Er weiß, daß man ohne dringende Noht, von den klaren Worten eines Scribenten nicht abweichen müsse. Diese Regel ist so gründlich, daß auch un- sere Gottes-Gelehrten dieselbe in Erklärung heili- ger Schrift zum Grunde legen. Der Hr. M. Sie- vers weiß dieses so gut, als jemand in der Welt. Warum weicht er dann von meinen klaren Wor- ten ab? Warum sucht er, mit Verwerfung des buchstäblichen Verstandes, einen geheimen Sinn?
Jch dencke nicht., daß er sagen werde, es sey eine dringende Noth vorhanden, die ihn zwinge dieses zu thun. Denn diese Antwort würde ihm gar nicht rühmlich seyn. Die eintzige Ursache, warum man eine Schrift, in welcher jemand gelobet wird, vor satyrisch hält, ist, wenn derjenige, der gelobet wird, von den guten Eigenschaften, wesfalls man ihn lobet, nichts, oder wohl gar das Gegentheil an sich hat. Wenn ich demnach z. E. den Hn. Prof. Philippi in Halle als einen grossen Redner und Poeten, und den P. Girard wegen seiner Keuschheit gelobet hätte, so würde man mir nicht Unrecht thun, wenn man sagte, ich habe spotten wollen: Aber da ich an dem Herrn M. Sievers nichts, als solche Tugenden lobe, die er alle in einem hohen Grad besitzet, so hätte ich vermuthet, man würde eher sagen, mein Lob sey vor seine Verdienste noch zu geringe, als mich vor einen Spötter halten. Gewiß diejenigen, welche dieses thun, müssen des Hn. M. Sievers Freunde nicht seyn. So nachtheilig ihr Urtheil mir ist, so schimpf- lich ist es dem Hn. M. Denn der Satz, den sie zum Grunde desselben legen, muß nothwendig dieser
seyn:
(o)
Er weiß, daß man ohne dringende Noht, von den klaren Worten eines Scribenten nicht abweichen muͤſſe. Dieſe Regel iſt ſo gruͤndlich, daß auch un- ſere Gottes-Gelehrten dieſelbe in Erklaͤrung heili- ger Schrift zum Grunde legen. Der Hr. M. Sie- vers weiß dieſes ſo gut, als jemand in der Welt. Warum weicht er dann von meinen klaren Wor- ten ab? Warum ſucht er, mit Verwerfung des buchſtaͤblichen Verſtandes, einen geheimen Sinn?
Jch dencke nicht., daß er ſagen werde, es ſey eine dringende Noth vorhanden, die ihn zwinge dieſes zu thun. Denn dieſe Antwort wuͤrde ihm gar nicht ruͤhmlich ſeyn. Die eintzige Urſache, warum man eine Schrift, in welcher jemand gelobet wird, vor ſatyriſch haͤlt, iſt, wenn derjenige, der gelobet wird, von den guten Eigenſchaften, wesfalls man ihn lobet, nichts, oder wohl gar das Gegentheil an ſich hat. Wenn ich demnach z. E. den Hn. Prof. Philippi in Halle als einen groſſen Redner und Poeten, und den P. Girard wegen ſeiner Keuſchheit gelobet haͤtte, ſo wuͤrde man mir nicht Unrecht thun, wenn man ſagte, ich habe ſpotten wollen: Aber da ich an dem Herrn M. Sievers nichts, als ſolche Tugenden lobe, die er alle in einem hohen Grad beſitzet, ſo haͤtte ich vermuthet, man wuͤrde eher ſagen, mein Lob ſey vor ſeine Verdienſte noch zu geringe, als mich vor einen Spoͤtter halten. Gewiß diejenigen, welche dieſes thun, muͤſſen des Hn. M. Sievers Freunde nicht ſeyn. So nachtheilig ihr Urtheil mir iſt, ſo ſchimpf- lich iſt es dem Hn. M. Denn der Satz, den ſie zum Grunde deſſelben legen, muß nothwendig dieſer
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(o)
Er weiß, daß man ohne dringende Noht, von den
klaren Worten eines Scribenten nicht abweichen
muͤſſe. Dieſe Regel iſt ſo gruͤndlich, daß auch un-
ſere Gottes-Gelehrten dieſelbe in Erklaͤrung heili-
ger Schrift zum Grunde legen. Der Hr. M. Sie-
vers weiß dieſes ſo gut, als jemand in der Welt.
Warum weicht er dann von meinen klaren Wor-
ten ab? Warum ſucht er, mit Verwerfung des
buchſtaͤblichen Verſtandes, einen geheimen Sinn?
Jch dencke nicht., daß er ſagen werde, es ſey
eine dringende Noth vorhanden, die ihn zwinge
dieſes zu thun. Denn dieſe Antwort wuͤrde ihm gar
nicht ruͤhmlich ſeyn. Die eintzige Urſache, warum
man eine Schrift, in welcher jemand gelobet wird,
vor ſatyriſch haͤlt, iſt, wenn derjenige, der gelobet
wird, von den guten Eigenſchaften, wesfalls man
ihn lobet, nichts, oder wohl gar das Gegentheil
an ſich hat. Wenn ich demnach z. E. den Hn.
Prof. Philippi in Halle als einen groſſen Redner
und Poeten, und den P. Girard wegen ſeiner
Keuſchheit gelobet haͤtte, ſo wuͤrde man mir nicht
Unrecht thun, wenn man ſagte, ich habe ſpotten
wollen: Aber da ich an dem Herrn M. Sievers
nichts, als ſolche Tugenden lobe, die er alle in
einem hohen Grad beſitzet, ſo haͤtte ich vermuthet,
man wuͤrde eher ſagen, mein Lob ſey vor ſeine
Verdienſte noch zu geringe, als mich vor einen
Spoͤtter halten. Gewiß diejenigen, welche dieſes
thun, muͤſſen des Hn. M. Sievers Freunde nicht
ſeyn. So nachtheilig ihr Urtheil mir iſt, ſo ſchimpf-
lich iſt es dem Hn. M. Denn der Satz, den ſie zum
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/208>, abgerufen am 21.11.2024.
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