Denn da man GOtt unstreitig vor den" rechten Eigenthums-Herrn aller Creatu-" ren halten muß; so würde daraus, daß" GOtt den ersten Menschen auf dem Erd-" boden gesetzet, noch nicht schlechterdings" folgen, daß denn auch der Mensch sich aller" Creaturen auf demselben ohne Unter-" scheid gebrauchen dürfen, wenn nicht die" Vergünstigung von Seiten GOttes mit" Gewißheit zum Grunde geleget werden" könnte."
Er hält also die Herrschaft des Menschen über die Creaturen, von welcher Moses re- det, zur Beruhigung unsers Gewissens vor unumgänglich nöthig. Er glaubt, wir würden, ohne Furcht und Zittern, kein Huhn schlachten können, wenn wir nicht die Vergünstung von Seiten GOttes ge- wiß wären. Aber ich bekenne, dieses ist mir zu hoch. Mich deucht, die Vernunft ist gar nicht geschickt, uns ein so enges Ge- wissen zu geben, und kein Volck unter der Sonne wird jemahlen, so lange es GOtt nicht mit Casuisten heimsuchet, auf solche Scrupel verfallen. Wäre dieses nicht, so müsten die Hottentotten schon lange vor Hunger gestorben seyn, oder vor Unruhe
ihres
Qq 3
(o)
Denn da man GOtt unſtreitig vor den„ rechten Eigenthums-Herrn aller Creatu-„ ren halten muß; ſo wuͤrde daraus, daß„ GOtt den erſten Menſchen auf dem Erd-„ boden geſetzet, noch nicht ſchlechterdings„ folgen, daß denn auch der Menſch ſich aller„ Creaturen auf demſelben ohne Unter-„ ſcheid gebrauchen duͤrfen, wenn nicht die„ Verguͤnſtigung von Seiten GOttes mit„ Gewißheit zum Grunde geleget werden„ koͤnnte.‟
Er haͤlt alſo die Herrſchaft des Menſchen uͤber die Creaturen, von welcher Moſes re- det, zur Beruhigung unſers Gewiſſens vor unumgaͤnglich noͤthig. Er glaubt, wir wuͤrden, ohne Furcht und Zittern, kein Huhn ſchlachten koͤnnen, wenn wir nicht die Verguͤnſtung von Seiten GOttes ge- wiß waͤren. Aber ich bekenne, dieſes iſt mir zu hoch. Mich deucht, die Vernunft iſt gar nicht geſchickt, uns ein ſo enges Ge- wiſſen zu geben, und kein Volck unter der Sonne wird jemahlen, ſo lange es GOtt nicht mit Caſuiſten heimſuchet, auf ſolche Scrupel verfallen. Waͤre dieſes nicht, ſo muͤſten die Hottentotten ſchon lange vor Hunger geſtorben ſeyn, oder vor Unruhe
ihres
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(o)
Denn da man GOtt unſtreitig vor den„
rechten Eigenthums-Herrn aller Creatu-„
ren halten muß; ſo wuͤrde daraus, daß„
GOtt den erſten Menſchen auf dem Erd-„
boden geſetzet, noch nicht ſchlechterdings„
folgen, daß denn auch der Menſch ſich aller„
Creaturen auf demſelben ohne Unter-„
ſcheid gebrauchen duͤrfen, wenn nicht die„
Verguͤnſtigung von Seiten GOttes mit„
Gewißheit zum Grunde geleget werden„
koͤnnte.‟
Er haͤlt alſo die Herrſchaft des Menſchen
uͤber die Creaturen, von welcher Moſes re-
det, zur Beruhigung unſers Gewiſſens
vor unumgaͤnglich noͤthig. Er glaubt, wir
wuͤrden, ohne Furcht und Zittern, kein
Huhn ſchlachten koͤnnen, wenn wir nicht
die Verguͤnſtung von Seiten GOttes ge-
wiß waͤren. Aber ich bekenne, dieſes iſt
mir zu hoch. Mich deucht, die Vernunft
iſt gar nicht geſchickt, uns ein ſo enges Ge-
wiſſen zu geben, und kein Volck unter der
Sonne wird jemahlen, ſo lange es GOtt
nicht mit Caſuiſten heimſuchet, auf ſolche
Scrupel verfallen. Waͤre dieſes nicht, ſo
muͤſten die Hottentotten ſchon lange vor
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 613. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/705>, abgerufen am 22.11.2024.
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