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Liebknecht, Wilhelm: Zur orientalischen Frage oder Soll Europa kosakisch werden? 2. Aufl. Leipzig, 1878.

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sischen Regierung Abhülfe verlangen wolle. Auf diese sehr zahme
Anfrage -- Frühauf ist Nationalliberaler -- erwiderte Fürst Bismarck:

"Jch würde dem Herrn Vorredner recht dankbar sein, wenn er
praktische Vorschläge machte. (!) Jch kann nur sagen, daß es sehr
zweifelhaft sei, daß wir noch in dieser Session die Ergebnisse
solcher Verhandlungen (mit der russischen Regierung) zur Debatte
stellen. Jch möchte überhaupt vor der Täuschung warnen, daß poli-
tische Freunde und Nachbarn
nothwendigerweise Hand in
Hand gehen müssen in Bezug auf Schutzzoll und Grenzbehandlung.
Die politischen Beziehungen haben darauf keinen Ein-
fluß.
Denn wenn es auch diesen Augenblick den Anschein hat, daß
unsere Freundschaft mit Rußland eine dauernde bleiben werde, so
wechseln doch dergleichen Momente in der Geschichte zu rasch, um davon
die Zollverhältnisse abhängig machen zu können. Rußland richtet seine
Zollverhältnisse so ein, daß wir alles dahin absetzen können und wir
sind einverstanden
mit dieser schutzzöllnerischen Einrichtung. Aber
der Vorredner hat darauf hinausgewollt, wir sollten die jetzige politische
Situation Rußland gegenüber ausnutzen. Es schweben ja darüber noch
Verhandlungen. Gelingt es, die russische Regierung zu überzeugen,
daß ihre Theorie die unrichtige ist und unsere die richtige, so wäre
das ja zu wünschen; aber ich habe kein großes Vertrauen
dazu,
wir werden vielmehr hier nur durch unsere eigene Zollgesetz-
gebung einwirken können."

Man wird mir zugeben, daß -- bescheidenere Worte dem
Munde eines "großen Staatsmannes", der das "mächtigste Reich der
Welt" regiert, nicht entströmen konnten. Daß Fürst Bismarck sonst
nicht eben ein Freund solch' christlich entsagungsvoller Sprache ist,
brauche ich den Lesern nicht zu sagen; und wenn er derjenigen Macht
gegenüber, welche durch ihre Grenzsperre den Osten Deutschlands,
namentlich die preußischen Ostprovinzen, darunter die Wiege der
preußischen Monarchie, wirthschaftlich ruinirt, durch skandalöse
Plackereien und Brutalitäten, denen speziell deutsche Reisende zum
Opfer fallen, dem deutschen Nationalgefühl Fußtritte über Fußtritte
ertheilt, in den deutschen Ostseeprovinzen, mit frecher Verletzung der
Verträge, die deutsche Nationalität systematisch auszurotten sucht --
wenn dieser Macht gegenüber Fürst Bismarck eine so -- bescheidene
Sprache zu führen für angemessen findet, dann muß er dazu seine
guten, zwingenden Gründe haben -- dann muß das Be-
wußtsein der Gebundenheit, der Abhängigkeit
seine
Zunge beherrschen. --

Jn Einer Beziehung hat die Situation sich geklärt. Rußland
hat Farbe bekennen, und die Maske der uneigennützigen Menschen-

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ſiſchen Regierung Abhülfe verlangen wolle. Auf dieſe ſehr zahme
Anfrage — Frühauf iſt Nationalliberaler — erwiderte Fürſt Bismarck:

„Jch würde dem Herrn Vorredner recht dankbar ſein, wenn er
praktiſche Vorſchläge machte. (!) Jch kann nur ſagen, daß es ſehr
zweifelhaft ſei, daß wir noch in dieſer Seſſion die Ergebniſſe
ſolcher Verhandlungen (mit der ruſſiſchen Regierung) zur Debatte
ſtellen. Jch möchte überhaupt vor der Täuſchung warnen, daß poli-
tiſche Freunde und Nachbarn
nothwendigerweiſe Hand in
Hand gehen müſſen in Bezug auf Schutzzoll und Grenzbehandlung.
Die politiſchen Beziehungen haben darauf keinen Ein-
fluß.
Denn wenn es auch dieſen Augenblick den Anſchein hat, daß
unſere Freundſchaft mit Rußland eine dauernde bleiben werde, ſo
wechſeln doch dergleichen Momente in der Geſchichte zu raſch, um davon
die Zollverhältniſſe abhängig machen zu können. Rußland richtet ſeine
Zollverhältniſſe ſo ein, daß wir alles dahin abſetzen können und wir
ſind einverſtanden
mit dieſer ſchutzzöllneriſchen Einrichtung. Aber
der Vorredner hat darauf hinausgewollt, wir ſollten die jetzige politiſche
Situation Rußland gegenüber ausnutzen. Es ſchweben ja darüber noch
Verhandlungen. Gelingt es, die ruſſiſche Regierung zu überzeugen,
daß ihre Theorie die unrichtige iſt und unſere die richtige, ſo wäre
das ja zu wünſchen; aber ich habe kein großes Vertrauen
dazu,
wir werden vielmehr hier nur durch unſere eigene Zollgeſetz-
gebung einwirken können.‟

Man wird mir zugeben, daß — beſcheidenere Worte dem
Munde eines „großen Staatsmannes‟, der das „mächtigſte Reich der
Welt‟ regiert, nicht entſtrömen konnten. Daß Fürſt Bismarck ſonſt
nicht eben ein Freund ſolch’ chriſtlich entſagungsvoller Sprache iſt,
brauche ich den Leſern nicht zu ſagen; und wenn er derjenigen Macht
gegenüber, welche durch ihre Grenzſperre den Oſten Deutſchlands,
namentlich die preußiſchen Oſtprovinzen, darunter die Wiege der
preußiſchen Monarchie, wirthſchaftlich ruinirt, durch ſkandalöſe
Plackereien und Brutalitäten, denen ſpeziell deutſche Reiſende zum
Opfer fallen, dem deutſchen Nationalgefühl Fußtritte über Fußtritte
ertheilt, in den deutſchen Oſtſeeprovinzen, mit frecher Verletzung der
Verträge, die deutſche Nationalität ſyſtematiſch auszurotten ſucht —
wenn dieſer Macht gegenüber Fürſt Bismarck eine ſo — beſcheidene
Sprache zu führen für angemeſſen findet, dann muß er dazu ſeine
guten, zwingenden Gründe haben — dann muß das Be-
wußtſein der Gebundenheit, der Abhängigkeit
ſeine
Zunge beherrſchen. —

Jn Einer Beziehung hat die Situation ſich geklärt. Rußland
hat Farbe bekennen, und die Maske der uneigennützigen Menſchen-

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Zitationshilfe: Liebknecht, Wilhelm: Zur orientalischen Frage oder Soll Europa kosakisch werden? 2. Aufl. Leipzig, 1878, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebknecht_frage_1878/55>, abgerufen am 03.05.2024.