Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

(o)
res nullius. Jn diesem Zustande konnten die Sa-
chen unmöglich bleiben. Die Menschen musten sich
derjenigen Dinge, so ihnen nöthig waren, bedienen,
und also von denen Sachen, die bißhero niemand ge-
höret hatten, einige zueignen. Weil nun ein jeder zu
allen Dingen gleich viel Recht hatte: es aber leicht
geschehen konnte, und auch wohlunstreitig geschahe,
daß ihrer zwey einerley begehrten, so konnte es nim-
mer ohne Streit abgehen, so lange nicht ausgemacht
war, wem die Sache von rechtswegen zuständig sey.
Nun sagte die gesunde Vernunft einem jeden, daß
man einem andern nicht thun müsse, was man selbst
nicht gerne hat. Daraus war leicht der Schluß zu
machen, daß eine jede Sache demjenigen zugehören
müsse, der sich am ersten derselben bemächtiget. Denn
niemand hat es gerne, daß man ihm dasjenige aus
den Händen reisset, was er sich mit Recht zugeeignet
hat, und als das Seinige ansiehet.

Hieraus siehet man, daß das Eigenthum etwas
ist, das nothwendig entstehen müssen, falls die
Menschen nicht in einem beständigen Krieg leben
wollen: Und irret sich der Hr. Prof. sehr, wann er
meint, das Eigenthum könne nicht, nach der Ab-
sicht GOttes, gleich zu Anfange der Welt entstan-
den seyn, weil es eine Mutter so vieler Laster, und
eine Quelle so vieles Unglücks ist. Jch habe sonst
immer gehört, daß die Gemeinschaft eine Mutter
des Zancks sey. Communio est mater litium. Her-
gegen sagt man, es sey nöthig, daß fest gestellet sey,
wem eine jede Sache zuständig expedire Reipubli-
cae ut dominia sint certa.
Und wenn dann gleich
das Eigenthum üble Folgen hat; so ist doch gewiß,

daß
Y y 5

(o)
res nullius. Jn dieſem Zuſtande konnten die Sa-
chen unmoͤglich bleiben. Die Menſchen muſten ſich
derjenigen Dinge, ſo ihnen noͤthig waren, bedienen,
und alſo von denen Sachen, die bißhero niemand ge-
hoͤret hatten, einige zueignen. Weil nun ein jeder zu
allen Dingen gleich viel Recht hatte: es aber leicht
geſchehen konnte, und auch wohlunſtreitig geſchahe,
daß ihrer zwey einerley begehrten, ſo konnte es nim-
mer ohne Streit abgehen, ſo lange nicht ausgemacht
war, wem die Sache von rechtswegen zuſtaͤndig ſey.
Nun ſagte die geſunde Vernunft einem jeden, daß
man einem andern nicht thun muͤſſe, was man ſelbſt
nicht gerne hat. Daraus war leicht der Schluß zu
machen, daß eine jede Sache demjenigen zugehoͤren
muͤſſe, der ſich am erſten derſelben bemaͤchtiget. Denn
niemand hat es gerne, daß man ihm dasjenige aus
den Haͤnden reiſſet, was er ſich mit Recht zugeeignet
hat, und als das Seinige anſiehet.

Hieraus ſiehet man, daß das Eigenthum etwas
iſt, das nothwendig entſtehen muͤſſen, falls die
Menſchen nicht in einem beſtaͤndigen Krieg leben
wollen: Und irret ſich der Hr. Prof. ſehr, wann er
meint, das Eigenthum koͤnne nicht, nach der Ab-
ſicht GOttes, gleich zu Anfange der Welt entſtan-
den ſeyn, weil es eine Mutter ſo vieler Laſter, und
eine Quelle ſo vieles Ungluͤcks iſt. Jch habe ſonſt
immer gehoͤrt, daß die Gemeinſchaft eine Mutter
des Zancks ſey. Communio eſt mater litium. Her-
gegen ſagt man, es ſey noͤthig, daß feſt geſtellet ſey,
wem eine jede Sache zuſtaͤndig expedire Reipubli-
cæ ut dominia ſint certa.
Und wenn dann gleich
das Eigenthum uͤble Folgen hat; ſo iſt doch gewiß,

daß
Y y 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0805" n="713"/><fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/><hi rendition="#aq">res nullius.</hi> Jn die&#x017F;em Zu&#x017F;tande konnten die Sa-<lb/>
chen unmo&#x0364;glich bleiben. Die Men&#x017F;chen mu&#x017F;ten &#x017F;ich<lb/>
derjenigen Dinge, &#x017F;o ihnen no&#x0364;thig waren, bedienen,<lb/>
und al&#x017F;o von denen Sachen, die bißhero niemand ge-<lb/>
ho&#x0364;ret hatten, einige zueignen. Weil nun ein jeder zu<lb/>
allen Dingen gleich viel Recht hatte: es aber leicht<lb/>
ge&#x017F;chehen konnte, und auch wohlun&#x017F;treitig ge&#x017F;chahe,<lb/>
daß ihrer zwey einerley begehrten, &#x017F;o konnte es nim-<lb/>
mer ohne Streit abgehen, &#x017F;o lange nicht ausgemacht<lb/>
war, wem die Sache von rechtswegen zu&#x017F;ta&#x0364;ndig &#x017F;ey.<lb/>
Nun &#x017F;agte die ge&#x017F;unde Vernunft einem jeden, daß<lb/>
man einem andern nicht thun mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, was man &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
nicht gerne hat. Daraus war leicht der Schluß zu<lb/>
machen, daß eine jede Sache demjenigen zugeho&#x0364;ren<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, der &#x017F;ich am er&#x017F;ten der&#x017F;elben bema&#x0364;chtiget. Denn<lb/>
niemand hat es gerne, daß man ihm dasjenige aus<lb/>
den Ha&#x0364;nden rei&#x017F;&#x017F;et, was er &#x017F;ich mit Recht zugeeignet<lb/>
hat, und als das Seinige an&#x017F;iehet.</p><lb/>
          <p>Hieraus &#x017F;iehet man, daß das Eigenthum etwas<lb/>
i&#x017F;t, das nothwendig ent&#x017F;tehen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, falls die<lb/>
Men&#x017F;chen nicht in einem be&#x017F;ta&#x0364;ndigen Krieg leben<lb/>
wollen: Und irret &#x017F;ich der Hr. Prof. &#x017F;ehr, wann er<lb/>
meint, das Eigenthum ko&#x0364;nne nicht, nach der Ab-<lb/>
&#x017F;icht GOttes, gleich zu Anfange der Welt ent&#x017F;tan-<lb/>
den &#x017F;eyn, weil es eine Mutter &#x017F;o vieler La&#x017F;ter, und<lb/>
eine Quelle &#x017F;o vieles Unglu&#x0364;cks i&#x017F;t. Jch habe &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
immer geho&#x0364;rt, daß die Gemein&#x017F;chaft eine Mutter<lb/>
des Zancks &#x017F;ey. <hi rendition="#aq">Communio e&#x017F;t mater litium.</hi> Her-<lb/>
gegen &#x017F;agt man, es &#x017F;ey no&#x0364;thig, daß fe&#x017F;t ge&#x017F;tellet &#x017F;ey,<lb/>
wem eine jede Sache zu&#x017F;ta&#x0364;ndig <hi rendition="#aq">expedire Reipubli-<lb/>
cæ ut dominia &#x017F;int certa.</hi> Und wenn dann gleich<lb/>
das Eigenthum u&#x0364;ble Folgen hat; &#x017F;o i&#x017F;t doch gewiß,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Y y 5</fw><fw place="bottom" type="catch">daß</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[713/0805] (o) res nullius. Jn dieſem Zuſtande konnten die Sa- chen unmoͤglich bleiben. Die Menſchen muſten ſich derjenigen Dinge, ſo ihnen noͤthig waren, bedienen, und alſo von denen Sachen, die bißhero niemand ge- hoͤret hatten, einige zueignen. Weil nun ein jeder zu allen Dingen gleich viel Recht hatte: es aber leicht geſchehen konnte, und auch wohlunſtreitig geſchahe, daß ihrer zwey einerley begehrten, ſo konnte es nim- mer ohne Streit abgehen, ſo lange nicht ausgemacht war, wem die Sache von rechtswegen zuſtaͤndig ſey. Nun ſagte die geſunde Vernunft einem jeden, daß man einem andern nicht thun muͤſſe, was man ſelbſt nicht gerne hat. Daraus war leicht der Schluß zu machen, daß eine jede Sache demjenigen zugehoͤren muͤſſe, der ſich am erſten derſelben bemaͤchtiget. Denn niemand hat es gerne, daß man ihm dasjenige aus den Haͤnden reiſſet, was er ſich mit Recht zugeeignet hat, und als das Seinige anſiehet. Hieraus ſiehet man, daß das Eigenthum etwas iſt, das nothwendig entſtehen muͤſſen, falls die Menſchen nicht in einem beſtaͤndigen Krieg leben wollen: Und irret ſich der Hr. Prof. ſehr, wann er meint, das Eigenthum koͤnne nicht, nach der Ab- ſicht GOttes, gleich zu Anfange der Welt entſtan- den ſeyn, weil es eine Mutter ſo vieler Laſter, und eine Quelle ſo vieles Ungluͤcks iſt. Jch habe ſonſt immer gehoͤrt, daß die Gemeinſchaft eine Mutter des Zancks ſey. Communio eſt mater litium. Her- gegen ſagt man, es ſey noͤthig, daß feſt geſtellet ſey, wem eine jede Sache zuſtaͤndig expedire Reipubli- cæ ut dominia ſint certa. Und wenn dann gleich das Eigenthum uͤble Folgen hat; ſo iſt doch gewiß, daß Y y 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/805
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 713. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/805>, abgerufen am 02.05.2024.