Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

dasselbe wie bei dem getöteten Vogel nicht straff anliegt,
dazu beigetragen, ihm den Ruf der Leichtigkeit zu verschaffen.
Von dem gerupften Vogel kann man entschieden nicht be-
haupten, dass er verhältnismässig leichter sei als andere Tiere;
auch unsere Hausfrauen stehen wohl nicht unter dem Eindruck,
dass ein Kilogramm Vogelfleisch, und seien auch die hohlen
Knochen dabei mitgewogen, umfangreicher aussieht als das
gleiche Gewicht von Fleischnahrung aus dem Reiche der
Säugetiere.

Wenn nun zu dem gerupften Vogel die Federn noch hinzu-
kommen, so wird er dadurch auch nicht leichter, sondern
schwerer; denn auch die Federn sind schwerer als die Luft.

Die Federbekleidung kann daher, wenn sie dem Vogel
auch die Entfaltung seiner Schwingen ermöglicht, und seine
Gestalt zum leichteren Durchschneiden der Luft abrundet und
glättet, kein besonderer Faktor zu seiner leichteren Erhebung
in die Luft sein. Es ist vielmehr anzunehmen, dass bei den
fliegenden Tieren die freie Erhebung von der Erde und das
Beharren in der Luft, sowie die schnelle Fortbewegung durch
die Luft mit Hülfe gewisser mechanischer Vorgänge statt-
findet, welche möglicher Weise auch künstlich erzeugt und
mittelst geeigneter Vorrichtungen auch von Wesen ausgeführt
werden können, welche nicht gerade zum Fliegen geboren sind.

Das Element der fliegenden Tiere ist die Luft. Die ge-
ringe Dichtigkeit der Luft gestattet aber nicht, darin zu
schweben und darin herumzuschwimmen, wie es die Fische
im Wasser vermögen, sondern eine stetig unterhaltene Bewe-
gungswirkung zwischen der Luft und den Trageflächen oder
Flügeln der fliegenden Tiere, oft mit grossen Muskelanstren-
gungen verbunden, muss dafür sorgen, dass ein Herabfallen
aus der Luft verhindert wird.

Jedoch diese geringe Dichtigkeit der Luft, welche das
freie Erheben in derselben erschwert, gewährt andererseits
einen grossen Vorteil für die sich in der Luft bewegenden Tiere.

Das auf der geringen Dichtigkeit beruhende leichte Durch-
dringen der Luft gestattet vielen Tieren mit ausserordentlicher

dasselbe wie bei dem getöteten Vogel nicht straff anliegt,
dazu beigetragen, ihm den Ruf der Leichtigkeit zu verschaffen.
Von dem gerupften Vogel kann man entschieden nicht be-
haupten, daſs er verhältnismäſsig leichter sei als andere Tiere;
auch unsere Hausfrauen stehen wohl nicht unter dem Eindruck,
daſs ein Kilogramm Vogelfleisch, und seien auch die hohlen
Knochen dabei mitgewogen, umfangreicher aussieht als das
gleiche Gewicht von Fleischnahrung aus dem Reiche der
Säugetiere.

Wenn nun zu dem gerupften Vogel die Federn noch hinzu-
kommen, so wird er dadurch auch nicht leichter, sondern
schwerer; denn auch die Federn sind schwerer als die Luft.

Die Federbekleidung kann daher, wenn sie dem Vogel
auch die Entfaltung seiner Schwingen ermöglicht, und seine
Gestalt zum leichteren Durchschneiden der Luft abrundet und
glättet, kein besonderer Faktor zu seiner leichteren Erhebung
in die Luft sein. Es ist vielmehr anzunehmen, daſs bei den
fliegenden Tieren die freie Erhebung von der Erde und das
Beharren in der Luft, sowie die schnelle Fortbewegung durch
die Luft mit Hülfe gewisser mechanischer Vorgänge statt-
findet, welche möglicher Weise auch künstlich erzeugt und
mittelst geeigneter Vorrichtungen auch von Wesen ausgeführt
werden können, welche nicht gerade zum Fliegen geboren sind.

Das Element der fliegenden Tiere ist die Luft. Die ge-
ringe Dichtigkeit der Luft gestattet aber nicht, darin zu
schweben und darin herumzuschwimmen, wie es die Fische
im Wasser vermögen, sondern eine stetig unterhaltene Bewe-
gungswirkung zwischen der Luft und den Trageflächen oder
Flügeln der fliegenden Tiere, oft mit groſsen Muskelanstren-
gungen verbunden, muſs dafür sorgen, daſs ein Herabfallen
aus der Luft verhindert wird.

Jedoch diese geringe Dichtigkeit der Luft, welche das
freie Erheben in derselben erschwert, gewährt andererseits
einen groſsen Vorteil für die sich in der Luft bewegenden Tiere.

Das auf der geringen Dichtigkeit beruhende leichte Durch-
dringen der Luft gestattet vielen Tieren mit auſserordentlicher

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0020" n="4"/>
dasselbe wie bei dem getöteten Vogel nicht straff anliegt,<lb/>
dazu beigetragen, ihm den Ruf der Leichtigkeit zu verschaffen.<lb/>
Von dem gerupften Vogel kann man entschieden nicht be-<lb/>
haupten, da&#x017F;s er verhältnismä&#x017F;sig leichter sei als andere Tiere;<lb/>
auch unsere Hausfrauen stehen wohl nicht unter dem Eindruck,<lb/>
da&#x017F;s ein Kilogramm Vogelfleisch, und seien auch die hohlen<lb/>
Knochen dabei mitgewogen, umfangreicher aussieht als das<lb/>
gleiche Gewicht von Fleischnahrung aus dem Reiche der<lb/>
Säugetiere.</p><lb/>
        <p>Wenn nun zu dem gerupften Vogel die Federn noch hinzu-<lb/>
kommen, so wird er dadurch auch nicht leichter, sondern<lb/>
schwerer; denn auch die Federn sind schwerer als die Luft.</p><lb/>
        <p>Die Federbekleidung kann daher, wenn sie dem Vogel<lb/>
auch die Entfaltung seiner Schwingen ermöglicht, und seine<lb/>
Gestalt zum leichteren Durchschneiden der Luft abrundet und<lb/>
glättet, kein besonderer Faktor zu seiner leichteren Erhebung<lb/>
in die Luft sein. Es ist vielmehr anzunehmen, da&#x017F;s bei den<lb/>
fliegenden Tieren die freie Erhebung von der Erde und das<lb/>
Beharren in der Luft, sowie die schnelle Fortbewegung durch<lb/>
die Luft mit Hülfe gewisser mechanischer Vorgänge statt-<lb/>
findet, welche möglicher Weise auch künstlich erzeugt und<lb/>
mittelst geeigneter Vorrichtungen auch von Wesen ausgeführt<lb/>
werden können, welche nicht gerade zum Fliegen geboren sind.</p><lb/>
        <p>Das Element der fliegenden Tiere ist die Luft. Die ge-<lb/>
ringe Dichtigkeit der Luft gestattet aber nicht, darin zu<lb/>
schweben und darin herumzuschwimmen, wie es die Fische<lb/>
im Wasser vermögen, sondern eine stetig unterhaltene Bewe-<lb/>
gungswirkung zwischen der Luft und den Trageflächen oder<lb/>
Flügeln der fliegenden Tiere, oft mit gro&#x017F;sen Muskelanstren-<lb/>
gungen verbunden, mu&#x017F;s dafür sorgen, da&#x017F;s ein Herabfallen<lb/>
aus der Luft verhindert wird.</p><lb/>
        <p>Jedoch diese geringe Dichtigkeit der Luft, welche das<lb/>
freie Erheben in derselben erschwert, gewährt andererseits<lb/>
einen gro&#x017F;sen Vorteil für die sich in der Luft bewegenden Tiere.</p><lb/>
        <p>Das auf der geringen Dichtigkeit beruhende leichte Durch-<lb/>
dringen der Luft gestattet vielen Tieren mit au&#x017F;serordentlicher<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[4/0020] dasselbe wie bei dem getöteten Vogel nicht straff anliegt, dazu beigetragen, ihm den Ruf der Leichtigkeit zu verschaffen. Von dem gerupften Vogel kann man entschieden nicht be- haupten, daſs er verhältnismäſsig leichter sei als andere Tiere; auch unsere Hausfrauen stehen wohl nicht unter dem Eindruck, daſs ein Kilogramm Vogelfleisch, und seien auch die hohlen Knochen dabei mitgewogen, umfangreicher aussieht als das gleiche Gewicht von Fleischnahrung aus dem Reiche der Säugetiere. Wenn nun zu dem gerupften Vogel die Federn noch hinzu- kommen, so wird er dadurch auch nicht leichter, sondern schwerer; denn auch die Federn sind schwerer als die Luft. Die Federbekleidung kann daher, wenn sie dem Vogel auch die Entfaltung seiner Schwingen ermöglicht, und seine Gestalt zum leichteren Durchschneiden der Luft abrundet und glättet, kein besonderer Faktor zu seiner leichteren Erhebung in die Luft sein. Es ist vielmehr anzunehmen, daſs bei den fliegenden Tieren die freie Erhebung von der Erde und das Beharren in der Luft, sowie die schnelle Fortbewegung durch die Luft mit Hülfe gewisser mechanischer Vorgänge statt- findet, welche möglicher Weise auch künstlich erzeugt und mittelst geeigneter Vorrichtungen auch von Wesen ausgeführt werden können, welche nicht gerade zum Fliegen geboren sind. Das Element der fliegenden Tiere ist die Luft. Die ge- ringe Dichtigkeit der Luft gestattet aber nicht, darin zu schweben und darin herumzuschwimmen, wie es die Fische im Wasser vermögen, sondern eine stetig unterhaltene Bewe- gungswirkung zwischen der Luft und den Trageflächen oder Flügeln der fliegenden Tiere, oft mit groſsen Muskelanstren- gungen verbunden, muſs dafür sorgen, daſs ein Herabfallen aus der Luft verhindert wird. Jedoch diese geringe Dichtigkeit der Luft, welche das freie Erheben in derselben erschwert, gewährt andererseits einen groſsen Vorteil für die sich in der Luft bewegenden Tiere. Das auf der geringen Dichtigkeit beruhende leichte Durch- dringen der Luft gestattet vielen Tieren mit auſserordentlicher

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lilienthal_vogelflug_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lilienthal_vogelflug_1889/20
Zitationshilfe: Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lilienthal_vogelflug_1889/20>, abgerufen am 24.11.2024.