war es mir leicht, hinter die Wahrheit zu kom- men.
Jch hatte den Tag vorher eine grosse Gesellschafft gelehrter Leute von allerhand Art bey mir gehabt. Jn einer solchen Gesellschafft wird gemeiniglich viel gere- det. Jch gerieht also auf die Gedancken, daß der Athem dieser gelehrten Versammlung ein grosses zu den wunderbaren Figuren meiner Fenster-Scheibe beygetragen habe, wo nicht gar die einzige Ursache der- selben gewesen sey: Und diese Gedancken kamen mir um so viel gegründeter vor, je unstreitiger es ist, daß die stärckste Ausdünstung des menschlichen Cörpers durch den Athem geschiehet. Die Ausdünstungen aber der in einem Zimmer befindlichen Cörper sind die Ursache, warum die Fenster bey kaltem Wetter mit Eis beleget werden.
Jch hatte also glücklich entdecket, was es vor Dün- ste gewesen, welche verursachet, daß meine Fenster ge- froren. Aber darum wuste ich noch nicht, woher die seltsamen und nachdencklichen Figuren entstanden. Jch muste also weiter nachsinnen: Solte nun meine Mühe nicht vergeblich seyn, so war es nöthig, daß ich die Natur der Ausdünstungen, die den Stoff zu den seltsamen Figuren meiner Fenster-Scheibe abgegeben hatten, genauer untersuchte. Jch that es, und befand, daß diese Ausdünstungen in dem Athem der in mei- ner Stuben versammleten Gelehrten bestanden; daß dieser Athem grösten Theils von ihnen gegangen sey, wann sie gesprochen, und daß sie nur gesprochen, um ihre Gedancken auszudrücken. Aus diesen unstreiti- gen Wahrheiten machte ich folgenden Schluß, den ein jeder, der fähig ist, von der Stärcke und
Schwä-
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war es mir leicht, hinter die Wahrheit zu kom- men.
Jch hatte den Tag vorher eine groſſe Geſellſchafft gelehrter Leute von allerhand Art bey mir gehabt. Jn einer ſolchen Geſellſchafft wird gemeiniglich viel gere- det. Jch gerieht alſo auf die Gedancken, daß der Athem dieſer gelehrten Verſammlung ein groſſes zu den wunderbaren Figuren meiner Fenſter-Scheibe beygetragen habe, wo nicht gar die einzige Urſache der- ſelben geweſen ſey: Und dieſe Gedancken kamen mir um ſo viel gegruͤndeter vor, je unſtreitiger es iſt, daß die ſtaͤrckſte Ausduͤnſtung des menſchlichen Coͤrpers durch den Athem geſchiehet. Die Ausduͤnſtungen aber der in einem Zimmer befindlichen Coͤrper ſind die Urſache, warum die Fenſter bey kaltem Wetter mit Eis beleget werden.
Jch hatte alſo gluͤcklich entdecket, was es vor Duͤn- ſte geweſen, welche verurſachet, daß meine Fenſter ge- froren. Aber darum wuſte ich noch nicht, woher die ſeltſamen und nachdencklichen Figuren entſtanden. Jch muſte alſo weiter nachſinnen: Solte nun meine Muͤhe nicht vergeblich ſeyn, ſo war es noͤthig, daß ich die Natur der Ausduͤnſtungen, die den Stoff zu den ſeltſamen Figuren meiner Fenſter-Scheibe abgegeben hatten, genauer unterſuchte. Jch that es, und befand, daß dieſe Ausduͤnſtungen in dem Athem der in mei- ner Stuben verſammleten Gelehrten beſtanden; daß dieſer Athem groͤſten Theils von ihnen gegangen ſey, wann ſie geſprochen, und daß ſie nur geſprochen, um ihre Gedancken auszudruͤcken. Aus dieſen unſtreiti- gen Wahrheiten machte ich folgenden Schluß, den ein jeder, der faͤhig iſt, von der Staͤrcke und
Schwaͤ-
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war es mir leicht, hinter die Wahrheit zu kom-
men.
Jch hatte den Tag vorher eine groſſe Geſellſchafft
gelehrter Leute von allerhand Art bey mir gehabt. Jn
einer ſolchen Geſellſchafft wird gemeiniglich viel gere-
det. Jch gerieht alſo auf die Gedancken, daß der
Athem dieſer gelehrten Verſammlung ein groſſes zu
den wunderbaren Figuren meiner Fenſter-Scheibe
beygetragen habe, wo nicht gar die einzige Urſache der-
ſelben geweſen ſey: Und dieſe Gedancken kamen mir
um ſo viel gegruͤndeter vor, je unſtreitiger es iſt, daß
die ſtaͤrckſte Ausduͤnſtung des menſchlichen Coͤrpers
durch den Athem geſchiehet. Die Ausduͤnſtungen
aber der in einem Zimmer befindlichen Coͤrper ſind die
Urſache, warum die Fenſter bey kaltem Wetter mit
Eis beleget werden.
Jch hatte alſo gluͤcklich entdecket, was es vor Duͤn-
ſte geweſen, welche verurſachet, daß meine Fenſter ge-
froren. Aber darum wuſte ich noch nicht, woher die
ſeltſamen und nachdencklichen Figuren entſtanden.
Jch muſte alſo weiter nachſinnen: Solte nun meine
Muͤhe nicht vergeblich ſeyn, ſo war es noͤthig, daß ich
die Natur der Ausduͤnſtungen, die den Stoff zu den
ſeltſamen Figuren meiner Fenſter-Scheibe abgegeben
hatten, genauer unterſuchte. Jch that es, und befand,
daß dieſe Ausduͤnſtungen in dem Athem der in mei-
ner Stuben verſammleten Gelehrten beſtanden; daß
dieſer Athem groͤſten Theils von ihnen gegangen ſey,
wann ſie geſprochen, und daß ſie nur geſprochen, um
ihre Gedancken auszudruͤcken. Aus dieſen unſtreiti-
gen Wahrheiten machte ich folgenden Schluß, den
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/159>, abgerufen am 22.11.2024.
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