Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

(o)
zum besten des Menschen, gemachte Ord-
nung allezeit genau beobachtet haben, oder
nicht? Jst es das erste; so haben sie es ge-
than, entweder weil sie von Natur an den,
zu des Menschen Nahrung bestimmten,
Dingen keinen Geschmack gefunden: oder
sie haben die Begierde, auch von diesen
Dingen zu essen, besieget und gedämpfet.
Auf den ersten Fall würde der Mensch nim-
mer mit den Raupen, Heuschrecken und
Feldmäusen das geringste zu theilen, und
keine Gelegenheit gehabt haben, seine Herr-
schaft über dieselbe, auf die Art, als Herr
Reinbeck meint, zu beweisen. Höchstens
würde seine Herrschaft über dieselbe unge-
fehr so viel bedeutet haben, als diejenige,
Kraft welcher wir noch heutiges Tages den
Hunden verwehren, Heu und Stroh zu
fressen. Haben sie aber ihre Begierde nach
der, vor den Menschen ausgesetzten Speise
besieget; so ist es entweder darum gesche-
hen, weil sie die göttliche Verordnung nicht
überschreiten mögen; oder sie haben es aus
Ehrerbietung gegen den Menschen gethan.
Jenes setzt bey den Thieren Freyheit, Ge-
wissen und Gottesfurcht; und dieses einen
so hohen Grad der Erkänntniß voraus, daß
die Vernunft darüber erstaunen muß. Man

muß

(o)
zum beſten des Menſchen, gemachte Ord-
nung allezeit genau beobachtet haben, oder
nicht? Jſt es das erſte; ſo haben ſie es ge-
than, entweder weil ſie von Natur an den,
zu des Menſchen Nahrung beſtimmten,
Dingen keinen Geſchmack gefunden: oder
ſie haben die Begierde, auch von dieſen
Dingen zu eſſen, beſieget und gedaͤmpfet.
Auf den erſten Fall wuͤrde der Menſch nim-
mer mit den Raupen, Heuſchrecken und
Feldmaͤuſen das geringſte zu theilen, und
keine Gelegenheit gehabt haben, ſeine Herr-
ſchaft uͤber dieſelbe, auf die Art, als Herr
Reinbeck meint, zu beweiſen. Hoͤchſtens
wuͤrde ſeine Herrſchaft uͤber dieſelbe unge-
fehr ſo viel bedeutet haben, als diejenige,
Kraft welcher wir noch heutiges Tages den
Hunden verwehren, Heu und Stroh zu
freſſen. Haben ſie aber ihre Begierde nach
der, vor den Menſchen ausgeſetzten Speiſe
beſieget; ſo iſt es entweder darum geſche-
hen, weil ſie die goͤttliche Verordnung nicht
uͤberſchreiten moͤgen; oder ſie haben es aus
Ehrerbietung gegen den Menſchen gethan.
Jenes ſetzt bey den Thieren Freyheit, Ge-
wiſſen und Gottesfurcht; und dieſes einen
ſo hohen Grad der Erkaͤnntniß voraus, daß
die Vernunft daruͤber erſtaunen muß. Man

muß
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0696" n="604"/><fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
zum be&#x017F;ten des Men&#x017F;chen, gemachte Ord-<lb/>
nung allezeit genau beobachtet haben, oder<lb/>
nicht? J&#x017F;t es das er&#x017F;te; &#x017F;o haben &#x017F;ie es ge-<lb/>
than, entweder weil &#x017F;ie von Natur an den,<lb/>
zu des Men&#x017F;chen Nahrung be&#x017F;timmten,<lb/>
Dingen keinen Ge&#x017F;chmack gefunden: oder<lb/>
&#x017F;ie haben die Begierde, auch von die&#x017F;en<lb/>
Dingen zu e&#x017F;&#x017F;en, be&#x017F;ieget und geda&#x0364;mpfet.<lb/>
Auf den er&#x017F;ten Fall wu&#x0364;rde der Men&#x017F;ch nim-<lb/>
mer mit den Raupen, Heu&#x017F;chrecken und<lb/>
Feldma&#x0364;u&#x017F;en das gering&#x017F;te zu theilen, und<lb/>
keine Gelegenheit gehabt haben, &#x017F;eine Herr-<lb/>
&#x017F;chaft u&#x0364;ber die&#x017F;elbe, auf die Art, als Herr<lb/>
Reinbeck meint, zu bewei&#x017F;en. Ho&#x0364;ch&#x017F;tens<lb/>
wu&#x0364;rde &#x017F;eine Herr&#x017F;chaft u&#x0364;ber die&#x017F;elbe unge-<lb/>
fehr &#x017F;o viel bedeutet haben, als diejenige,<lb/>
Kraft welcher wir noch heutiges Tages den<lb/>
Hunden verwehren, Heu und Stroh zu<lb/>
fre&#x017F;&#x017F;en. Haben &#x017F;ie aber ihre Begierde nach<lb/>
der, vor den Men&#x017F;chen ausge&#x017F;etzten Spei&#x017F;e<lb/>
be&#x017F;ieget; &#x017F;o i&#x017F;t es entweder darum ge&#x017F;che-<lb/>
hen, weil &#x017F;ie die go&#x0364;ttliche Verordnung nicht<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;chreiten mo&#x0364;gen; oder &#x017F;ie haben es aus<lb/>
Ehrerbietung gegen den Men&#x017F;chen gethan.<lb/>
Jenes &#x017F;etzt bey den Thieren Freyheit, Ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en und Gottesfurcht; und die&#x017F;es einen<lb/>
&#x017F;o hohen Grad der Erka&#x0364;nntniß voraus, daß<lb/>
die Vernunft daru&#x0364;ber er&#x017F;taunen muß. Man<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">muß</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[604/0696] (o) zum beſten des Menſchen, gemachte Ord- nung allezeit genau beobachtet haben, oder nicht? Jſt es das erſte; ſo haben ſie es ge- than, entweder weil ſie von Natur an den, zu des Menſchen Nahrung beſtimmten, Dingen keinen Geſchmack gefunden: oder ſie haben die Begierde, auch von dieſen Dingen zu eſſen, beſieget und gedaͤmpfet. Auf den erſten Fall wuͤrde der Menſch nim- mer mit den Raupen, Heuſchrecken und Feldmaͤuſen das geringſte zu theilen, und keine Gelegenheit gehabt haben, ſeine Herr- ſchaft uͤber dieſelbe, auf die Art, als Herr Reinbeck meint, zu beweiſen. Hoͤchſtens wuͤrde ſeine Herrſchaft uͤber dieſelbe unge- fehr ſo viel bedeutet haben, als diejenige, Kraft welcher wir noch heutiges Tages den Hunden verwehren, Heu und Stroh zu freſſen. Haben ſie aber ihre Begierde nach der, vor den Menſchen ausgeſetzten Speiſe beſieget; ſo iſt es entweder darum geſche- hen, weil ſie die goͤttliche Verordnung nicht uͤberſchreiten moͤgen; oder ſie haben es aus Ehrerbietung gegen den Menſchen gethan. Jenes ſetzt bey den Thieren Freyheit, Ge- wiſſen und Gottesfurcht; und dieſes einen ſo hohen Grad der Erkaͤnntniß voraus, daß die Vernunft daruͤber erſtaunen muß. Man muß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/696
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 604. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/696>, abgerufen am 17.05.2024.