sich auf eine unangenehme Erfahrung, wel- che die Natur nicht geben kan.
Man muß also den Raupen nicht nur die Fähigkeit beylegen, den Willen des Mensche aus seinen Worten zu erkennen; sondern ih- nen auch die Kräfte zuschreiben, aus Ehr- furcht gegen ihren Herrn, ihre natürlichste und vieleicht eintzige Neigung zu bezwingen. Thut man dieses nicht, so wird das Verbot des ersten Menschen eben so unkräftig und lächerlich, als das Geschrey unserer Kna- ben, die im Sommer hinter den Schmet- terlingen herlaufen, und sie mit höflichen Worten zu bereden suchen, daß sie sich se- tzen, und von ihnen greifen lassen sollen: Und thut man es, so wird alles, was man von der Herrschaft des Menschen über die Thiere saget, eben so wahrscheinlich, als die Fabeln, die man von den Unterredungen des Heil. Franciscus mit seiner Gevatterin der Ameise und der Schwalbe, in dem be- kannten Libro conformitatum lieset.
Was ich von den Raupen gesaget habe, das sage ich auch von den Heuschrecken und Feldmäusen. Die Geschicklichkeit zu gehor- chen, ohne welche alles Befehlen vergeblich ist, fehlte ihnen so wohl, als den Raupen. Jnsonderheit begreife ich nicht, wie der erste
Mensch
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(o)
ſich auf eine unangenehme Erfahrung, wel- che die Natur nicht geben kan.
Man muß alſo den Raupen nicht nur die Faͤhigkeit beylegen, den Willen des Menſchē aus ſeinen Worten zu erkennen; ſondern ih- nen auch die Kraͤfte zuſchreiben, aus Ehr- furcht gegen ihren Herrn, ihre natuͤrlichſte und vieleicht eintzige Neigung zu bezwingen. Thut man dieſes nicht, ſo wird das Verbot des erſten Menſchen eben ſo unkraͤftig und laͤcherlich, als das Geſchrey unſerer Kna- ben, die im Sommer hinter den Schmet- terlingen herlaufen, und ſie mit hoͤflichen Worten zu bereden ſuchen, daß ſie ſich ſe- tzen, und von ihnen greifen laſſen ſollen: Und thut man es, ſo wird alles, was man von der Herrſchaft des Menſchen uͤber die Thiere ſaget, eben ſo wahrſcheinlich, als die Fabeln, die man von den Unterredungen des Heil. Franciſcus mit ſeiner Gevatterin der Ameiſe und der Schwalbe, in dem be- kannten Libro conformitatum lieſet.
Was ich von den Raupen geſaget habe, das ſage ich auch von den Heuſchrecken und Feldmaͤuſen. Die Geſchicklichkeit zu gehor- chen, ohne welche alles Befehlen vergeblich iſt, fehlte ihnen ſo wohl, als den Raupen. Jnſonderheit begreife ich nicht, wie der erſte
Menſch
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(o)
ſich auf eine unangenehme Erfahrung, wel-
che die Natur nicht geben kan.
Man muß alſo den Raupen nicht nur die
Faͤhigkeit beylegen, den Willen des Menſchē
aus ſeinen Worten zu erkennen; ſondern ih-
nen auch die Kraͤfte zuſchreiben, aus Ehr-
furcht gegen ihren Herrn, ihre natuͤrlichſte
und vieleicht eintzige Neigung zu bezwingen.
Thut man dieſes nicht, ſo wird das Verbot
des erſten Menſchen eben ſo unkraͤftig und
laͤcherlich, als das Geſchrey unſerer Kna-
ben, die im Sommer hinter den Schmet-
terlingen herlaufen, und ſie mit hoͤflichen
Worten zu bereden ſuchen, daß ſie ſich ſe-
tzen, und von ihnen greifen laſſen ſollen:
Und thut man es, ſo wird alles, was man
von der Herrſchaft des Menſchen uͤber die
Thiere ſaget, eben ſo wahrſcheinlich, als die
Fabeln, die man von den Unterredungen
des Heil. Franciſcus mit ſeiner Gevatterin
der Ameiſe und der Schwalbe, in dem be-
kannten Libro conformitatum lieſet.
Was ich von den Raupen geſaget habe,
das ſage ich auch von den Heuſchrecken und
Feldmaͤuſen. Die Geſchicklichkeit zu gehor-
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iſt, fehlte ihnen ſo wohl, als den Raupen.
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 609. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/701>, abgerufen am 22.11.2024.
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