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Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889.

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Wenn eine Kraft auf einen freien, ruhenden Körper stetig
wirkt, so beginnt der Körper in der Richtung der Kraftwir-
kung sich zu bewegen und an Geschwindigkeit stetig zuzu-
nehmen. Die Grösse der Bewegung in jedem Augenblick wird
durch den in einer Sekunde zurückgelegten Weg gemessen,
wenn die Bewegung während dieser Sekunde gleichmässig
wäre. Man nennt diesen sekundlichen Weg die Geschwindig-
keit eines Körpers.

Die Anziehungskraft der Erde oder Schwerkraft wird
einem Vogel in der Luft, dem plötzlich die Fähigkeit des
Fliegens genommen ist, eine nach unten gerichtete Bewegung
erteilen, welche an Geschwindigkeit stetig zunimmt; der Vogel
wird fallen, bis er an der Erde liegt.

Ein solches Fallen in der Luft giebt aber keine genaue
Darstellung von der Wirkung der Schwerkraft, weil der Wider-
stand der Luft die Fallgeschwindigkeit sowie die Fallrichtung
beeinträchtigt.

Die unbeschränkte Wirkung der Schwerkraft lässt sich
daher nur im luftleeren Raum feststellen, und in diesem fällt
jeder Körper ohne Rücksicht auf seine sonstige Beschaffenheit
mit derselben gleichmässig zunehmenden Schnelligkeit und
zwar so, dass er am Ende der ersten Sekunde eine Geschwin-
digkeit von 9,81 m hat, die stetig und gleichmässig zunimmt,
sich also nach jeder ferneren Sekunde um 9,81 m vermehrt.
Diese sekundliche Zunahme der Geschwindigkeit nennt man
Beschleunigung. Die Beschleunigung der Schwerkraft ist also
9,81 m.

Auch an dem nicht aus der Luft geschossenen, fliegenden
Vogel wird die Beschleunigung der Schwerkraft sichtbar sein;
denn wenn der Vogel zu neuem Flügelschlage ausholt, setzt
sofort die Schwerkraft mit ihrer Beschleunigung ein, und senkt
den Vogel um ein Geringes, bis der neue Flügelniederschlag
erfolgt, der den Vogelkörper um die gefallene Strecke wieder
hebt und so die Wirkung der Schwerkraft ausgleicht.

Die Anziehungskraft der Erde ist aber nicht die einzige
Kraft, die auf den Vogel wirkt, vielmehr verdankt er seine

Wenn eine Kraft auf einen freien, ruhenden Körper stetig
wirkt, so beginnt der Körper in der Richtung der Kraftwir-
kung sich zu bewegen und an Geschwindigkeit stetig zuzu-
nehmen. Die Gröſse der Bewegung in jedem Augenblick wird
durch den in einer Sekunde zurückgelegten Weg gemessen,
wenn die Bewegung während dieser Sekunde gleichmäſsig
wäre. Man nennt diesen sekundlichen Weg die Geschwindig-
keit eines Körpers.

Die Anziehungskraft der Erde oder Schwerkraft wird
einem Vogel in der Luft, dem plötzlich die Fähigkeit des
Fliegens genommen ist, eine nach unten gerichtete Bewegung
erteilen, welche an Geschwindigkeit stetig zunimmt; der Vogel
wird fallen, bis er an der Erde liegt.

Ein solches Fallen in der Luft giebt aber keine genaue
Darstellung von der Wirkung der Schwerkraft, weil der Wider-
stand der Luft die Fallgeschwindigkeit sowie die Fallrichtung
beeinträchtigt.

Die unbeschränkte Wirkung der Schwerkraft läſst sich
daher nur im luftleeren Raum feststellen, und in diesem fällt
jeder Körper ohne Rücksicht auf seine sonstige Beschaffenheit
mit derselben gleichmäſsig zunehmenden Schnelligkeit und
zwar so, daſs er am Ende der ersten Sekunde eine Geschwin-
digkeit von 9,81 m hat, die stetig und gleichmäſsig zunimmt,
sich also nach jeder ferneren Sekunde um 9,81 m vermehrt.
Diese sekundliche Zunahme der Geschwindigkeit nennt man
Beschleunigung. Die Beschleunigung der Schwerkraft ist also
9,81 m.

Auch an dem nicht aus der Luft geschossenen, fliegenden
Vogel wird die Beschleunigung der Schwerkraft sichtbar sein;
denn wenn der Vogel zu neuem Flügelschlage ausholt, setzt
sofort die Schwerkraft mit ihrer Beschleunigung ein, und senkt
den Vogel um ein Geringes, bis der neue Flügelniederschlag
erfolgt, der den Vogelkörper um die gefallene Strecke wieder
hebt und so die Wirkung der Schwerkraft ausgleicht.

Die Anziehungskraft der Erde ist aber nicht die einzige
Kraft, die auf den Vogel wirkt, vielmehr verdankt er seine

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[9/0025] Wenn eine Kraft auf einen freien, ruhenden Körper stetig wirkt, so beginnt der Körper in der Richtung der Kraftwir- kung sich zu bewegen und an Geschwindigkeit stetig zuzu- nehmen. Die Gröſse der Bewegung in jedem Augenblick wird durch den in einer Sekunde zurückgelegten Weg gemessen, wenn die Bewegung während dieser Sekunde gleichmäſsig wäre. Man nennt diesen sekundlichen Weg die Geschwindig- keit eines Körpers. Die Anziehungskraft der Erde oder Schwerkraft wird einem Vogel in der Luft, dem plötzlich die Fähigkeit des Fliegens genommen ist, eine nach unten gerichtete Bewegung erteilen, welche an Geschwindigkeit stetig zunimmt; der Vogel wird fallen, bis er an der Erde liegt. Ein solches Fallen in der Luft giebt aber keine genaue Darstellung von der Wirkung der Schwerkraft, weil der Wider- stand der Luft die Fallgeschwindigkeit sowie die Fallrichtung beeinträchtigt. Die unbeschränkte Wirkung der Schwerkraft läſst sich daher nur im luftleeren Raum feststellen, und in diesem fällt jeder Körper ohne Rücksicht auf seine sonstige Beschaffenheit mit derselben gleichmäſsig zunehmenden Schnelligkeit und zwar so, daſs er am Ende der ersten Sekunde eine Geschwin- digkeit von 9,81 m hat, die stetig und gleichmäſsig zunimmt, sich also nach jeder ferneren Sekunde um 9,81 m vermehrt. Diese sekundliche Zunahme der Geschwindigkeit nennt man Beschleunigung. Die Beschleunigung der Schwerkraft ist also 9,81 m. Auch an dem nicht aus der Luft geschossenen, fliegenden Vogel wird die Beschleunigung der Schwerkraft sichtbar sein; denn wenn der Vogel zu neuem Flügelschlage ausholt, setzt sofort die Schwerkraft mit ihrer Beschleunigung ein, und senkt den Vogel um ein Geringes, bis der neue Flügelniederschlag erfolgt, der den Vogelkörper um die gefallene Strecke wieder hebt und so die Wirkung der Schwerkraft ausgleicht. Die Anziehungskraft der Erde ist aber nicht die einzige Kraft, die auf den Vogel wirkt, vielmehr verdankt er seine

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Zitationshilfe: Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lilienthal_vogelflug_1889/25>, abgerufen am 16.04.2024.