Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

(o)
nen andern Zweck, als sie zu überführen, daß der
Mangel der Vernunft uns nicht so verächtlich ma-
che, als sie sich einbilden; sondern uns vielmehr
die Hochachtung des uns gleichgesinnten Pöbels,
und folglich der meisten Menschen erwerbe. Aber
glauben sie denn, daß wir ohne diese Hochachtung
nicht glücklich seyn können? Jch gestehe, es ist
eine angenehme Sache, von vielen gelobet zu wer-
den: Allein mich deucht, wir würden doch wohl
bleiben, wer wir sind, wenn wir gleich von aller
Welt ausgezischet, und unsere Schriften von nie-
mand gelesen, oder von allen, die sie lesen, geta-
delt würden. Der Mangel der Vernunft, der uns
das Schreiben so leicht, und unsere Schriften dem
Pöbel so angenehm machet, würde uns auch, auf
dem Fall, Dienste thun, wenn der Pöbel sich zu
unsern Feinden schlüge, und wir würden in unserm
Unglück grösser seyn, als bey glücklichen Tagen.

Unsern Feinden kan dieses nicht unglaublich vor-
kommen: denn sie kennen unsere Großmuth, un-
sere Gedult, unsere Gelassenheit. Wir haben ih-
nen, seit der Zeit, daß sie uns geängstiget haben,
so viele ausnehmende Proben davon gegeben, daß
sie darüber erstaunet sind. Was würden sie also
nicht sagen, wenn sie sehen solten, wie wenig wir
uns daraus machen würden, wenn gleich alle, die uns
sonst noch hochgehalten, mit ihnen auf uns loß
stürmeten? Sie hielten es nicht aus, wenn ihnen
dergleichen begegnete, daß weiß ich wohl: Aber
ich kan versichern, daß wir dieses Unglück, wie groß
es auch seyn mag, nicht einmahl empfinden würden.

Wie wenig Verstand wir auch haben, so be-

greifen
Ll 3

(o)
nen andern Zweck, als ſie zu uͤberfuͤhren, daß der
Mangel der Vernunft uns nicht ſo veraͤchtlich ma-
che, als ſie ſich einbilden; ſondern uns vielmehr
die Hochachtung des uns gleichgeſinnten Poͤbels,
und folglich der meiſten Menſchen erwerbe. Aber
glauben ſie denn, daß wir ohne dieſe Hochachtung
nicht gluͤcklich ſeyn koͤnnen? Jch geſtehe, es iſt
eine angenehme Sache, von vielen gelobet zu wer-
den: Allein mich deucht, wir wuͤrden doch wohl
bleiben, wer wir ſind, wenn wir gleich von aller
Welt ausgeziſchet, und unſere Schriften von nie-
mand geleſen, oder von allen, die ſie leſen, geta-
delt wuͤrden. Der Mangel der Vernunft, der uns
das Schreiben ſo leicht, und unſere Schriften dem
Poͤbel ſo angenehm machet, wuͤrde uns auch, auf
dem Fall, Dienſte thun, wenn der Poͤbel ſich zu
unſern Feinden ſchluͤge, und wir wuͤrden in unſerm
Ungluͤck groͤſſer ſeyn, als bey gluͤcklichen Tagen.

Unſern Feinden kan dieſes nicht unglaublich vor-
kommen: denn ſie kennen unſere Großmuth, un-
ſere Gedult, unſere Gelaſſenheit. Wir haben ih-
nen, ſeit der Zeit, daß ſie uns geaͤngſtiget haben,
ſo viele ausnehmende Proben davon gegeben, daß
ſie daruͤber erſtaunet ſind. Was wuͤrden ſie alſo
nicht ſagen, wenn ſie ſehen ſolten, wie wenig wir
uns daraus machen wuͤrden, wenn gleich alle, die uns
ſonſt noch hochgehalten, mit ihnen auf uns loß
ſtuͤrmeten? Sie hielten es nicht aus, wenn ihnen
dergleichen begegnete, daß weiß ich wohl: Aber
ich kan verſichern, daß wir dieſes Ungluͤck, wie groß
es auch ſeyn mag, nicht einmahl empfinden wuͤrden.

Wie wenig Verſtand wir auch haben, ſo be-

greifen
Ll 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0625" n="533"/><fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
nen andern Zweck, als &#x017F;ie zu u&#x0364;berfu&#x0364;hren, daß der<lb/>
Mangel der Vernunft uns nicht &#x017F;o vera&#x0364;chtlich ma-<lb/>
che, als &#x017F;ie &#x017F;ich einbilden; &#x017F;ondern uns vielmehr<lb/>
die Hochachtung des uns gleichge&#x017F;innten Po&#x0364;bels,<lb/>
und folglich der mei&#x017F;ten Men&#x017F;chen erwerbe. Aber<lb/>
glauben &#x017F;ie denn, daß wir ohne die&#x017F;e Hochachtung<lb/>
nicht glu&#x0364;cklich &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen? Jch ge&#x017F;tehe, es i&#x017F;t<lb/>
eine angenehme Sache, von vielen gelobet zu wer-<lb/>
den: Allein mich deucht, wir wu&#x0364;rden doch wohl<lb/>
bleiben, wer wir &#x017F;ind, wenn wir gleich von aller<lb/>
Welt ausgezi&#x017F;chet, und un&#x017F;ere Schriften von nie-<lb/>
mand gele&#x017F;en, oder von allen, die &#x017F;ie le&#x017F;en, geta-<lb/>
delt wu&#x0364;rden. Der Mangel der Vernunft, der uns<lb/>
das Schreiben &#x017F;o leicht, und un&#x017F;ere Schriften dem<lb/>
Po&#x0364;bel &#x017F;o angenehm machet, wu&#x0364;rde uns auch, auf<lb/>
dem Fall, Dien&#x017F;te thun, wenn der Po&#x0364;bel &#x017F;ich zu<lb/>
un&#x017F;ern Feinden &#x017F;chlu&#x0364;ge, und wir wu&#x0364;rden in un&#x017F;erm<lb/>
Unglu&#x0364;ck gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;er &#x017F;eyn, als bey glu&#x0364;cklichen Tagen.</p><lb/>
          <p>Un&#x017F;ern Feinden kan die&#x017F;es nicht unglaublich vor-<lb/>
kommen: denn &#x017F;ie kennen un&#x017F;ere Großmuth, un-<lb/>
&#x017F;ere Gedult, un&#x017F;ere Gela&#x017F;&#x017F;enheit. Wir haben ih-<lb/>
nen, &#x017F;eit der Zeit, daß &#x017F;ie uns gea&#x0364;ng&#x017F;tiget haben,<lb/>
&#x017F;o viele ausnehmende Proben davon gegeben, daß<lb/>
&#x017F;ie daru&#x0364;ber er&#x017F;taunet &#x017F;ind. Was wu&#x0364;rden &#x017F;ie al&#x017F;o<lb/>
nicht &#x017F;agen, wenn &#x017F;ie &#x017F;ehen &#x017F;olten, wie wenig wir<lb/>
uns daraus machen wu&#x0364;rden, wenn gleich alle, die uns<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t noch hochgehalten, mit ihnen auf uns loß<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;rmeten? Sie hielten es nicht aus, wenn ihnen<lb/>
dergleichen begegnete, daß weiß ich wohl: Aber<lb/>
ich kan ver&#x017F;ichern, daß wir die&#x017F;es Unglu&#x0364;ck, wie groß<lb/>
es auch &#x017F;eyn mag, nicht einmahl empfinden wu&#x0364;rden.</p><lb/>
          <p>Wie wenig Ver&#x017F;tand wir auch haben, &#x017F;o be-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Ll 3</fw><fw place="bottom" type="catch">greifen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[533/0625] (o) nen andern Zweck, als ſie zu uͤberfuͤhren, daß der Mangel der Vernunft uns nicht ſo veraͤchtlich ma- che, als ſie ſich einbilden; ſondern uns vielmehr die Hochachtung des uns gleichgeſinnten Poͤbels, und folglich der meiſten Menſchen erwerbe. Aber glauben ſie denn, daß wir ohne dieſe Hochachtung nicht gluͤcklich ſeyn koͤnnen? Jch geſtehe, es iſt eine angenehme Sache, von vielen gelobet zu wer- den: Allein mich deucht, wir wuͤrden doch wohl bleiben, wer wir ſind, wenn wir gleich von aller Welt ausgeziſchet, und unſere Schriften von nie- mand geleſen, oder von allen, die ſie leſen, geta- delt wuͤrden. Der Mangel der Vernunft, der uns das Schreiben ſo leicht, und unſere Schriften dem Poͤbel ſo angenehm machet, wuͤrde uns auch, auf dem Fall, Dienſte thun, wenn der Poͤbel ſich zu unſern Feinden ſchluͤge, und wir wuͤrden in unſerm Ungluͤck groͤſſer ſeyn, als bey gluͤcklichen Tagen. Unſern Feinden kan dieſes nicht unglaublich vor- kommen: denn ſie kennen unſere Großmuth, un- ſere Gedult, unſere Gelaſſenheit. Wir haben ih- nen, ſeit der Zeit, daß ſie uns geaͤngſtiget haben, ſo viele ausnehmende Proben davon gegeben, daß ſie daruͤber erſtaunet ſind. Was wuͤrden ſie alſo nicht ſagen, wenn ſie ſehen ſolten, wie wenig wir uns daraus machen wuͤrden, wenn gleich alle, die uns ſonſt noch hochgehalten, mit ihnen auf uns loß ſtuͤrmeten? Sie hielten es nicht aus, wenn ihnen dergleichen begegnete, daß weiß ich wohl: Aber ich kan verſichern, daß wir dieſes Ungluͤck, wie groß es auch ſeyn mag, nicht einmahl empfinden wuͤrden. Wie wenig Verſtand wir auch haben, ſo be- greifen Ll 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/625
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/625>, abgerufen am 22.11.2024.