Auf eine höchst rationelle Weise wendet die praktische Medicin in manchen Krankheiten die Kälte als Mittel an, um den Stoffwechsel auf eine ungewöhnliche Weise zu steigern und zu beschleunigen. Dies geschieht namentlich bei gewissen krankhaften Zuständen der Substanz des Centrums der Bewegungsapparate, wenn eine glühende Hitze und ein rascher Strom von Blut nach dem Kopfe, eine abnormale Umsetzung des Gehirns erkennen lassen. Wenn dieser Zustand über eine gewisse Zeit hindurch dauert, so giebt die Erfah- rung zu erkennen, daß alle Bewegungen im Thierkörper auf- hören; wenn sich der Stoffwechsel auf das Gehirn vorzugs- weise beschränkt, so nimmt der Stoffwechsel, die Krafterzeu- gung, in allen anderen Theilen ab; durch Umgebung dieses Körpertheils mit Eis wird die Temperatur herabgestimmt, allein die Ursache der Wärmeentwicklung dauert fort; der Widerstand der Lebensthätigkeit wird vermindert, die Um- setzung, die Entscheidung über den Ausgang der Krankheit, wird auf eine kürzere Zeitdauer beschränkt. Man darf nicht vergessen, daß das Eis schmilzt und Wärme aus dem kran- ken Körpertheil aufnimmt, daß mit der Entfernung des Ei- ses, vor dem Verlauf der Umsetzung, die höhere Temperatur wieder sich einstellt, daß man durch Umgebung mit Eis weit mehr Wärme entzieht, als durch Umhüllung mit einem schlechten Wärmeleiter; es ist offenbar in der gleichen Zeit eine größere Menge Wärme frei geworden, was nur durch gesteigerte Zufuhr von Sauerstoff, der eine raschere Um- setzung bedingen mußte, möglich ist.
Die Bewegungserſcheinungen
Auf eine höchſt rationelle Weiſe wendet die praktiſche Medicin in manchen Krankheiten die Kälte als Mittel an, um den Stoffwechſel auf eine ungewöhnliche Weiſe zu ſteigern und zu beſchleunigen. Dies geſchieht namentlich bei gewiſſen krankhaften Zuſtänden der Subſtanz des Centrums der Bewegungsapparate, wenn eine glühende Hitze und ein raſcher Strom von Blut nach dem Kopfe, eine abnormale Umſetzung des Gehirns erkennen laſſen. Wenn dieſer Zuſtand über eine gewiſſe Zeit hindurch dauert, ſo giebt die Erfah- rung zu erkennen, daß alle Bewegungen im Thierkörper auf- hören; wenn ſich der Stoffwechſel auf das Gehirn vorzugs- weiſe beſchränkt, ſo nimmt der Stoffwechſel, die Krafterzeu- gung, in allen anderen Theilen ab; durch Umgebung dieſes Körpertheils mit Eis wird die Temperatur herabgeſtimmt, allein die Urſache der Wärmeentwicklung dauert fort; der Widerſtand der Lebensthätigkeit wird vermindert, die Um- ſetzung, die Entſcheidung über den Ausgang der Krankheit, wird auf eine kürzere Zeitdauer beſchränkt. Man darf nicht vergeſſen, daß das Eis ſchmilzt und Wärme aus dem kran- ken Körpertheil aufnimmt, daß mit der Entfernung des Ei- ſes, vor dem Verlauf der Umſetzung, die höhere Temperatur wieder ſich einſtellt, daß man durch Umgebung mit Eis weit mehr Wärme entzieht, als durch Umhüllung mit einem ſchlechten Wärmeleiter; es iſt offenbar in der gleichen Zeit eine größere Menge Wärme frei geworden, was nur durch geſteigerte Zufuhr von Sauerſtoff, der eine raſchere Um- ſetzung bedingen mußte, möglich iſt.
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Die Bewegungserſcheinungen
Auf eine höchſt rationelle Weiſe wendet die praktiſche
Medicin in manchen Krankheiten die Kälte als Mittel
an, um den Stoffwechſel auf eine ungewöhnliche Weiſe zu
ſteigern und zu beſchleunigen. Dies geſchieht namentlich bei
gewiſſen krankhaften Zuſtänden der Subſtanz des Centrums
der Bewegungsapparate, wenn eine glühende Hitze und ein
raſcher Strom von Blut nach dem Kopfe, eine abnormale
Umſetzung des Gehirns erkennen laſſen. Wenn dieſer Zuſtand
über eine gewiſſe Zeit hindurch dauert, ſo giebt die Erfah-
rung zu erkennen, daß alle Bewegungen im Thierkörper auf-
hören; wenn ſich der Stoffwechſel auf das Gehirn vorzugs-
weiſe beſchränkt, ſo nimmt der Stoffwechſel, die Krafterzeu-
gung, in allen anderen Theilen ab; durch Umgebung dieſes
Körpertheils mit Eis wird die Temperatur herabgeſtimmt,
allein die Urſache der Wärmeentwicklung dauert fort; der
Widerſtand der Lebensthätigkeit wird vermindert, die Um-
ſetzung, die Entſcheidung über den Ausgang der Krankheit,
wird auf eine kürzere Zeitdauer beſchränkt. Man darf nicht
vergeſſen, daß das Eis ſchmilzt und Wärme aus dem kran-
ken Körpertheil aufnimmt, daß mit der Entfernung des Ei-
ſes, vor dem Verlauf der Umſetzung, die höhere Temperatur
wieder ſich einſtellt, daß man durch Umgebung mit Eis weit
mehr Wärme entzieht, als durch Umhüllung mit einem
ſchlechten Wärmeleiter; es iſt offenbar in der gleichen Zeit
eine größere Menge Wärme frei geworden, was nur durch
geſteigerte Zufuhr von Sauerſtoff, der eine raſchere Um-
ſetzung bedingen mußte, möglich iſt.
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Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie. Braunschweig, 1842, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_physiologie_1842/292>, abgerufen am 22.11.2024.
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