Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

(o)
stand kömmt vor Jahren nicht: Allein ich weiß auch,
daß dieses Sprichwort von alten Leuten herrühre.
Die Alten sind, wie jederman weiß, neidisch und ei-
gensinnig. Die guten Leute meinen, sie hätten alle
Weißheit gefressen: Was sie sagen, das muß vom
Himmel herab geredet seyn, und was ein junger
Mensch vorbringet, das muß Kinderey heissen, es
sey auch so klug, als es wolle. Aber es giebt, zu allem
Glücke, so viele alte Narren, daß niemand an der
Wahrheit des Sprichworts: Alter schadt der Thor-
heit nicht, zweifeln kan, und die Alten sind selbst so
wenig in Abrede, daß die Kräffte ihres Verstandes
mit den Jahren abnehmen, daß vielmehr die Em-
pfindung dieser Abnahme ihnen die bittersten Klagen
auspresset: Ja die Macht der Wahrheit ist so groß,
daß sie offt, wieder ihren Willen, mit Unmuth beken-
nen, und sprechen müssen: Die Jungen sind immer
klüger als die Alten. Ein Mensch, der den Vorsatz
hat, sich durch seine Schrifften um die Welt verdient
zu machen, thut demnach sehr wohl, wenn er bey zei-
ten anfängt, und die Zeit, da sein Verstand in seiner
besten Blüthe ist, mit dieser edlen Bemühung zu-
bringet. Die Bücher, welche wir schreiben, sind
die Kinder unsers Verstandes, und die Zeugung dieser
geistlichen Kindersetzt eben so wohl, als die Zeugung
der leiblichen eine Beschaffenheit unserer Kräffte
voraus, die man bey den Alten vergebens suchet, und
nirgends besser, als bey frischen Jünglingen findet.
Wir heyrathen also, wann wir noch jung sind, und
dieses hat, nach einem sehr bekannten Sprichwort,
noch niemand gereuet. Die Ursache davon ist leicht
zu begreiffen: Denn auf solche Art können wir hoffen,

unsere

(o)
ſtand koͤmmt vor Jahren nicht: Allein ich weiß auch,
daß dieſes Sprichwort von alten Leuten herruͤhre.
Die Alten ſind, wie jederman weiß, neidiſch und ei-
genſinnig. Die guten Leute meinen, ſie haͤtten alle
Weißheit gefreſſen: Was ſie ſagen, das muß vom
Himmel herab geredet ſeyn, und was ein junger
Menſch vorbringet, das muß Kinderey heiſſen, es
ſey auch ſo klug, als es wolle. Aber es giebt, zu allem
Gluͤcke, ſo viele alte Narren, daß niemand an der
Wahrheit des Sprichworts: Alter ſchadt der Thor-
heit nicht, zweifeln kan, und die Alten ſind ſelbſt ſo
wenig in Abrede, daß die Kraͤffte ihres Verſtandes
mit den Jahren abnehmen, daß vielmehr die Em-
pfindung dieſer Abnahme ihnen die bitterſten Klagen
auspreſſet: Ja die Macht der Wahrheit iſt ſo groß,
daß ſie offt, wieder ihren Willen, mit Unmuth beken-
nen, und ſprechen muͤſſen: Die Jungen ſind immer
kluͤger als die Alten. Ein Menſch, der den Vorſatz
hat, ſich durch ſeine Schrifften um die Welt verdient
zu machen, thut demnach ſehr wohl, wenn er bey zei-
ten anfaͤngt, und die Zeit, da ſein Verſtand in ſeiner
beſten Bluͤthe iſt, mit dieſer edlen Bemuͤhung zu-
bringet. Die Buͤcher, welche wir ſchreiben, ſind
die Kinder unſers Verſtandes, und die Zeugung dieſer
geiſtlichen Kinderſetzt eben ſo wohl, als die Zeugung
der leiblichen eine Beſchaffenheit unſerer Kraͤffte
voraus, die man bey den Alten vergebens ſuchet, und
nirgends beſſer, als bey friſchen Juͤnglingen findet.
Wir heyrathen alſo, wann wir noch jung ſind, und
dieſes hat, nach einem ſehr bekannten Sprichwort,
noch niemand gereuet. Die Urſache davon iſt leicht
zu begreiffen: Denn auf ſolche Art koͤnnen wir hoffen,

unſere
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0132" n="42"/><fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
&#x017F;tand ko&#x0364;mmt vor Jahren nicht: Allein ich weiß auch,<lb/>
daß die&#x017F;es Sprichwort von alten Leuten herru&#x0364;hre.<lb/>
Die Alten &#x017F;ind, wie jederman weiß, neidi&#x017F;ch und ei-<lb/>
gen&#x017F;innig. Die guten Leute meinen, &#x017F;ie ha&#x0364;tten alle<lb/>
Weißheit gefre&#x017F;&#x017F;en: Was &#x017F;ie &#x017F;agen, das muß vom<lb/>
Himmel herab geredet &#x017F;eyn, und was ein junger<lb/>
Men&#x017F;ch vorbringet, das muß Kinderey hei&#x017F;&#x017F;en, es<lb/>
&#x017F;ey auch &#x017F;o klug, als es wolle. Aber es giebt, zu allem<lb/>
Glu&#x0364;cke, &#x017F;o viele alte Narren, daß niemand an der<lb/>
Wahrheit des Sprichworts: Alter &#x017F;chadt der Thor-<lb/>
heit nicht, zweifeln kan, und die Alten &#x017F;ind &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;o<lb/>
wenig in Abrede, daß die Kra&#x0364;ffte ihres Ver&#x017F;tandes<lb/>
mit den Jahren abnehmen, daß vielmehr die Em-<lb/>
pfindung die&#x017F;er Abnahme ihnen die bitter&#x017F;ten Klagen<lb/>
auspre&#x017F;&#x017F;et: Ja die Macht der Wahrheit i&#x017F;t &#x017F;o groß,<lb/>
daß &#x017F;ie offt, wieder ihren Willen, mit Unmuth beken-<lb/>
nen, und &#x017F;prechen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en: Die Jungen &#x017F;ind immer<lb/>
klu&#x0364;ger als die Alten. Ein Men&#x017F;ch, der den Vor&#x017F;atz<lb/>
hat, &#x017F;ich durch &#x017F;eine Schrifften um die Welt verdient<lb/>
zu machen, thut demnach &#x017F;ehr wohl, wenn er bey zei-<lb/>
ten anfa&#x0364;ngt, und die Zeit, da &#x017F;ein Ver&#x017F;tand in &#x017F;einer<lb/>
be&#x017F;ten Blu&#x0364;the i&#x017F;t, mit die&#x017F;er edlen Bemu&#x0364;hung zu-<lb/>
bringet. Die Bu&#x0364;cher, welche wir &#x017F;chreiben, &#x017F;ind<lb/>
die Kinder un&#x017F;ers Ver&#x017F;tandes, und die Zeugung die&#x017F;er<lb/>
gei&#x017F;tlichen Kinder&#x017F;etzt eben &#x017F;o wohl, als die Zeugung<lb/>
der leiblichen eine Be&#x017F;chaffenheit un&#x017F;erer Kra&#x0364;ffte<lb/>
voraus, die man bey den Alten vergebens &#x017F;uchet, und<lb/>
nirgends be&#x017F;&#x017F;er, als bey fri&#x017F;chen Ju&#x0364;nglingen findet.<lb/>
Wir heyrathen al&#x017F;o, wann wir noch jung &#x017F;ind, und<lb/>
die&#x017F;es hat, nach einem &#x017F;ehr bekannten Sprichwort,<lb/>
noch niemand gereuet. Die Ur&#x017F;ache davon i&#x017F;t leicht<lb/>
zu begreiffen: Denn auf &#x017F;olche Art ko&#x0364;nnen wir hoffen,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">un&#x017F;ere</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0132] (o) ſtand koͤmmt vor Jahren nicht: Allein ich weiß auch, daß dieſes Sprichwort von alten Leuten herruͤhre. Die Alten ſind, wie jederman weiß, neidiſch und ei- genſinnig. Die guten Leute meinen, ſie haͤtten alle Weißheit gefreſſen: Was ſie ſagen, das muß vom Himmel herab geredet ſeyn, und was ein junger Menſch vorbringet, das muß Kinderey heiſſen, es ſey auch ſo klug, als es wolle. Aber es giebt, zu allem Gluͤcke, ſo viele alte Narren, daß niemand an der Wahrheit des Sprichworts: Alter ſchadt der Thor- heit nicht, zweifeln kan, und die Alten ſind ſelbſt ſo wenig in Abrede, daß die Kraͤffte ihres Verſtandes mit den Jahren abnehmen, daß vielmehr die Em- pfindung dieſer Abnahme ihnen die bitterſten Klagen auspreſſet: Ja die Macht der Wahrheit iſt ſo groß, daß ſie offt, wieder ihren Willen, mit Unmuth beken- nen, und ſprechen muͤſſen: Die Jungen ſind immer kluͤger als die Alten. Ein Menſch, der den Vorſatz hat, ſich durch ſeine Schrifften um die Welt verdient zu machen, thut demnach ſehr wohl, wenn er bey zei- ten anfaͤngt, und die Zeit, da ſein Verſtand in ſeiner beſten Bluͤthe iſt, mit dieſer edlen Bemuͤhung zu- bringet. Die Buͤcher, welche wir ſchreiben, ſind die Kinder unſers Verſtandes, und die Zeugung dieſer geiſtlichen Kinderſetzt eben ſo wohl, als die Zeugung der leiblichen eine Beſchaffenheit unſerer Kraͤffte voraus, die man bey den Alten vergebens ſuchet, und nirgends beſſer, als bey friſchen Juͤnglingen findet. Wir heyrathen alſo, wann wir noch jung ſind, und dieſes hat, nach einem ſehr bekannten Sprichwort, noch niemand gereuet. Die Urſache davon iſt leicht zu begreiffen: Denn auf ſolche Art koͤnnen wir hoffen, unſere

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/132
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/132>, abgerufen am 21.11.2024.