Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

(o)
sollte getrachtet haben, GOtt gleich zu wer-
den. Sie hatte eine viel zu grosse Erkännt-
niß GOttes, als daß man dieses, mit Grun-
de, von ihr muthmassen könnte. Jst sie
aber dennoch auf diese Thorheit verfallen,
so wird man der Vernunft nicht verdencken,
daß sie alles, was man sonst von den hohen
Einsichten, und von der vortreflichen Er-
känntniß des ersten Menschen sagt, vor
falsch und erdichtet hält.

Man siehet demnach, daß die Zusätze
des Herrn Reinbecks den Fall des ersten
Menschen nicht wahrscheinlicher machen,
als die Complimente, welche der Ertzbischof
von Vienne, Alcimus Avitus der Schlan-
ge in den Mund leget (*), und daß die Ver-

nunft
(*)
Diese Complimente lauten also:
"O felix, mundiquo decus pulcherrima virgo,
"Ornat quam roseo praefulgens forma pudore.
"Tu generi ventura parens, te maximus orbis
"Exspectat matrem, tu prima & certa voluptas
"Solamenque viri, sine qua nec vivere possit,
"Vt major, sic jure tuo subjectus amori,
"Cui juncta es, pulchram reddas, vt tempore pro-
lem.
"Vobis digna datur paradisi in vertice sedes
"Vos subjecta tremit famulans substantia mundi &c.
Eva ist nicht weniger höflich. Sie antwortet der
Schlange:
"Svavibus o pollens, coluber dulcissime, verbis,
"Non, vt vere, Deus nobis jejunia svafit,
Nec

(o)
ſollte getrachtet haben, GOtt gleich zu wer-
den. Sie hatte eine viel zu groſſe Erkaͤnnt-
niß GOttes, als daß man dieſes, mit Grun-
de, von ihr muthmaſſen koͤnnte. Jſt ſie
aber dennoch auf dieſe Thorheit verfallen,
ſo wird man der Vernunft nicht verdencken,
daß ſie alles, was man ſonſt von den hohen
Einſichten, und von der vortreflichen Er-
kaͤnntniß des erſten Menſchen ſagt, vor
falſch und erdichtet haͤlt.

Man ſiehet demnach, daß die Zuſaͤtze
des Herrn Reinbecks den Fall des erſten
Menſchen nicht wahrſcheinlicher machen,
als die Complimente, welche der Ertzbiſchof
von Vienne, Alcimus Avitus der Schlan-
ge in den Mund leget (*), und daß die Ver-

nunft
(*)
Dieſe Complimente lauten alſo:
„O felix, mundiquo decus pulcherrima virgo,
„Ornat quam roſeo præfulgens forma pudore.
„Tu generi ventura parens, te maximus orbis
„Exſpectat matrem, tu prima & certa voluptas
„Solamenque viri, ſine qua nec vivere posſit,
„Vt major, ſic jure tuo ſubjectus amori,
„Cui juncta es, pulchram reddas, vt tempore pro-
lem.
„Vobis digna datur paradiſi in vertice ſedes
„Vos ſubjecta tremit famulans ſubſtantia mundi &c.
Eva iſt nicht weniger hoͤflich. Sie antwortet der
Schlange:
„Svavibus o pollens, coluber dulcisſime, verbis,
„Non, vt vere, Deus nobis jejunia ſvafit,
Nec
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0690" n="598"/><fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
&#x017F;ollte getrachtet haben, GOtt gleich zu wer-<lb/>
den. Sie hatte eine viel zu gro&#x017F;&#x017F;e Erka&#x0364;nnt-<lb/>
niß GOttes, als daß man die&#x017F;es, mit Grun-<lb/>
de, von ihr muthma&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnte. J&#x017F;t &#x017F;ie<lb/>
aber dennoch auf die&#x017F;e Thorheit verfallen,<lb/>
&#x017F;o wird man der Vernunft nicht verdencken,<lb/>
daß &#x017F;ie alles, was man &#x017F;on&#x017F;t von den hohen<lb/>
Ein&#x017F;ichten, und von der vortreflichen Er-<lb/>
ka&#x0364;nntniß des er&#x017F;ten Men&#x017F;chen &#x017F;agt, vor<lb/>
fal&#x017F;ch und erdichtet ha&#x0364;lt.</p><lb/>
          <p>Man &#x017F;iehet demnach, daß die Zu&#x017F;a&#x0364;tze<lb/>
des Herrn Reinbecks den Fall des er&#x017F;ten<lb/>
Men&#x017F;chen nicht wahr&#x017F;cheinlicher machen,<lb/>
als die Complimente, welche der Ertzbi&#x017F;chof<lb/>
von Vienne, Alcimus Avitus der Schlan-<lb/>
ge in den Mund leget <note xml:id="f11" next="#f12" place="foot" n="(*)"><lg type="poem"><l>Die&#x017F;e Complimente lauten al&#x017F;o:</l><lb/><l><hi rendition="#aq">&#x201E;O felix, mundiquo decus pulcherrima virgo,</hi></l><lb/><l><hi rendition="#aq">&#x201E;Ornat quam ro&#x017F;eo præfulgens forma pudore.</hi></l><lb/><l><hi rendition="#aq">&#x201E;Tu generi ventura parens, te maximus orbis</hi></l><lb/><l><hi rendition="#aq">&#x201E;Ex&#x017F;pectat matrem, tu prima &amp; certa voluptas</hi></l><lb/><l><hi rendition="#aq">&#x201E;Solamenque viri, &#x017F;ine qua nec vivere pos&#x017F;it,</hi></l><lb/><l><hi rendition="#aq">&#x201E;Vt major, &#x017F;ic jure tuo &#x017F;ubjectus amori,</hi></l><lb/><l><hi rendition="#aq">&#x201E;Cui juncta es, pulchram reddas, vt tempore pro-</hi></l><lb/><l><hi rendition="#aq"><hi rendition="#et">lem.</hi></hi></l><lb/><l><hi rendition="#aq">&#x201E;Vobis digna datur paradi&#x017F;i in vertice &#x017F;edes</hi></l><lb/><l><hi rendition="#aq">&#x201E;Vos &#x017F;ubjecta tremit famulans &#x017F;ub&#x017F;tantia mundi &amp;c.</hi></l><lb/><l>Eva i&#x017F;t nicht weniger ho&#x0364;flich. Sie antwortet der</l><lb/><l>Schlange:</l><lb/><l><hi rendition="#aq">&#x201E;Svavibus o pollens, coluber dulcis&#x017F;ime, verbis,</hi></l><lb/><l><hi rendition="#aq">&#x201E;Non, vt vere, Deus nobis jejunia &#x017F;vafit,</hi></l></lg><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">Nec</hi></fw></note>, und daß die Ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nunft</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[598/0690] (o) ſollte getrachtet haben, GOtt gleich zu wer- den. Sie hatte eine viel zu groſſe Erkaͤnnt- niß GOttes, als daß man dieſes, mit Grun- de, von ihr muthmaſſen koͤnnte. Jſt ſie aber dennoch auf dieſe Thorheit verfallen, ſo wird man der Vernunft nicht verdencken, daß ſie alles, was man ſonſt von den hohen Einſichten, und von der vortreflichen Er- kaͤnntniß des erſten Menſchen ſagt, vor falſch und erdichtet haͤlt. Man ſiehet demnach, daß die Zuſaͤtze des Herrn Reinbecks den Fall des erſten Menſchen nicht wahrſcheinlicher machen, als die Complimente, welche der Ertzbiſchof von Vienne, Alcimus Avitus der Schlan- ge in den Mund leget (*), und daß die Ver- nunft (*) Dieſe Complimente lauten alſo: „O felix, mundiquo decus pulcherrima virgo, „Ornat quam roſeo præfulgens forma pudore. „Tu generi ventura parens, te maximus orbis „Exſpectat matrem, tu prima & certa voluptas „Solamenque viri, ſine qua nec vivere posſit, „Vt major, ſic jure tuo ſubjectus amori, „Cui juncta es, pulchram reddas, vt tempore pro- lem. „Vobis digna datur paradiſi in vertice ſedes „Vos ſubjecta tremit famulans ſubſtantia mundi &c. Eva iſt nicht weniger hoͤflich. Sie antwortet der Schlange: „Svavibus o pollens, coluber dulcisſime, verbis, „Non, vt vere, Deus nobis jejunia ſvafit, Nec

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/690
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 598. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/690>, abgerufen am 17.05.2024.