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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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(o)

Jn Spanien buder sich der Pöbel ein, ein Ketzer
sey ein Thier, das Hörner und Klauen hat. Unser Jrr-
thum, in Ansehung der Samojeden, ist gewiß nicht
kleiner gewesen. Kaum hat man bishero geglaubet,
daß ihr Vaterland von vernünfftigen Creaturen be-
wohnet werde: So scheußlich hat man uns dessen
Einwohner abgemahlet. Urtheilen Sie demnach,
mein Herr, wie groß meine Verwunderung gewesen
seyn müsse, als ich Dero herrliche Schrifften gelesen.

Gewiß, mein Herr, ich bin erstaunet, daß ein Poet,
der in einem so kalten Lande gebohren ist, in seinen Ge-
dichten so viel Feuer zeigen könne, und muß bekennen,
daß die Einfälle unserer Dichter, gegen die ihrigen zu
rechnen, kälter sind, als alle Eis-Berge in der Meer-
Enge Weygatz.

Sie schreiben so hoch und prächtig, als ein Araber,
und ich wüste keinen unter den Alten, der ihnen
gleich zu schätzen sey, als den Pindarus. Jch weiß
nicht, ob Sie denselben gelesen haben; das weiß ich, daß
ihre vortreffliche Ode eben die Bewegungen in mei-
nem Gemüthe erreget, die ich spüre, wann ich diesen
alten Griechen lese: Und einer meiner Freunde hat
mir zu geschworen, er verstünde von ihrer Ode eben so
viel, als vom Pindarus.

Jch glaube es ihm gerne, und bin versichert, daß al-
le unsere Gelehrten, die sich so klug düncken, und so ge-
neigt sind andere zu verachten, von Jhren Schrifften
nicht das Geringste verstehen. Jch habe noch keinen
gesehen, der nicht Nase und Maul aufgesperret hätte,
wann er von den herrlichen Nachrichten gehöret, die
Sie uns von Nova Zembla geben. Wie groß wird
nicht ihre Besturtzung seyn, wann sie des Hn. Medley

vor-
(o)

Jn Spanien buder ſich der Poͤbel ein, ein Ketzer
ſey ein Thier, das Hoͤrner und Klauen hat. Unſer Jrr-
thum, in Anſehung der Samojeden, iſt gewiß nicht
kleiner geweſen. Kaum hat man bishero geglaubet,
daß ihr Vaterland von vernuͤnfftigen Creaturen be-
wohnet werde: So ſcheußlich hat man uns deſſen
Einwohner abgemahlet. Urtheilen Sie demnach,
mein Herr, wie groß meine Verwunderung geweſen
ſeyn muͤſſe, als ich Dero herrliche Schrifften geleſen.

Gewiß, mein Herr, ich bin erſtaunet, daß ein Poet,
der in einem ſo kalten Lande gebohren iſt, in ſeinen Ge-
dichten ſo viel Feuer zeigen koͤnne, und muß bekennen,
daß die Einfaͤlle unſerer Dichter, gegen die ihrigen zu
rechnen, kaͤlter ſind, als alle Eis-Berge in der Meer-
Enge Weygatz.

Sie ſchreiben ſo hoch und praͤchtig, als ein Araber,
und ich wuͤſte keinen unter den Alten, der ihnen
gleich zu ſchaͤtzen ſey, als den Pindarus. Jch weiß
nicht, ob Sie denſelben geleſen haben; das weiß ich, daß
ihre vortreffliche Ode eben die Bewegungen in mei-
nem Gemuͤthe erreget, die ich ſpuͤre, wann ich dieſen
alten Griechen leſe: Und einer meiner Freunde hat
mir zu geſchworen, er verſtuͤnde von ihrer Ode eben ſo
viel, als vom Pindarus.

Jch glaube es ihm gerne, und bin verſichert, daß al-
le unſere Gelehrten, die ſich ſo klug duͤncken, und ſo ge-
neigt ſind andere zu verachten, von Jhren Schrifften
nicht das Geringſte verſtehen. Jch habe noch keinen
geſehen, der nicht Naſe und Maul aufgeſperret haͤtte,
wann er von den herrlichen Nachrichten gehoͤret, die
Sie uns von Nova Zembla geben. Wie groß wird
nicht ihre Beſturtzung ſeyn, wann ſie des Hn. Medley

vor-
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[48/0140] (o) Jn Spanien buder ſich der Poͤbel ein, ein Ketzer ſey ein Thier, das Hoͤrner und Klauen hat. Unſer Jrr- thum, in Anſehung der Samojeden, iſt gewiß nicht kleiner geweſen. Kaum hat man bishero geglaubet, daß ihr Vaterland von vernuͤnfftigen Creaturen be- wohnet werde: So ſcheußlich hat man uns deſſen Einwohner abgemahlet. Urtheilen Sie demnach, mein Herr, wie groß meine Verwunderung geweſen ſeyn muͤſſe, als ich Dero herrliche Schrifften geleſen. Gewiß, mein Herr, ich bin erſtaunet, daß ein Poet, der in einem ſo kalten Lande gebohren iſt, in ſeinen Ge- dichten ſo viel Feuer zeigen koͤnne, und muß bekennen, daß die Einfaͤlle unſerer Dichter, gegen die ihrigen zu rechnen, kaͤlter ſind, als alle Eis-Berge in der Meer- Enge Weygatz. Sie ſchreiben ſo hoch und praͤchtig, als ein Araber, und ich wuͤſte keinen unter den Alten, der ihnen gleich zu ſchaͤtzen ſey, als den Pindarus. Jch weiß nicht, ob Sie denſelben geleſen haben; das weiß ich, daß ihre vortreffliche Ode eben die Bewegungen in mei- nem Gemuͤthe erreget, die ich ſpuͤre, wann ich dieſen alten Griechen leſe: Und einer meiner Freunde hat mir zu geſchworen, er verſtuͤnde von ihrer Ode eben ſo viel, als vom Pindarus. Jch glaube es ihm gerne, und bin verſichert, daß al- le unſere Gelehrten, die ſich ſo klug duͤncken, und ſo ge- neigt ſind andere zu verachten, von Jhren Schrifften nicht das Geringſte verſtehen. Jch habe noch keinen geſehen, der nicht Naſe und Maul aufgeſperret haͤtte, wann er von den herrlichen Nachrichten gehoͤret, die Sie uns von Nova Zembla geben. Wie groß wird nicht ihre Beſturtzung ſeyn, wann ſie des Hn. Medley vor-

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/140>, abgerufen am 28.03.2024.