suchen. Jch habe wohl gelesen, was von diesem Fluch in der Bibel stehet; Aber das gehört hier nicht her. Die Vernunft sagt uns, daß nach der Ordnung, die GOtt in die Natur geleget hat, Dorn und Distel, Weitzen und Rocken gleich nothwendig wachsen. Sie findet in der Hervorbringung dieser Dinge nichts, wesfalls sie jene vor eine Folge eines Göttli- chen Fluches, und diese als Spuren eines sonderlichen Seegens ansehen solte. Sie glaubt nicht, daß, wenn dieser eigene Seegen fehlet, der Acker nichts als Dorn und Distel tragen werde. Sie hält sol- che Gedancken einem Poeten, und zwar einem christ- lichen Poeten, zu gute, und wundert sich nicht wann er singt:
"Starre Dornen, rauhe Hecken "Würden nur den Erden-Kreis "Mit verwirrten Stacheln decken "Liesse GOtt aus seinen Tiefen "Nicht des Seegens-Regen triefen.
Allein sie verlanget von einem Weltweisen, der sich anheischig gemacht hat, nach der blossen Vernunft zu reden, daß er sich solcher Sätze enthalte, und begreife, daß, nach der Einrichtung der Welt, Unkraut und Weitzen, Distel und Rocken gleich nothwendig wach- sen, und die Natur sich in Hervorbringung der Dinge, so wir nützlich nennen, keine neue Unkosten und Mühe mache. Der Unterscheid, den wir unter nützlichen und unnützen Gewächsen machen, hat bey GOTT keine Statt. Jhm sind alle seine Geschöpfe gleich lieb: Vor ihm sind sie alle gleich gut. Er hält nicht mehr auf Rocken, als auf Dornen: Er hat keinen grössern Gefallen an Tuberosen, als an Kuh-Blumen. Er
bringt
(o)
ſuchen. Jch habe wohl geleſen, was von dieſem Fluch in der Bibel ſtehet; Aber das gehoͤrt hier nicht her. Die Vernunft ſagt uns, daß nach der Ordnung, die GOtt in die Natur geleget hat, Dorn und Diſtel, Weitzen und Rocken gleich nothwendig wachſen. Sie findet in der Hervorbringung dieſer Dinge nichts, wesfalls ſie jene vor eine Folge eines Goͤttli- chen Fluches, und dieſe als Spuren eines ſonderlichen Seegens anſehen ſolte. Sie glaubt nicht, daß, wenn dieſer eigene Seegen fehlet, der Acker nichts als Dorn und Diſtel tragen werde. Sie haͤlt ſol- che Gedancken einem Poeten, und zwar einem chriſt- lichen Poeten, zu gute, und wundert ſich nicht wann er ſingt:
„Starre Dornen, rauhe Hecken „Wuͤrden nur den Erden-Kreis „Mit verwirrten Stacheln decken „Lieſſe GOtt aus ſeinen Tiefen „Nicht des Seegens-Regen triefen.
Allein ſie verlanget von einem Weltweiſen, der ſich anheiſchig gemacht hat, nach der bloſſen Vernunft zu reden, daß er ſich ſolcher Saͤtze enthalte, und begreife, daß, nach der Einrichtung der Welt, Unkraut und Weitzen, Diſtel und Rocken gleich nothwendig wach- ſen, und die Natur ſich in Hervorbringung der Dinge, ſo wir nuͤtzlich nennen, keine neue Unkoſten und Muͤhe mache. Der Unterſcheid, den wir unter nuͤtzlichen und unnuͤtzen Gewaͤchſen machen, hat bey GOTT keine Statt. Jhm ſind alle ſeine Geſchoͤpfe gleich lieb: Vor ihm ſind ſie alle gleich gut. Er haͤlt nicht mehr auf Rocken, als auf Dornen: Er hat keinen groͤſſern Gefallen an Tuberoſen, als an Kuh-Blumen. Er
bringt
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(o)
ſuchen. Jch habe wohl geleſen, was von dieſem Fluch
in der Bibel ſtehet; Aber das gehoͤrt hier nicht her.
Die Vernunft ſagt uns, daß nach der Ordnung, die
GOtt in die Natur geleget hat, Dorn und Diſtel,
Weitzen und Rocken gleich nothwendig wachſen.
Sie findet in der Hervorbringung dieſer Dinge
nichts, wesfalls ſie jene vor eine Folge eines Goͤttli-
chen Fluches, und dieſe als Spuren eines ſonderlichen
Seegens anſehen ſolte. Sie glaubt nicht, daß,
wenn dieſer eigene Seegen fehlet, der Acker nichts
als Dorn und Diſtel tragen werde. Sie haͤlt ſol-
che Gedancken einem Poeten, und zwar einem chriſt-
lichen Poeten, zu gute, und wundert ſich nicht
wann er ſingt:
„Starre Dornen, rauhe Hecken
„Wuͤrden nur den Erden-Kreis
„Mit verwirrten Stacheln decken
„Lieſſe GOtt aus ſeinen Tiefen
„Nicht des Seegens-Regen triefen.
Allein ſie verlanget von einem Weltweiſen, der ſich
anheiſchig gemacht hat, nach der bloſſen Vernunft zu
reden, daß er ſich ſolcher Saͤtze enthalte, und begreife,
daß, nach der Einrichtung der Welt, Unkraut und
Weitzen, Diſtel und Rocken gleich nothwendig wach-
ſen, und die Natur ſich in Hervorbringung der Dinge,
ſo wir nuͤtzlich nennen, keine neue Unkoſten und Muͤhe
mache. Der Unterſcheid, den wir unter nuͤtzlichen und
unnuͤtzen Gewaͤchſen machen, hat bey GOTT keine
Statt. Jhm ſind alle ſeine Geſchoͤpfe gleich lieb:
Vor ihm ſind ſie alle gleich gut. Er haͤlt nicht mehr
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 678. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/770>, abgerufen am 22.11.2024.
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