Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

(o)
So kan uns doch keiner entwischen; weil wir wie
die Hunde, die das Capitolium bewacheten, den
sichersten Weg gehen (30), und alles, was uns
verdächtig vorkömmt, anbellen. Unsere Feinde ver-
dencken es uns, daß wir so oft einen unnützen Lerm
erregen. Sie wollen, daß man mit Behutsamkeit
und Verstand eyfere: Aber eben dadurch verrathen
sie ihre Schwäche, und geben uns das Zeugniß,
daß wir ohne Nachdencken und Verstand eine der
wichtigsten Pflichten eines Wahrheit und Ord-
nung-liebenden Menschen beobachten können, wel-
ches gewiß nichts geringes ist.

Alles, was ich bißher gesaget habe, ist unstreitig
und klar. Aber, da mir die Hartnäckigkeit und
Boßheit unserer Feinde bekannt ist, so sehe ich vor-
her, daß sie mit einem höhnischen Gelächter sagen
werden: "Sie machten uns unsere Vortreflichkeit
"nicht streitig. Sie glaubten gerne, daß wir ohne
"Vernunft, ohne Nachdencken, und ohne vorher-
"gegangene Prüfung unserer Kräfte schreiben könn-
"ten. Allein unsere Schriften würden denn auch
"darnach. Wir hätten wenig Ehre davon. Nie-
"mand wolte sie kaufen, niemand läse sie, und wer
"sie läse lachte darüber und zischte uns aus." Die-
ser Einwurf kan vielen erschrecklich vorkommen;
Mir aber nicht. Denn ein elender Scribent kan

auch
(30) Cicero Orat. pro Sex. Roscio Amerino. Canes
aluntur in Capitolio, ut significent, si fures ve-
nerint. At fures internoscere non possunt, signi-
ficant tamen si qui noctu in Capitolium venerint, &
quia id est suspieiosum, tametsi bestiae sunt, tamen
in cam partem potius peccant, quae est cautior.

(o)
So kan uns doch keiner entwiſchen; weil wir wie
die Hunde, die das Capitolium bewacheten, den
ſicherſten Weg gehen (30), und alles, was uns
verdaͤchtig vorkoͤmmt, anbellen. Unſere Feinde ver-
dencken es uns, daß wir ſo oft einen unnuͤtzen Lerm
erregen. Sie wollen, daß man mit Behutſamkeit
und Verſtand eyfere: Aber eben dadurch verrathen
ſie ihre Schwaͤche, und geben uns das Zeugniß,
daß wir ohne Nachdencken und Verſtand eine der
wichtigſten Pflichten eines Wahrheit und Ord-
nung-liebenden Menſchen beobachten koͤnnen, wel-
ches gewiß nichts geringes iſt.

Alles, was ich bißher geſaget habe, iſt unſtreitig
und klar. Aber, da mir die Hartnaͤckigkeit und
Boßheit unſerer Feinde bekannt iſt, ſo ſehe ich vor-
her, daß ſie mit einem hoͤhniſchen Gelaͤchter ſagen
werden: „Sie machten uns unſere Vortreflichkeit
„nicht ſtreitig. Sie glaubten gerne, daß wir ohne
„Vernunft, ohne Nachdencken, und ohne vorher-
„gegangene Pruͤfung unſerer Kraͤfte ſchreiben koͤnn-
„ten. Allein unſere Schriften wuͤrden denn auch
„darnach. Wir haͤtten wenig Ehre davon. Nie-
„mand wolte ſie kaufen, niemand laͤſe ſie, und wer
„ſie laͤſe lachte daruͤber und ziſchte uns aus.‟ Die-
ſer Einwurf kan vielen erſchrecklich vorkommen;
Mir aber nicht. Denn ein elender Scribent kan

auch
(30) Cicero Orat. pro Sex. Roſcio Amerino. Canes
aluntur in Capitolio, ut ſignificent, ſi fures ve-
nerint. At fures internoſcere non poſſunt, ſigni-
ficant tamen ſi qui noctu in Capitolium venerint, &
quia id eſt ſuſpieioſum, tametſi beſtiæ ſunt, tamen
in cam partem potius peccant, quæ eſt cautior.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0612" n="520"/><fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
So kan uns doch keiner entwi&#x017F;chen; weil wir wie<lb/>
die Hunde, die das Capitolium bewacheten, den<lb/>
&#x017F;icher&#x017F;ten Weg gehen <note place="foot" n="(30)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Cicero Orat. pro Sex. Ro&#x017F;cio Amerino.</hi> Canes<lb/>
aluntur in Capitolio, ut &#x017F;ignificent, &#x017F;i fures ve-<lb/>
nerint. At fures interno&#x017F;cere non po&#x017F;&#x017F;unt, &#x017F;igni-<lb/>
ficant tamen &#x017F;i qui noctu in Capitolium venerint, &amp;<lb/>
quia id e&#x017F;t &#x017F;u&#x017F;pieio&#x017F;um, tamet&#x017F;i be&#x017F;tiæ &#x017F;unt, tamen<lb/>
in cam partem potius peccant, quæ e&#x017F;t cautior.</hi></note>, und alles, was uns<lb/>
verda&#x0364;chtig vorko&#x0364;mmt, anbellen. Un&#x017F;ere Feinde ver-<lb/>
dencken es uns, daß wir &#x017F;o oft einen unnu&#x0364;tzen Lerm<lb/>
erregen. Sie wollen, daß man mit Behut&#x017F;amkeit<lb/>
und Ver&#x017F;tand eyfere: Aber eben dadurch verrathen<lb/>
&#x017F;ie ihre Schwa&#x0364;che, und geben uns das Zeugniß,<lb/>
daß wir ohne Nachdencken und Ver&#x017F;tand eine der<lb/>
wichtig&#x017F;ten Pflichten eines Wahrheit und Ord-<lb/>
nung-liebenden Men&#x017F;chen beobachten ko&#x0364;nnen, wel-<lb/>
ches gewiß nichts geringes i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Alles, was ich bißher ge&#x017F;aget habe, i&#x017F;t un&#x017F;treitig<lb/>
und klar. Aber, da mir die Hartna&#x0364;ckigkeit und<lb/>
Boßheit un&#x017F;erer Feinde bekannt i&#x017F;t, &#x017F;o &#x017F;ehe ich vor-<lb/>
her, daß &#x017F;ie mit einem ho&#x0364;hni&#x017F;chen Gela&#x0364;chter &#x017F;agen<lb/>
werden: &#x201E;Sie machten uns un&#x017F;ere Vortreflichkeit<lb/>
&#x201E;nicht &#x017F;treitig. Sie glaubten gerne, daß wir ohne<lb/>
&#x201E;Vernunft, ohne Nachdencken, und ohne vorher-<lb/>
&#x201E;gegangene Pru&#x0364;fung un&#x017F;erer Kra&#x0364;fte &#x017F;chreiben ko&#x0364;nn-<lb/>
&#x201E;ten. Allein un&#x017F;ere Schriften wu&#x0364;rden denn auch<lb/>
&#x201E;darnach. Wir ha&#x0364;tten wenig Ehre davon. Nie-<lb/>
&#x201E;mand wolte &#x017F;ie kaufen, niemand la&#x0364;&#x017F;e &#x017F;ie, und wer<lb/>
&#x201E;&#x017F;ie la&#x0364;&#x017F;e lachte daru&#x0364;ber und zi&#x017F;chte uns aus.&#x201F; Die-<lb/>
&#x017F;er Einwurf kan vielen er&#x017F;chrecklich vorkommen;<lb/>
Mir aber nicht. Denn ein elender Scribent kan<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">auch</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[520/0612] (o) So kan uns doch keiner entwiſchen; weil wir wie die Hunde, die das Capitolium bewacheten, den ſicherſten Weg gehen (30), und alles, was uns verdaͤchtig vorkoͤmmt, anbellen. Unſere Feinde ver- dencken es uns, daß wir ſo oft einen unnuͤtzen Lerm erregen. Sie wollen, daß man mit Behutſamkeit und Verſtand eyfere: Aber eben dadurch verrathen ſie ihre Schwaͤche, und geben uns das Zeugniß, daß wir ohne Nachdencken und Verſtand eine der wichtigſten Pflichten eines Wahrheit und Ord- nung-liebenden Menſchen beobachten koͤnnen, wel- ches gewiß nichts geringes iſt. Alles, was ich bißher geſaget habe, iſt unſtreitig und klar. Aber, da mir die Hartnaͤckigkeit und Boßheit unſerer Feinde bekannt iſt, ſo ſehe ich vor- her, daß ſie mit einem hoͤhniſchen Gelaͤchter ſagen werden: „Sie machten uns unſere Vortreflichkeit „nicht ſtreitig. Sie glaubten gerne, daß wir ohne „Vernunft, ohne Nachdencken, und ohne vorher- „gegangene Pruͤfung unſerer Kraͤfte ſchreiben koͤnn- „ten. Allein unſere Schriften wuͤrden denn auch „darnach. Wir haͤtten wenig Ehre davon. Nie- „mand wolte ſie kaufen, niemand laͤſe ſie, und wer „ſie laͤſe lachte daruͤber und ziſchte uns aus.‟ Die- ſer Einwurf kan vielen erſchrecklich vorkommen; Mir aber nicht. Denn ein elender Scribent kan auch (30) Cicero Orat. pro Sex. Roſcio Amerino. Canes aluntur in Capitolio, ut ſignificent, ſi fures ve- nerint. At fures internoſcere non poſſunt, ſigni- ficant tamen ſi qui noctu in Capitolium venerint, & quia id eſt ſuſpieioſum, tametſi beſtiæ ſunt, tamen in cam partem potius peccant, quæ eſt cautior.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/612
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/612>, abgerufen am 17.05.2024.