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Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889.

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schnittes einen Verminderungskoeffizienten von 1/4 erfahren
und der Widerstand des Körpers nach der Flugrichtung sich
daher auf W = 1/4 · 0,13 · 0,008 · 202 = 0,104 kg berechnen.

Segelt der Storch also gegen den Wind mit 10 m abso-
luter Geschwindigkeit, so muss ihn der Druck unter seinen
Flügeln noch mit cirka 0,1 kg vorwärts treiben; der Wind-
druck muss daher bei seiner hebenden Komponente von 4 kg
eine treibende Komponente von 0,1 kg besitzen, er muss also
um den Winkel a r c tg 1/40 = cirka 1,5° vor der Normalen
liegen.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich dieser kleine,
spitze Treibewinkel bei recht sorgfältiger experimenteller Aus-
führung auch noch feststellen liesse, nachdem wir bereits durch
den Versuch den Widerstand des Windes in die Normale hin-
einbekommen haben.

Der Storch ist aber nicht gezwungen, genau gegen den
Wind zu segeln; die aufsteigende Komponente der Windge-
schwindigkeit kommt ihm nach jeder Richtung zu gute und
giebt ihre lebendige Kraft zum vollkommenen Segeleffekt an
ihn ab, wenn er nur um cirka 10 m die ihn umgebende Luft
des Segelwindes überholt.

Die aufsteigende Windrichtung, die das Segeln ermöglicht,
ist aber nicht immer gleich, sondern, wie wir gesehen haben,
schwankt dieselbe beständig auf und nieder. (Siehe Fig. 3 auf
Tafel V.) Diese Schwankungen sind nun jedenfalls nicht nur
bis zu einer Höhe von 10 m, bis wie weit wir sie massen,
vorhanden, sondern erstrecken sich sicher auch bis in Höhen,
in denen die Vögel ihren dauernden Segelflug ausüben. Darum
aber sehen wir die segelnden Vögel beständig mit den Flügeln
drehen und wenden, und in jedem Augenblick eine neue
günstigste Stellung ausprobieren, sowie ihre eigene Geschwin-
digkeit der wechselnden Windgeschwindigkeit anpassen.

Es ist wahrscheinlich, dass das Kreisen der Vögel ebenso
mit den Perioden in der Windneigung und Windgeschwindig-
keit im Zusammenhange steht, als mit der Geschwindigkeits-
zunahme des Windes nach der Höhe.

Lilienthal, Fliegekunst. 11

schnittes einen Verminderungskoeffizienten von ¼ erfahren
und der Widerstand des Körpers nach der Flugrichtung sich
daher auf W = ¼ · 0,13 · 0,008 · 202 = 0,104 kg berechnen.

Segelt der Storch also gegen den Wind mit 10 m abso-
luter Geschwindigkeit, so muſs ihn der Druck unter seinen
Flügeln noch mit cirka 0,1 kg vorwärts treiben; der Wind-
druck muſs daher bei seiner hebenden Komponente von 4 kg
eine treibende Komponente von 0,1 kg besitzen, er muſs also
um den Winkel a r c tg 1/40 = cirka 1,5° vor der Normalen
liegen.

Es ist nicht unwahrscheinlich, daſs sich dieser kleine,
spitze Treibewinkel bei recht sorgfältiger experimenteller Aus-
führung auch noch feststellen lieſse, nachdem wir bereits durch
den Versuch den Widerstand des Windes in die Normale hin-
einbekommen haben.

Der Storch ist aber nicht gezwungen, genau gegen den
Wind zu segeln; die aufsteigende Komponente der Windge-
schwindigkeit kommt ihm nach jeder Richtung zu gute und
giebt ihre lebendige Kraft zum vollkommenen Segeleffekt an
ihn ab, wenn er nur um cirka 10 m die ihn umgebende Luft
des Segelwindes überholt.

Die aufsteigende Windrichtung, die das Segeln ermöglicht,
ist aber nicht immer gleich, sondern, wie wir gesehen haben,
schwankt dieselbe beständig auf und nieder. (Siehe Fig. 3 auf
Tafel V.) Diese Schwankungen sind nun jedenfalls nicht nur
bis zu einer Höhe von 10 m, bis wie weit wir sie maſsen,
vorhanden, sondern erstrecken sich sicher auch bis in Höhen,
in denen die Vögel ihren dauernden Segelflug ausüben. Darum
aber sehen wir die segelnden Vögel beständig mit den Flügeln
drehen und wenden, und in jedem Augenblick eine neue
günstigste Stellung ausprobieren, sowie ihre eigene Geschwin-
digkeit der wechselnden Windgeschwindigkeit anpassen.

Es ist wahrscheinlich, daſs das Kreisen der Vögel ebenso
mit den Perioden in der Windneigung und Windgeschwindig-
keit im Zusammenhange steht, als mit der Geschwindigkeits-
zunahme des Windes nach der Höhe.

Lilienthal, Fliegekunst. 11
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[161/0177] schnittes einen Verminderungskoeffizienten von ¼ erfahren und der Widerstand des Körpers nach der Flugrichtung sich daher auf W = ¼ · 0,13 · 0,008 · 202 = 0,104 kg berechnen. Segelt der Storch also gegen den Wind mit 10 m abso- luter Geschwindigkeit, so muſs ihn der Druck unter seinen Flügeln noch mit cirka 0,1 kg vorwärts treiben; der Wind- druck muſs daher bei seiner hebenden Komponente von 4 kg eine treibende Komponente von 0,1 kg besitzen, er muſs also um den Winkel a r c tg 1/40 = cirka 1,5° vor der Normalen liegen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daſs sich dieser kleine, spitze Treibewinkel bei recht sorgfältiger experimenteller Aus- führung auch noch feststellen lieſse, nachdem wir bereits durch den Versuch den Widerstand des Windes in die Normale hin- einbekommen haben. Der Storch ist aber nicht gezwungen, genau gegen den Wind zu segeln; die aufsteigende Komponente der Windge- schwindigkeit kommt ihm nach jeder Richtung zu gute und giebt ihre lebendige Kraft zum vollkommenen Segeleffekt an ihn ab, wenn er nur um cirka 10 m die ihn umgebende Luft des Segelwindes überholt. Die aufsteigende Windrichtung, die das Segeln ermöglicht, ist aber nicht immer gleich, sondern, wie wir gesehen haben, schwankt dieselbe beständig auf und nieder. (Siehe Fig. 3 auf Tafel V.) Diese Schwankungen sind nun jedenfalls nicht nur bis zu einer Höhe von 10 m, bis wie weit wir sie maſsen, vorhanden, sondern erstrecken sich sicher auch bis in Höhen, in denen die Vögel ihren dauernden Segelflug ausüben. Darum aber sehen wir die segelnden Vögel beständig mit den Flügeln drehen und wenden, und in jedem Augenblick eine neue günstigste Stellung ausprobieren, sowie ihre eigene Geschwin- digkeit der wechselnden Windgeschwindigkeit anpassen. Es ist wahrscheinlich, daſs das Kreisen der Vögel ebenso mit den Perioden in der Windneigung und Windgeschwindig- keit im Zusammenhange steht, als mit der Geschwindigkeits- zunahme des Windes nach der Höhe. Lilienthal, Fliegekunst. 11

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Zitationshilfe: Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lilienthal_vogelflug_1889/177>, abgerufen am 02.05.2024.