Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

(o)
sich auf eine unangenehme Erfahrung, wel-
che die Natur nicht geben kan.

Man muß also den Raupen nicht nur die
Fähigkeit beylegen, den Willen des Mensche
aus seinen Worten zu erkennen; sondern ih-
nen auch die Kräfte zuschreiben, aus Ehr-
furcht gegen ihren Herrn, ihre natürlichste
und vieleicht eintzige Neigung zu bezwingen.
Thut man dieses nicht, so wird das Verbot
des ersten Menschen eben so unkräftig und
lächerlich, als das Geschrey unserer Kna-
ben, die im Sommer hinter den Schmet-
terlingen herlaufen, und sie mit höflichen
Worten zu bereden suchen, daß sie sich se-
tzen, und von ihnen greifen lassen sollen:
Und thut man es, so wird alles, was man
von der Herrschaft des Menschen über die
Thiere saget, eben so wahrscheinlich, als die
Fabeln, die man von den Unterredungen
des Heil. Franciscus mit seiner Gevatterin
der Ameise und der Schwalbe, in dem be-
kannten Libro conformitatum lieset.

Was ich von den Raupen gesaget habe,
das sage ich auch von den Heuschrecken und
Feldmäusen. Die Geschicklichkeit zu gehor-
chen, ohne welche alles Befehlen vergeblich
ist, fehlte ihnen so wohl, als den Raupen.
Jnsonderheit begreife ich nicht, wie der erste

Mensch
Qq

(o)
ſich auf eine unangenehme Erfahrung, wel-
che die Natur nicht geben kan.

Man muß alſo den Raupen nicht nur die
Faͤhigkeit beylegen, den Willen des Menſchē
aus ſeinen Worten zu erkennen; ſondern ih-
nen auch die Kraͤfte zuſchreiben, aus Ehr-
furcht gegen ihren Herrn, ihre natuͤrlichſte
und vieleicht eintzige Neigung zu bezwingen.
Thut man dieſes nicht, ſo wird das Verbot
des erſten Menſchen eben ſo unkraͤftig und
laͤcherlich, als das Geſchrey unſerer Kna-
ben, die im Sommer hinter den Schmet-
terlingen herlaufen, und ſie mit hoͤflichen
Worten zu bereden ſuchen, daß ſie ſich ſe-
tzen, und von ihnen greifen laſſen ſollen:
Und thut man es, ſo wird alles, was man
von der Herrſchaft des Menſchen uͤber die
Thiere ſaget, eben ſo wahrſcheinlich, als die
Fabeln, die man von den Unterredungen
des Heil. Franciſcus mit ſeiner Gevatterin
der Ameiſe und der Schwalbe, in dem be-
kannten Libro conformitatum lieſet.

Was ich von den Raupen geſaget habe,
das ſage ich auch von den Heuſchrecken und
Feldmaͤuſen. Die Geſchicklichkeit zu gehor-
chen, ohne welche alles Befehlen vergeblich
iſt, fehlte ihnen ſo wohl, als den Raupen.
Jnſonderheit begreife ich nicht, wie der erſte

Menſch
Qq
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0701" n="609"/><fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
&#x017F;ich auf eine unangenehme Erfahrung, wel-<lb/>
che die Natur nicht geben kan.</p><lb/>
          <p>Man muß al&#x017F;o den Raupen nicht nur die<lb/>
Fa&#x0364;higkeit beylegen, den Willen des Men&#x017F;ch&#x0113;<lb/>
aus &#x017F;einen Worten zu erkennen; &#x017F;ondern ih-<lb/>
nen auch die Kra&#x0364;fte zu&#x017F;chreiben, aus Ehr-<lb/>
furcht gegen ihren Herrn, ihre natu&#x0364;rlich&#x017F;te<lb/>
und vieleicht eintzige Neigung zu bezwingen.<lb/>
Thut man die&#x017F;es nicht, &#x017F;o wird das Verbot<lb/>
des er&#x017F;ten Men&#x017F;chen eben &#x017F;o unkra&#x0364;ftig und<lb/>
la&#x0364;cherlich, als das Ge&#x017F;chrey un&#x017F;erer Kna-<lb/>
ben, die im Sommer hinter den Schmet-<lb/>
terlingen herlaufen, und &#x017F;ie mit ho&#x0364;flichen<lb/>
Worten zu bereden &#x017F;uchen, daß &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;e-<lb/>
tzen, und von ihnen greifen la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ollen:<lb/>
Und thut man es, &#x017F;o wird alles, was man<lb/>
von der Herr&#x017F;chaft des Men&#x017F;chen u&#x0364;ber die<lb/>
Thiere &#x017F;aget, eben &#x017F;o wahr&#x017F;cheinlich, als die<lb/>
Fabeln, die man von den Unterredungen<lb/>
des Heil. Franci&#x017F;cus mit &#x017F;einer Gevatterin<lb/>
der Amei&#x017F;e und der Schwalbe, in dem be-<lb/>
kannten <hi rendition="#aq">Libro conformitatum</hi> lie&#x017F;et.</p><lb/>
          <p>Was ich von den Raupen ge&#x017F;aget habe,<lb/>
das &#x017F;age ich auch von den Heu&#x017F;chrecken und<lb/>
Feldma&#x0364;u&#x017F;en. Die Ge&#x017F;chicklichkeit zu gehor-<lb/>
chen, ohne welche alles Befehlen vergeblich<lb/>
i&#x017F;t, fehlte ihnen &#x017F;o wohl, als den Raupen.<lb/>
Jn&#x017F;onderheit begreife ich nicht, wie der er&#x017F;te<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Qq</fw><fw place="bottom" type="catch">Men&#x017F;ch</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[609/0701] (o) ſich auf eine unangenehme Erfahrung, wel- che die Natur nicht geben kan. Man muß alſo den Raupen nicht nur die Faͤhigkeit beylegen, den Willen des Menſchē aus ſeinen Worten zu erkennen; ſondern ih- nen auch die Kraͤfte zuſchreiben, aus Ehr- furcht gegen ihren Herrn, ihre natuͤrlichſte und vieleicht eintzige Neigung zu bezwingen. Thut man dieſes nicht, ſo wird das Verbot des erſten Menſchen eben ſo unkraͤftig und laͤcherlich, als das Geſchrey unſerer Kna- ben, die im Sommer hinter den Schmet- terlingen herlaufen, und ſie mit hoͤflichen Worten zu bereden ſuchen, daß ſie ſich ſe- tzen, und von ihnen greifen laſſen ſollen: Und thut man es, ſo wird alles, was man von der Herrſchaft des Menſchen uͤber die Thiere ſaget, eben ſo wahrſcheinlich, als die Fabeln, die man von den Unterredungen des Heil. Franciſcus mit ſeiner Gevatterin der Ameiſe und der Schwalbe, in dem be- kannten Libro conformitatum lieſet. Was ich von den Raupen geſaget habe, das ſage ich auch von den Heuſchrecken und Feldmaͤuſen. Die Geſchicklichkeit zu gehor- chen, ohne welche alles Befehlen vergeblich iſt, fehlte ihnen ſo wohl, als den Raupen. Jnſonderheit begreife ich nicht, wie der erſte Menſch Qq

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/701
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 609. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/701>, abgerufen am 17.05.2024.