Schwäche seines Schlusses Ew. Hochwohlgeb. weitläuftig darzuthun: Allein ich kan mich nicht enthalten von der grossen Menge der Gedancken, die mir dabey einfallen, Ew. Hochwohlgeb. nur die ersten die besten zu eröfnen. Damit ich mich nicht verirre, will ich das, was ich dencke, in gewisse An- merckungen einschliessen.
I. Jst es falsch, daß dasjenige, welches zur Erhal- tung unsers Lebens unumgänlich nöthig ist, nicht von sich selbst wachse, und die Thiere in diesem Stücke et- was voraus haben. Denn wenn wirs so gut haben wollen, als die Thiere, so dürfen wir keine weitere Mü- he anwenden uns zu ernähren, als sie.
"Non fuit tam "inimica natura, ut cum omnibus aliis anima- "libus facilem actum vitae daret, homo solus "non posset sine tot artibus vivere. Nihil ho- "rum ab illa nobis imperatum est, nihil aegre "quaerendum, ut possit vita produci. Ad pa- "rata nati sumus, nos omnia nobis difficilia "facilium fastidio fecimus.(10)
II. Wenn aus der Mühe, so eine Creatur zu ihrer Erhaltung sich machen muß, eine Veränderung in der Natur zu schliessen, so können die Thiere, eben wie wir, sprechen, sie hätten ihr vorige Unschuld verlohren. Denn obgleich dieselbe weder säen noch pflügen, so müssen sie doch ihre Nahrung nicht ohne grosse Mühe suchen, und können sie in harten Wintern kaum fin- den; so gar, daß sie oft Hungers sterben müsten, wenn nicht der Mensch ihnen zu der Zeit, wiewohl nicht aus Liebe zu seinen Mit-Geschöpfen, ihr Futter
gäbe.
(10)Seneca Ep. 90.
(o)
Schwaͤche ſeines Schluſſes Ew. Hochwohlgeb. weitlaͤuftig darzuthun: Allein ich kan mich nicht enthalten von der groſſen Menge der Gedancken, die mir dabey einfallen, Ew. Hochwohlgeb. nur die erſten die beſten zu eroͤfnen. Damit ich mich nicht verirre, will ich das, was ich dencke, in gewiſſe An- merckungen einſchlieſſen.
I. Jſt es falſch, daß dasjenige, welches zur Erhal- tung unſers Lebens unumgaͤnlich noͤthig iſt, nicht von ſich ſelbſt wachſe, und die Thiere in dieſem Stuͤcke et- was voraus haben. Denn wenn wirs ſo gut haben wollen, als die Thiere, ſo duͤrfen wir keine weitere Muͤ- he anwenden uns zu ernaͤhren, als ſie.
„Non fuit tam „inimica natura, ut cum omnibus aliis anima- „libus facilem actum vitæ daret, homo ſolus „non poſſet ſine tot artibus vivere. Nihil ho- „rum ab illa nobis imperatum eſt, nihil ægre „quærendum, ut poſſit vita produci. Ad pa- „rata nati ſumus, nos omnia nobis difficilia „facilium faſtidio fecimus.(10)
II. Wenn aus der Muͤhe, ſo eine Creatur zu ihrer Erhaltung ſich machen muß, eine Veraͤnderung in der Natur zu ſchlieſſen, ſo koͤnnen die Thiere, eben wie wir, ſprechen, ſie haͤtten ihr vorige Unſchuld verlohren. Denn obgleich dieſelbe weder ſaͤen noch pfluͤgen, ſo muͤſſen ſie doch ihre Nahrung nicht ohne groſſe Muͤhe ſuchen, und koͤnnen ſie in harten Wintern kaum fin- den; ſo gar, daß ſie oft Hungers ſterben muͤſten, wenn nicht der Menſch ihnen zu der Zeit, wiewohl nicht aus Liebe zu ſeinen Mit-Geſchoͤpfen, ihr Futter
gaͤbe.
(10)Seneca Ep. 90.
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(o)
Schwaͤche ſeines Schluſſes Ew. Hochwohlgeb.
weitlaͤuftig darzuthun: Allein ich kan mich nicht
enthalten von der groſſen Menge der Gedancken,
die mir dabey einfallen, Ew. Hochwohlgeb. nur die
erſten die beſten zu eroͤfnen. Damit ich mich nicht
verirre, will ich das, was ich dencke, in gewiſſe An-
merckungen einſchlieſſen.
I. Jſt es falſch, daß dasjenige, welches zur Erhal-
tung unſers Lebens unumgaͤnlich noͤthig iſt, nicht von
ſich ſelbſt wachſe, und die Thiere in dieſem Stuͤcke et-
was voraus haben. Denn wenn wirs ſo gut haben
wollen, als die Thiere, ſo duͤrfen wir keine weitere Muͤ-
he anwenden uns zu ernaͤhren, als ſie.
„Non fuit tam
„inimica natura, ut cum omnibus aliis anima-
„libus facilem actum vitæ daret, homo ſolus
„non poſſet ſine tot artibus vivere. Nihil ho-
„rum ab illa nobis imperatum eſt, nihil ægre
„quærendum, ut poſſit vita produci. Ad pa-
„rata nati ſumus, nos omnia nobis difficilia
„facilium faſtidio fecimus. (10)
II. Wenn aus der Muͤhe, ſo eine Creatur zu ihrer
Erhaltung ſich machen muß, eine Veraͤnderung in
der Natur zu ſchlieſſen, ſo koͤnnen die Thiere, eben wie
wir, ſprechen, ſie haͤtten ihr vorige Unſchuld verlohren.
Denn obgleich dieſelbe weder ſaͤen noch pfluͤgen, ſo
muͤſſen ſie doch ihre Nahrung nicht ohne groſſe Muͤhe
ſuchen, und koͤnnen ſie in harten Wintern kaum fin-
den; ſo gar, daß ſie oft Hungers ſterben muͤſten,
wenn nicht der Menſch ihnen zu der Zeit, wiewohl
nicht aus Liebe zu ſeinen Mit-Geſchoͤpfen, ihr Futter
gaͤbe.
(10) Seneca Ep. 90.
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 670. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/762>, abgerufen am 22.11.2024.
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