würde er stille sitzen, und die Hände in den Schooß legen. Jch begreife also nicht, wie es möglich sey, daß kluge Leute sich so grosse Vortheile von dem Siege der Vernunft über die Afecten versprechen können; da es doch so ofenbahr ist: daß ohne die Afecten nicht eine tugendhafte That verrichtet wer- den kan? Montaigne nennet sie mit Recht: des pi- queures & sollicitations acheminans l'ame aux actions vertueuses(17), und scheuet sich nicht, zu behaupten, daß eben die Unordnung, welche die Afecten in unserm Verstande anrichten, uns tugend- haft mache. Par la dislocation que les passions ap- portent a nostre raison, nous devenons vertueux (18).
Jch möchte wohl wissen, ob sich, wenn die Be- gierde nach Ehre und Reichthum von der Ver- nunft unterdrücket, und gäntzlich aus der Men- schen Hertzen ausgerottet wäre, jemand finden würde, der Lust hätte, vor das Beste des Staats, und der Kirche zu wachen? Ob wohl jemand so treuhertzig seyn würde, daß er sein Leben vor sein Vaterland wagte? Ja ob wohl, welches zur Be- schämung unserer Feinde das meiste thut, die gu- ten Scribenten sich die Mühe geben würden, die Welt durch ihre herrlichen Schriften zu erbauen? Jch glaube es nicht, und bin, was die guten Scri- benten insonderheit anlanget, feste versichert, daß sie, wenn die Hofnung des Lobes sie nicht zum Schreiben reitzte, Zahnstöcher aus ihren Federn
machen
(17)Montaigne l. c. p. 431.
(18)ibid. p. 432.
(o)
wuͤrde er ſtille ſitzen, und die Haͤnde in den Schooß legen. Jch begreife alſo nicht, wie es moͤglich ſey, daß kluge Leute ſich ſo groſſe Vortheile von dem Siege der Vernunft uͤber die Afecten verſprechen koͤnnen; da es doch ſo ofenbahr iſt: daß ohne die Afecten nicht eine tugendhafte That verrichtet wer- den kan? Montaigne nennet ſie mit Recht: des pi- queures & ſollicitations acheminans l’ame aux actions vertueuſes(17), und ſcheuet ſich nicht, zu behaupten, daß eben die Unordnung, welche die Afecten in unſerm Verſtande anrichten, uns tugend- haft mache. Par la dislocation que les paſſions ap- portent à noſtre raiſon, nous devenons vertueux (18).
Jch moͤchte wohl wiſſen, ob ſich, wenn die Be- gierde nach Ehre und Reichthum von der Ver- nunft unterdruͤcket, und gaͤntzlich aus der Men- ſchen Hertzen ausgerottet waͤre, jemand finden wuͤrde, der Luſt haͤtte, vor das Beſte des Staats, und der Kirche zu wachen? Ob wohl jemand ſo treuhertzig ſeyn wuͤrde, daß er ſein Leben vor ſein Vaterland wagte? Ja ob wohl, welches zur Be- ſchaͤmung unſerer Feinde das meiſte thut, die gu- ten Scribenten ſich die Muͤhe geben wuͤrden, die Welt durch ihre herrlichen Schriften zu erbauen? Jch glaube es nicht, und bin, was die guten Scri- benten inſonderheit anlanget, feſte verſichert, daß ſie, wenn die Hofnung des Lobes ſie nicht zum Schreiben reitzte, Zahnſtoͤcher aus ihren Federn
machen
(17)Montaigne l. c. p. 431.
(18)ibid. p. 432.
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(o)
wuͤrde er ſtille ſitzen, und die Haͤnde in den Schooß
legen. Jch begreife alſo nicht, wie es moͤglich ſey,
daß kluge Leute ſich ſo groſſe Vortheile von dem
Siege der Vernunft uͤber die Afecten verſprechen
koͤnnen; da es doch ſo ofenbahr iſt: daß ohne die
Afecten nicht eine tugendhafte That verrichtet wer-
den kan? Montaigne nennet ſie mit Recht: des pi-
queures & ſollicitations acheminans l’ame aux
actions vertueuſes (17), und ſcheuet ſich nicht, zu
behaupten, daß eben die Unordnung, welche die
Afecten in unſerm Verſtande anrichten, uns tugend-
haft mache. Par la dislocation que les paſſions ap-
portent à noſtre raiſon, nous devenons vertueux
(18).
Jch moͤchte wohl wiſſen, ob ſich, wenn die Be-
gierde nach Ehre und Reichthum von der Ver-
nunft unterdruͤcket, und gaͤntzlich aus der Men-
ſchen Hertzen ausgerottet waͤre, jemand finden
wuͤrde, der Luſt haͤtte, vor das Beſte des Staats,
und der Kirche zu wachen? Ob wohl jemand ſo
treuhertzig ſeyn wuͤrde, daß er ſein Leben vor ſein
Vaterland wagte? Ja ob wohl, welches zur Be-
ſchaͤmung unſerer Feinde das meiſte thut, die gu-
ten Scribenten ſich die Muͤhe geben wuͤrden, die
Welt durch ihre herrlichen Schriften zu erbauen?
Jch glaube es nicht, und bin, was die guten Scri-
benten inſonderheit anlanget, feſte verſichert, daß
ſie, wenn die Hofnung des Lobes ſie nicht zum
Schreiben reitzte, Zahnſtoͤcher aus ihren Federn
machen
(17) Montaigne l. c. p. 431.
(18) ibid. p. 432.
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/586>, abgerufen am 22.11.2024.
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