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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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(o)
gäbe. Die Thiere haben aber unstreitig nicht gesün-
diget; und daß sie GOtt das Versehen des ersten
Menschen entgelten lassen solte, das ist etwas, eine
Sache, die meinen Witz übersteiget.

III. Jst es falsch, daß der Mensch sich ohne die-
jenigen Früchte, die wir Korn nennen, nicht behelfen
könne. Dieses ist ein Vorurtheil, welches daher
entstanden, weil ietzo das Brodt eine allgemeine Nah-
rung ist, der sich jederman, vom König an biß auf den
Bettler bedienet. Es ist also bey gegenwärtigen Um-
ständen sehr nöthig. Gleichwie uns aber diese Noth-
wendigkeit nicht bewegen kan, den Einfältigen nach-
zuahmen, die kein Stückgen Brodt ohne Grausen
auf die Erde fallen sehen können, und dasselbe mit ei-
ner abergläubigen, lächerlichen Ehrerbietung aufhe-
ben: So solten wir, die wir Philosophi seyn wollen,
auch nicht so einfältig seyn, und sagen, man könne
ohne Brodt nicht leben.

Der Mensch lebet nicht allein vom Brodt, hat
Christus gesagt, und unsere Kinder betens noch
täglich vor Tische. Man hat Leute in der Wild-
niß gefunden, die nimmer Brodt gekostet, und
doch gelebet haben: und wie viele Völcker gibt es
nicht, denen der Gebrauch des Brodts unbekannt ist?
Es giebt in Africa Leute, die nichts essen, als das
Fleisch der Cameele, und nichts trincken, als das
geschmoltzene Fett dieser Thiere: Und von den Grön-
ländern und andern Völckern in dem nordlichen
America ist es gar zu bekannt, daß die gedörreten,
oder halb verfaulten Fische ihre eintzige Nahrung
sind.

Da wir nun das Korn hauptsächlich zur Verfer-

tigung

(o)
gaͤbe. Die Thiere haben aber unſtreitig nicht geſuͤn-
diget; und daß ſie GOtt das Verſehen des erſten
Menſchen entgelten laſſen ſolte, das iſt etwas, eine
Sache, die meinen Witz uͤberſteiget.

III. Jſt es falſch, daß der Menſch ſich ohne die-
jenigen Fruͤchte, die wir Korn nennen, nicht behelfen
koͤnne. Dieſes iſt ein Vorurtheil, welches daher
entſtanden, weil ietzo das Brodt eine allgemeine Nah-
rung iſt, der ſich jederman, vom Koͤnig an biß auf den
Bettler bedienet. Es iſt alſo bey gegenwaͤrtigen Um-
ſtaͤnden ſehr noͤthig. Gleichwie uns aber dieſe Noth-
wendigkeit nicht bewegen kan, den Einfaͤltigen nach-
zuahmen, die kein Stuͤckgen Brodt ohne Grauſen
auf die Erde fallen ſehen koͤnnen, und daſſelbe mit ei-
ner aberglaͤubigen, laͤcherlichen Ehrerbietung aufhe-
ben: So ſolten wir, die wir Philoſophi ſeyn wollen,
auch nicht ſo einfaͤltig ſeyn, und ſagen, man koͤnne
ohne Brodt nicht leben.

Der Menſch lebet nicht allein vom Brodt, hat
Chriſtus geſagt, und unſere Kinder betens noch
taͤglich vor Tiſche. Man hat Leute in der Wild-
niß gefunden, die nimmer Brodt gekoſtet, und
doch gelebet haben: und wie viele Voͤlcker gibt es
nicht, denen der Gebrauch des Brodts unbekannt iſt?
Es giebt in Africa Leute, die nichts eſſen, als das
Fleiſch der Cameele, und nichts trincken, als das
geſchmoltzene Fett dieſer Thiere: Und von den Groͤn-
laͤndern und andern Voͤlckern in dem nordlichen
America iſt es gar zu bekannt, daß die gedoͤrreten,
oder halb verfaulten Fiſche ihre eintzige Nahrung
ſind.

Da wir nun das Korn hauptſaͤchlich zur Verfer-

tigung
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[671/0763] (o) gaͤbe. Die Thiere haben aber unſtreitig nicht geſuͤn- diget; und daß ſie GOtt das Verſehen des erſten Menſchen entgelten laſſen ſolte, das iſt etwas, eine Sache, die meinen Witz uͤberſteiget. III. Jſt es falſch, daß der Menſch ſich ohne die- jenigen Fruͤchte, die wir Korn nennen, nicht behelfen koͤnne. Dieſes iſt ein Vorurtheil, welches daher entſtanden, weil ietzo das Brodt eine allgemeine Nah- rung iſt, der ſich jederman, vom Koͤnig an biß auf den Bettler bedienet. Es iſt alſo bey gegenwaͤrtigen Um- ſtaͤnden ſehr noͤthig. Gleichwie uns aber dieſe Noth- wendigkeit nicht bewegen kan, den Einfaͤltigen nach- zuahmen, die kein Stuͤckgen Brodt ohne Grauſen auf die Erde fallen ſehen koͤnnen, und daſſelbe mit ei- ner aberglaͤubigen, laͤcherlichen Ehrerbietung aufhe- ben: So ſolten wir, die wir Philoſophi ſeyn wollen, auch nicht ſo einfaͤltig ſeyn, und ſagen, man koͤnne ohne Brodt nicht leben. Der Menſch lebet nicht allein vom Brodt, hat Chriſtus geſagt, und unſere Kinder betens noch taͤglich vor Tiſche. Man hat Leute in der Wild- niß gefunden, die nimmer Brodt gekoſtet, und doch gelebet haben: und wie viele Voͤlcker gibt es nicht, denen der Gebrauch des Brodts unbekannt iſt? Es giebt in Africa Leute, die nichts eſſen, als das Fleiſch der Cameele, und nichts trincken, als das geſchmoltzene Fett dieſer Thiere: Und von den Groͤn- laͤndern und andern Voͤlckern in dem nordlichen America iſt es gar zu bekannt, daß die gedoͤrreten, oder halb verfaulten Fiſche ihre eintzige Nahrung ſind. Da wir nun das Korn hauptſaͤchlich zur Verfer- tigung

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 671. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/763>, abgerufen am 22.11.2024.