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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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(o)

Man ist nicht schuldig dem Hrn. Manzel von dem
Unterscheide der wilden und zahmen Thiere die ge-
ringste Ursache zu geben. Die Scrupel, die er sich
darüber macht, kommen nicht viel besser heraus, als
wenn einer sich den Kopf zerbrechen wolte, warum
doch die Schwalbe ihr Nest an den Häusern, und der
Adler semes, wie die Schrift redet, auf dem Felsen
baue? Man begnügt sich, in diesem Fall, zu sagen,
die Natur dieser Thiere bringe es so mit sich: Und es
ist kein Zweifel, daß der Hr. Prof. eben so antworten
würde. Er könnte es also nicht übel nehmen, wenn
man ihm, auf eben die Art, durch alle seine tiefsin-
nigen Gedancken über den Unterscheid der wilden und
zahmen Thiere einen Strich machte. Allein ich glau-
be nicht, daß man dieses nöthig habe, wann eine
Erklärung des Unterscheides unter denen wilden und
zahmen Thieren gefordert wird.

Man kan, deucht mich, mit der größsten Wahr-
scheinlichkeit sagen, daß ein jedes Thier, nach der
Beschafenheit seiner Natur, diejenige Nahrung
suche, welche ihm die gesundeste ist. Diese Nah-
rung finden einige in der Wildniß, andere füglicher,
wenn sie sich zu dem Menschen halten. Diese nen-
net man zahme, iene wilde Thiere.

Der beständige Umgang der zahmen Thiere mit
dem Menschen, nebst dem Guten, welches sie von
demselben geniessen, machet, daß sie nicht vor ihm
fliehen: Und da dieienigen Thiere, welche ihre Nah-
rung auf dem Felde suchen, eines theils den Men-
schen selten sehen, und andern theils von ihm verfol-
get werden, so ist es kein Wunder, daß sie densel-
ben, theils, als ein ihnen ungewohntes, theils

aber,
X x
(o)

Man iſt nicht ſchuldig dem Hrn. Manzel von dem
Unterſcheide der wilden und zahmen Thiere die ge-
ringſte Urſache zu geben. Die Scrupel, die er ſich
daruͤber macht, kommen nicht viel beſſer heraus, als
wenn einer ſich den Kopf zerbrechen wolte, warum
doch die Schwalbe ihr Neſt an den Haͤuſern, und der
Adler ſemes, wie die Schrift redet, auf dem Felſen
baue? Man begnuͤgt ſich, in dieſem Fall, zu ſagen,
die Natur dieſer Thiere bringe es ſo mit ſich: Und es
iſt kein Zweifel, daß der Hr. Prof. eben ſo antworten
wuͤrde. Er koͤnnte es alſo nicht uͤbel nehmen, wenn
man ihm, auf eben die Art, durch alle ſeine tiefſin-
nigen Gedancken uͤber den Unterſcheid der wilden und
zahmen Thiere einen Strich machte. Allein ich glau-
be nicht, daß man dieſes noͤthig habe, wann eine
Erklaͤrung des Unterſcheides unter denen wilden und
zahmen Thieren gefordert wird.

Man kan, deucht mich, mit der groͤßſten Wahr-
ſcheinlichkeit ſagen, daß ein jedes Thier, nach der
Beſchafenheit ſeiner Natur, diejenige Nahrung
ſuche, welche ihm die geſundeſte iſt. Dieſe Nah-
rung finden einige in der Wildniß, andere fuͤglicher,
wenn ſie ſich zu dem Menſchen halten. Dieſe nen-
net man zahme, iene wilde Thiere.

Der beſtaͤndige Umgang der zahmen Thiere mit
dem Menſchen, nebſt dem Guten, welches ſie von
demſelben genieſſen, machet, daß ſie nicht vor ihm
fliehen: Und da dieienigen Thiere, welche ihre Nah-
rung auf dem Felde ſuchen, eines theils den Men-
ſchen ſelten ſehen, und andern theils von ihm verfol-
get werden, ſo iſt es kein Wunder, daß ſie denſel-
ben, theils, als ein ihnen ungewohntes, theils

aber,
X x
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[689/0781] (o) Man iſt nicht ſchuldig dem Hrn. Manzel von dem Unterſcheide der wilden und zahmen Thiere die ge- ringſte Urſache zu geben. Die Scrupel, die er ſich daruͤber macht, kommen nicht viel beſſer heraus, als wenn einer ſich den Kopf zerbrechen wolte, warum doch die Schwalbe ihr Neſt an den Haͤuſern, und der Adler ſemes, wie die Schrift redet, auf dem Felſen baue? Man begnuͤgt ſich, in dieſem Fall, zu ſagen, die Natur dieſer Thiere bringe es ſo mit ſich: Und es iſt kein Zweifel, daß der Hr. Prof. eben ſo antworten wuͤrde. Er koͤnnte es alſo nicht uͤbel nehmen, wenn man ihm, auf eben die Art, durch alle ſeine tiefſin- nigen Gedancken uͤber den Unterſcheid der wilden und zahmen Thiere einen Strich machte. Allein ich glau- be nicht, daß man dieſes noͤthig habe, wann eine Erklaͤrung des Unterſcheides unter denen wilden und zahmen Thieren gefordert wird. Man kan, deucht mich, mit der groͤßſten Wahr- ſcheinlichkeit ſagen, daß ein jedes Thier, nach der Beſchafenheit ſeiner Natur, diejenige Nahrung ſuche, welche ihm die geſundeſte iſt. Dieſe Nah- rung finden einige in der Wildniß, andere fuͤglicher, wenn ſie ſich zu dem Menſchen halten. Dieſe nen- net man zahme, iene wilde Thiere. Der beſtaͤndige Umgang der zahmen Thiere mit dem Menſchen, nebſt dem Guten, welches ſie von demſelben genieſſen, machet, daß ſie nicht vor ihm fliehen: Und da dieienigen Thiere, welche ihre Nah- rung auf dem Felde ſuchen, eines theils den Men- ſchen ſelten ſehen, und andern theils von ihm verfol- get werden, ſo iſt es kein Wunder, daß ſie denſel- ben, theils, als ein ihnen ungewohntes, theils aber, X x

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 689. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/781>, abgerufen am 22.11.2024.