Folglich waͤre der erſte Menſch kein Menſch, ſondern ein bloſſer Geiſt geweſen. Durch eine beſondere Of- fenbahrung koͤnnen auch die allgemeine Begrife in dem Menſchen nicht entſtanden ſeyn: Weil alle Ofen- bahrung eine Faͤhigkeit dieſelbe zu verſtehen, in demje- nigen, dem ſie geſchiehet, zum Grunde hat. Durch die Ofenbahrung allgemeiner Begrife kan ich aber in dem Veꝛſtande eines Menſchen, der niemahlen eintzele Dinge geſehen, und betrachtet hat, nicht den gering- ſten Begrif erwecken. Folglich wuͤrde eine ſolche Of- fenbahrung unnuͤtze ſeyn; weil ſie demjenigen, der da- durch unterrichtet werden ſoll, unverſtaͤndlich. Glau- ben Ew. Hochwohlgeb., daß GOtt, durch ſeine All- macht, einem blind gebohrnen einen klaren und deut- lichen Begrif der Farben mittheilen koͤnne? Jch den- cke es nicht: Oder Sie muͤſſen auch glauben, GOtt koͤnne machen, daß wir den Schall riechen, und durch das Gehoͤr Teufels-Dreck von Ambra unterſcheiden koͤnnen. Da es nun unbegreiflich iſt, wie eine aus Geiſt und Materie beſtehende Creatur, anders, als ietzo zu allge- meinen Begrifen gelangen koͤnne; unbegreifliche Saͤ- tze aber in der Welt-Weißheit keinen Platz finden, es ſey dann, daß die Erfahrung uns noͤthige, eine Sache, die wir nicht begreifen, als wahr anzunehmen: So handelt der Hr. Prof. Manzel nicht, als ein Weltwei- ſer, wañ er in einer philoſophiſchen Schrift einen un- begreiflichen Satz als eine unſtreitige Wahrheit vor- ausſetzet, von deſſen Wahrheit er durch die Erfah- rung nicht uͤberſuͤhret iſt. II. Z z 2

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 723. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/815>, abgerufen am 25.11.2024.