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Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889.

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Vögeln ausgeübt werden können, wie zuletzt berechnet, und
wonach der Storch schon eine Pferdekraft gebraucht, ist un-
wahrscheinlich und nach dem, was wir über die Eigenschaften
der Muskelsubstanz wissen, als unmöglich anzusehen. Der
ebenfalls berechnete sichtbare Kraftaufwand, der jedenfalls
mit der Wirklichkeit in engerem Zusammenhange steht, er-
giebt hingegen für die Muskelanstrengungen der Vögel Re-
sultate, nach denen letztere zwar auch als mit starken Muskeln
organisierte Wesen erscheinen, welche jedoch die Grenzen des
Natürlichen nicht überschreiten.

Hier kommt nun noch hinzu, dass, wie jeder aufmerksame
Beobachter der Vogelwelt weiss, viele Vögel imstande sind,
fast ohne Flügelschlag, also auch fast ohne Muskelanstren-
gung sich scheinbar segelnd oder schwebend in der Luft zu
halten, ohne zu sinken. Wir nehmen diese Erscheinungen an
den meisten Raub- und Sumpfvögeln, sowie fast an allen See-
vögeln wahr. Dieselben bedienen sich, wenn auch nicht aus-
schliesslich, so doch vielfältig des Segelfluges, woraus zu
folgern ist, dass der Segelflug besonders für gewisse Arten
der Fortbewegung in der Luft oder besonders für gewisse
Zustände der Luft geeignet ist.

Immerhin ist festgestellt, dass unter gewissen Umständen
ein lange dauerndes Fliegen ohne wesentliche Flügelschläge
möglich sein muss, und dass für viele Fälle ein Fliegen in
der Luft mit Hülfe von geeigneten Flügeln bewirkt werden
kann, zu welchem nur eine äusserst geringe motorische
Leistung nötig ist, sogar nur ein Kraftaufwand, welcher schein-
bar noch geringer ist, als der zum Gehen auf der Erde
erforderliche.

Nur unter Annahme dieser äusserst geringen Fliegearbeit
ist auch die Ausdauer, welche viele Vögel beim Fliegen be-
thätigen, denkbar. Viele unter ihnen fliegen thatsächlich den
ganzen Tag vom Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, ohne
sichtbare Ermüdung. Schon alle unsere Schwalbenarten, die
buchstäblich in der Luft leben, liefern uns hierfür ein gutes
Beispiel. Lassen sich doch diese eigentlich nur dann nieder

Vögeln ausgeübt werden können, wie zuletzt berechnet, und
wonach der Storch schon eine Pferdekraft gebraucht, ist un-
wahrscheinlich und nach dem, was wir über die Eigenschaften
der Muskelsubstanz wissen, als unmöglich anzusehen. Der
ebenfalls berechnete sichtbare Kraftaufwand, der jedenfalls
mit der Wirklichkeit in engerem Zusammenhange steht, er-
giebt hingegen für die Muskelanstrengungen der Vögel Re-
sultate, nach denen letztere zwar auch als mit starken Muskeln
organisierte Wesen erscheinen, welche jedoch die Grenzen des
Natürlichen nicht überschreiten.

Hier kommt nun noch hinzu, daſs, wie jeder aufmerksame
Beobachter der Vogelwelt weiſs, viele Vögel imstande sind,
fast ohne Flügelschlag, also auch fast ohne Muskelanstren-
gung sich scheinbar segelnd oder schwebend in der Luft zu
halten, ohne zu sinken. Wir nehmen diese Erscheinungen an
den meisten Raub- und Sumpfvögeln, sowie fast an allen See-
vögeln wahr. Dieselben bedienen sich, wenn auch nicht aus-
schlieſslich, so doch vielfältig des Segelfluges, woraus zu
folgern ist, daſs der Segelflug besonders für gewisse Arten
der Fortbewegung in der Luft oder besonders für gewisse
Zustände der Luft geeignet ist.

Immerhin ist festgestellt, daſs unter gewissen Umständen
ein lange dauerndes Fliegen ohne wesentliche Flügelschläge
möglich sein muſs, und daſs für viele Fälle ein Fliegen in
der Luft mit Hülfe von geeigneten Flügeln bewirkt werden
kann, zu welchem nur eine äuſserst geringe motorische
Leistung nötig ist, sogar nur ein Kraftaufwand, welcher schein-
bar noch geringer ist, als der zum Gehen auf der Erde
erforderliche.

Nur unter Annahme dieser äusserst geringen Fliegearbeit
ist auch die Ausdauer, welche viele Vögel beim Fliegen be-
thätigen, denkbar. Viele unter ihnen fliegen thatsächlich den
ganzen Tag vom Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, ohne
sichtbare Ermüdung. Schon alle unsere Schwalbenarten, die
buchstäblich in der Luft leben, liefern uns hierfür ein gutes
Beispiel. Lassen sich doch diese eigentlich nur dann nieder

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[27/0043] Vögeln ausgeübt werden können, wie zuletzt berechnet, und wonach der Storch schon eine Pferdekraft gebraucht, ist un- wahrscheinlich und nach dem, was wir über die Eigenschaften der Muskelsubstanz wissen, als unmöglich anzusehen. Der ebenfalls berechnete sichtbare Kraftaufwand, der jedenfalls mit der Wirklichkeit in engerem Zusammenhange steht, er- giebt hingegen für die Muskelanstrengungen der Vögel Re- sultate, nach denen letztere zwar auch als mit starken Muskeln organisierte Wesen erscheinen, welche jedoch die Grenzen des Natürlichen nicht überschreiten. Hier kommt nun noch hinzu, daſs, wie jeder aufmerksame Beobachter der Vogelwelt weiſs, viele Vögel imstande sind, fast ohne Flügelschlag, also auch fast ohne Muskelanstren- gung sich scheinbar segelnd oder schwebend in der Luft zu halten, ohne zu sinken. Wir nehmen diese Erscheinungen an den meisten Raub- und Sumpfvögeln, sowie fast an allen See- vögeln wahr. Dieselben bedienen sich, wenn auch nicht aus- schlieſslich, so doch vielfältig des Segelfluges, woraus zu folgern ist, daſs der Segelflug besonders für gewisse Arten der Fortbewegung in der Luft oder besonders für gewisse Zustände der Luft geeignet ist. Immerhin ist festgestellt, daſs unter gewissen Umständen ein lange dauerndes Fliegen ohne wesentliche Flügelschläge möglich sein muſs, und daſs für viele Fälle ein Fliegen in der Luft mit Hülfe von geeigneten Flügeln bewirkt werden kann, zu welchem nur eine äuſserst geringe motorische Leistung nötig ist, sogar nur ein Kraftaufwand, welcher schein- bar noch geringer ist, als der zum Gehen auf der Erde erforderliche. Nur unter Annahme dieser äusserst geringen Fliegearbeit ist auch die Ausdauer, welche viele Vögel beim Fliegen be- thätigen, denkbar. Viele unter ihnen fliegen thatsächlich den ganzen Tag vom Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, ohne sichtbare Ermüdung. Schon alle unsere Schwalbenarten, die buchstäblich in der Luft leben, liefern uns hierfür ein gutes Beispiel. Lassen sich doch diese eigentlich nur dann nieder

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Zitationshilfe: Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lilienthal_vogelflug_1889/43>, abgerufen am 19.04.2024.