Jch bekenne aufrichtig, daß die elenden Scriben- ten ohne Vernunft schreiben. Dieses ist das schwe- re Gebrechen, welches uns in den Augen unserer Feinde so lächerlich und verächtlich macht. Aber eben das Geschrey, so die Verächter elender Schrif- ten darüber erregen, daß die elenden Scribenten ihre Vernunft nicht gebrauchen, beweiset die Un- billigkeit dieser Leute. Jch bitte meine Leser, un- partheyisch zu urtheilen, ob es billig sey, uns elen- de Scribenten um eines Fehlers willen auszuhöh- nen, den wir nicht nur mit unsern Feinden; son- der mit dem gantzen menschlichen Geschlechte, ge- mein haben? Lassen sich die Menschen in ihren Hand- lungen wohl von der Vernunft regieren? Folgen sie nicht allemahl den thörigten Begierden ihres Hertzens? Sie wollen glücklich seyn: Sie wollen vergnügt und lange leben: Sie wissen auch gar wohl, wie sie es anfangen müssen, wenn sie diesen Zweck erlangen wollen. Aber dennoch machen sie sich vorsetzlich selbst unglücklich, verkürtzen ihr Le- ben, und sind ihnen selbst die fruchtbarste Quelle alles Mißvergnügens, welches ihnen dasselbe saur machet. Man kan also, ohne Verletzung der Wahrheit, sagen, daß die Menschen ihre Ver- nunft nicht gebrauchen. Dieses ist ein Satz, den die Thorheiten, die Eitelkeiten, die Laster, und der Aberglaube, worinn das menschliche Geschlecht verfallen ist, hinlänglich beweisen. Die Schrif- ten der Geschicht-Schreiber, Poeten, und Welt- Weisen, sind voll von Klagen über dieses Verder- ben: Und man hat schon lange angemercket, daß, wer recht vernünftig handeln wolle, gerade das Ge-
gentheil
(o)
Jch bekenne aufrichtig, daß die elenden Scriben- ten ohne Vernunft ſchreiben. Dieſes iſt das ſchwe- re Gebrechen, welches uns in den Augen unſerer Feinde ſo laͤcherlich und veraͤchtlich macht. Aber eben das Geſchrey, ſo die Veraͤchter elender Schrif- ten daruͤber erregen, daß die elenden Scribenten ihre Vernunft nicht gebrauchen, beweiſet die Un- billigkeit dieſer Leute. Jch bitte meine Leſer, un- partheyiſch zu urtheilen, ob es billig ſey, uns elen- de Scribenten um eines Fehlers willen auszuhoͤh- nen, den wir nicht nur mit unſern Feinden; ſon- der mit dem gantzen menſchlichen Geſchlechte, ge- mein haben? Laſſen ſich die Menſchen in ihren Hand- lungen wohl von der Vernunft regieren? Folgen ſie nicht allemahl den thoͤrigten Begierden ihres Hertzens? Sie wollen gluͤcklich ſeyn: Sie wollen vergnuͤgt und lange leben: Sie wiſſen auch gar wohl, wie ſie es anfangen muͤſſen, wenn ſie dieſen Zweck erlangen wollen. Aber dennoch machen ſie ſich vorſetzlich ſelbſt ungluͤcklich, verkuͤrtzen ihr Le- ben, und ſind ihnen ſelbſt die fruchtbarſte Quelle alles Mißvergnuͤgens, welches ihnen daſſelbe ſaur machet. Man kan alſo, ohne Verletzung der Wahrheit, ſagen, daß die Menſchen ihre Ver- nunft nicht gebrauchen. Dieſes iſt ein Satz, den die Thorheiten, die Eitelkeiten, die Laſter, und der Aberglaube, worinn das menſchliche Geſchlecht verfallen iſt, hinlaͤnglich beweiſen. Die Schrif- ten der Geſchicht-Schreiber, Poeten, und Welt- Weiſen, ſind voll von Klagen uͤber dieſes Verder- ben: Und man hat ſchon lange angemercket, daß, wer recht vernuͤnftig handeln wolle, gerade das Ge-
gentheil
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Jch bekenne aufrichtig, daß die elenden Scriben-
ten ohne Vernunft ſchreiben. Dieſes iſt das ſchwe-
re Gebrechen, welches uns in den Augen unſerer
Feinde ſo laͤcherlich und veraͤchtlich macht. Aber
eben das Geſchrey, ſo die Veraͤchter elender Schrif-
ten daruͤber erregen, daß die elenden Scribenten
ihre Vernunft nicht gebrauchen, beweiſet die Un-
billigkeit dieſer Leute. Jch bitte meine Leſer, un-
partheyiſch zu urtheilen, ob es billig ſey, uns elen-
de Scribenten um eines Fehlers willen auszuhoͤh-
nen, den wir nicht nur mit unſern Feinden; ſon-
der mit dem gantzen menſchlichen Geſchlechte, ge-
mein haben? Laſſen ſich die Menſchen in ihren Hand-
lungen wohl von der Vernunft regieren? Folgen
ſie nicht allemahl den thoͤrigten Begierden ihres
Hertzens? Sie wollen gluͤcklich ſeyn: Sie wollen
vergnuͤgt und lange leben: Sie wiſſen auch gar
wohl, wie ſie es anfangen muͤſſen, wenn ſie dieſen
Zweck erlangen wollen. Aber dennoch machen ſie
ſich vorſetzlich ſelbſt ungluͤcklich, verkuͤrtzen ihr Le-
ben, und ſind ihnen ſelbſt die fruchtbarſte Quelle
alles Mißvergnuͤgens, welches ihnen daſſelbe ſaur
machet. Man kan alſo, ohne Verletzung der
Wahrheit, ſagen, daß die Menſchen ihre Ver-
nunft nicht gebrauchen. Dieſes iſt ein Satz, den
die Thorheiten, die Eitelkeiten, die Laſter, und der
Aberglaube, worinn das menſchliche Geſchlecht
verfallen iſt, hinlaͤnglich beweiſen. Die Schrif-
ten der Geſchicht-Schreiber, Poeten, und Welt-
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/578>, abgerufen am 22.11.2024.
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