res nullius. Jn diesem Zustande konnten die Sa- chen unmöglich bleiben. Die Menschen musten sich derjenigen Dinge, so ihnen nöthig waren, bedienen, und also von denen Sachen, die bißhero niemand ge- höret hatten, einige zueignen. Weil nun ein jeder zu allen Dingen gleich viel Recht hatte: es aber leicht geschehen konnte, und auch wohlunstreitig geschahe, daß ihrer zwey einerley begehrten, so konnte es nim- mer ohne Streit abgehen, so lange nicht ausgemacht war, wem die Sache von rechtswegen zuständig sey. Nun sagte die gesunde Vernunft einem jeden, daß man einem andern nicht thun müsse, was man selbst nicht gerne hat. Daraus war leicht der Schluß zu machen, daß eine jede Sache demjenigen zugehören müsse, der sich am ersten derselben bemächtiget. Denn niemand hat es gerne, daß man ihm dasjenige aus den Händen reisset, was er sich mit Recht zugeeignet hat, und als das Seinige ansiehet.
Hieraus siehet man, daß das Eigenthum etwas ist, das nothwendig entstehen müssen, falls die Menschen nicht in einem beständigen Krieg leben wollen: Und irret sich der Hr. Prof. sehr, wann er meint, das Eigenthum könne nicht, nach der Ab- sicht GOttes, gleich zu Anfange der Welt entstan- den seyn, weil es eine Mutter so vieler Laster, und eine Quelle so vieles Unglücks ist. Jch habe sonst immer gehört, daß die Gemeinschaft eine Mutter des Zancks sey. Communio est mater litium. Her- gegen sagt man, es sey nöthig, daß fest gestellet sey, wem eine jede Sache zuständig expedire Reipubli- cae ut dominia sint certa. Und wenn dann gleich das Eigenthum üble Folgen hat; so ist doch gewiß,
daß
Y y 5
(o)
res nullius. Jn dieſem Zuſtande konnten die Sa- chen unmoͤglich bleiben. Die Menſchen muſten ſich derjenigen Dinge, ſo ihnen noͤthig waren, bedienen, und alſo von denen Sachen, die bißhero niemand ge- hoͤret hatten, einige zueignen. Weil nun ein jeder zu allen Dingen gleich viel Recht hatte: es aber leicht geſchehen konnte, und auch wohlunſtreitig geſchahe, daß ihrer zwey einerley begehrten, ſo konnte es nim- mer ohne Streit abgehen, ſo lange nicht ausgemacht war, wem die Sache von rechtswegen zuſtaͤndig ſey. Nun ſagte die geſunde Vernunft einem jeden, daß man einem andern nicht thun muͤſſe, was man ſelbſt nicht gerne hat. Daraus war leicht der Schluß zu machen, daß eine jede Sache demjenigen zugehoͤren muͤſſe, der ſich am erſten derſelben bemaͤchtiget. Denn niemand hat es gerne, daß man ihm dasjenige aus den Haͤnden reiſſet, was er ſich mit Recht zugeeignet hat, und als das Seinige anſiehet.
Hieraus ſiehet man, daß das Eigenthum etwas iſt, das nothwendig entſtehen muͤſſen, falls die Menſchen nicht in einem beſtaͤndigen Krieg leben wollen: Und irret ſich der Hr. Prof. ſehr, wann er meint, das Eigenthum koͤnne nicht, nach der Ab- ſicht GOttes, gleich zu Anfange der Welt entſtan- den ſeyn, weil es eine Mutter ſo vieler Laſter, und eine Quelle ſo vieles Ungluͤcks iſt. Jch habe ſonſt immer gehoͤrt, daß die Gemeinſchaft eine Mutter des Zancks ſey. Communio eſt mater litium. Her- gegen ſagt man, es ſey noͤthig, daß feſt geſtellet ſey, wem eine jede Sache zuſtaͤndig expedire Reipubli- cæ ut dominia ſint certa. Und wenn dann gleich das Eigenthum uͤble Folgen hat; ſo iſt doch gewiß,
daß
Y y 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0805"n="713"/><fwplace="top"type="header">(<hirendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/><hirendition="#aq">res nullius.</hi> Jn dieſem Zuſtande konnten die Sa-<lb/>
chen unmoͤglich bleiben. Die Menſchen muſten ſich<lb/>
derjenigen Dinge, ſo ihnen noͤthig waren, bedienen,<lb/>
und alſo von denen Sachen, die bißhero niemand ge-<lb/>
hoͤret hatten, einige zueignen. Weil nun ein jeder zu<lb/>
allen Dingen gleich viel Recht hatte: es aber leicht<lb/>
geſchehen konnte, und auch wohlunſtreitig geſchahe,<lb/>
daß ihrer zwey einerley begehrten, ſo konnte es nim-<lb/>
mer ohne Streit abgehen, ſo lange nicht ausgemacht<lb/>
war, wem die Sache von rechtswegen zuſtaͤndig ſey.<lb/>
Nun ſagte die geſunde Vernunft einem jeden, daß<lb/>
man einem andern nicht thun muͤſſe, was man ſelbſt<lb/>
nicht gerne hat. Daraus war leicht der Schluß zu<lb/>
machen, daß eine jede Sache demjenigen zugehoͤren<lb/>
muͤſſe, der ſich am erſten derſelben bemaͤchtiget. Denn<lb/>
niemand hat es gerne, daß man ihm dasjenige aus<lb/>
den Haͤnden reiſſet, was er ſich mit Recht zugeeignet<lb/>
hat, und als das Seinige anſiehet.</p><lb/><p>Hieraus ſiehet man, daß das Eigenthum etwas<lb/>
iſt, das nothwendig entſtehen muͤſſen, falls die<lb/>
Menſchen nicht in einem beſtaͤndigen Krieg leben<lb/>
wollen: Und irret ſich der Hr. Prof. ſehr, wann er<lb/>
meint, das Eigenthum koͤnne nicht, nach der Ab-<lb/>ſicht GOttes, gleich zu Anfange der Welt entſtan-<lb/>
den ſeyn, weil es eine Mutter ſo vieler Laſter, und<lb/>
eine Quelle ſo vieles Ungluͤcks iſt. Jch habe ſonſt<lb/>
immer gehoͤrt, daß die Gemeinſchaft eine Mutter<lb/>
des Zancks ſey. <hirendition="#aq">Communio eſt mater litium.</hi> Her-<lb/>
gegen ſagt man, es ſey noͤthig, daß feſt geſtellet ſey,<lb/>
wem eine jede Sache zuſtaͤndig <hirendition="#aq">expedire Reipubli-<lb/>
cæ ut dominia ſint certa.</hi> Und wenn dann gleich<lb/>
das Eigenthum uͤble Folgen hat; ſo iſt doch gewiß,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Y y 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">daß</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[713/0805]
(o)
res nullius. Jn dieſem Zuſtande konnten die Sa-
chen unmoͤglich bleiben. Die Menſchen muſten ſich
derjenigen Dinge, ſo ihnen noͤthig waren, bedienen,
und alſo von denen Sachen, die bißhero niemand ge-
hoͤret hatten, einige zueignen. Weil nun ein jeder zu
allen Dingen gleich viel Recht hatte: es aber leicht
geſchehen konnte, und auch wohlunſtreitig geſchahe,
daß ihrer zwey einerley begehrten, ſo konnte es nim-
mer ohne Streit abgehen, ſo lange nicht ausgemacht
war, wem die Sache von rechtswegen zuſtaͤndig ſey.
Nun ſagte die geſunde Vernunft einem jeden, daß
man einem andern nicht thun muͤſſe, was man ſelbſt
nicht gerne hat. Daraus war leicht der Schluß zu
machen, daß eine jede Sache demjenigen zugehoͤren
muͤſſe, der ſich am erſten derſelben bemaͤchtiget. Denn
niemand hat es gerne, daß man ihm dasjenige aus
den Haͤnden reiſſet, was er ſich mit Recht zugeeignet
hat, und als das Seinige anſiehet.
Hieraus ſiehet man, daß das Eigenthum etwas
iſt, das nothwendig entſtehen muͤſſen, falls die
Menſchen nicht in einem beſtaͤndigen Krieg leben
wollen: Und irret ſich der Hr. Prof. ſehr, wann er
meint, das Eigenthum koͤnne nicht, nach der Ab-
ſicht GOttes, gleich zu Anfange der Welt entſtan-
den ſeyn, weil es eine Mutter ſo vieler Laſter, und
eine Quelle ſo vieles Ungluͤcks iſt. Jch habe ſonſt
immer gehoͤrt, daß die Gemeinſchaft eine Mutter
des Zancks ſey. Communio eſt mater litium. Her-
gegen ſagt man, es ſey noͤthig, daß feſt geſtellet ſey,
wem eine jede Sache zuſtaͤndig expedire Reipubli-
cæ ut dominia ſint certa. Und wenn dann gleich
das Eigenthum uͤble Folgen hat; ſo iſt doch gewiß,
daß
Y y 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 713. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/805>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.