67. Alle Beobachtungen führen, wie sich aus dem Vor- hergehenden ergiebt, zu der Ansicht, daß gewisse stickstofffreie Bestandtheile der Nahrung der Gras-fressenden Thiere (Amylon, Zucker, Gummi etc.) die Form einer Natronver- bindung erhalten, welche in ihrem Körper zu den nämlichen Zwecken dient, wozu, wie wir mit Bestimmtheit wissen, die Galle (das kohlenstoffreichste Product der Umsetzung ihrer Gebilde) in dem Körper des Fleisch-fressenden Thieres ver- wendet wird. Sie dienen zur Unterhaltung gewisser vitalen Processe, und werden zuletzt zur Hervorbringung der ani- malischen Wärme, zum Widerstand gegen die Einwirkung der Atmosphäre verbraucht; bei den Fleischfressern ist der rasche Umsatz ihrer Gebilde eine Bedingung ihres Bestehens, eben weil erst in Folge des Stoffwechsels die Materien ge- bildet werden müssen, welche zur Verbindung mit dem Sauer- stoff der Luft bestimmt sind; in diesem Sinne kann man sagen, daß die stickstofffreien Nahrungsmittel den Stoff- wechsel hindern, daß sie ihn verlangsamen und eine ebenso rasche Beschleunigung wie bei den Fleischfressern jedenfalls unnöthig machen.
68. Mit dieser Fähigkeit der stickstofffreien Nahrungsstoffe, als Respirationsmaterie zu dienen, steht die verhältnißmäßig so geringe Menge von stickstoffhaltiger Nahrung, die sie zur Unterhaltung ihrer Lebensfunctionen bedürfen, in dem engsten Zusammenhang, und es dürfte vielleicht sich heraus- stellen, daß die Nothwendigkeit zusammengesetzterer Verdauungs- organe in dem Körper der Pflanzen-fressenden Thiere weit
Umſetzung der Gebilde.
67. Alle Beobachtungen führen, wie ſich aus dem Vor- hergehenden ergiebt, zu der Anſicht, daß gewiſſe ſtickſtofffreie Beſtandtheile der Nahrung der Gras-freſſenden Thiere (Amylon, Zucker, Gummi ꝛc.) die Form einer Natronver- bindung erhalten, welche in ihrem Körper zu den nämlichen Zwecken dient, wozu, wie wir mit Beſtimmtheit wiſſen, die Galle (das kohlenſtoffreichſte Product der Umſetzung ihrer Gebilde) in dem Körper des Fleiſch-freſſenden Thieres ver- wendet wird. Sie dienen zur Unterhaltung gewiſſer vitalen Proceſſe, und werden zuletzt zur Hervorbringung der ani- maliſchen Wärme, zum Widerſtand gegen die Einwirkung der Atmoſphäre verbraucht; bei den Fleiſchfreſſern iſt der raſche Umſatz ihrer Gebilde eine Bedingung ihres Beſtehens, eben weil erſt in Folge des Stoffwechſels die Materien ge- bildet werden müſſen, welche zur Verbindung mit dem Sauer- ſtoff der Luft beſtimmt ſind; in dieſem Sinne kann man ſagen, daß die ſtickſtofffreien Nahrungsmittel den Stoff- wechſel hindern, daß ſie ihn verlangſamen und eine ebenſo raſche Beſchleunigung wie bei den Fleiſchfreſſern jedenfalls unnöthig machen.
68. Mit dieſer Fähigkeit der ſtickſtofffreien Nahrungsſtoffe, als Reſpirationsmaterie zu dienen, ſteht die verhältnißmäßig ſo geringe Menge von ſtickſtoffhaltiger Nahrung, die ſie zur Unterhaltung ihrer Lebensfunctionen bedürfen, in dem engſten Zuſammenhang, und es dürfte vielleicht ſich heraus- ſtellen, daß die Nothwendigkeit zuſammengeſetzterer Verdauungs- organe in dem Körper der Pflanzen-freſſenden Thiere weit
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Umſetzung der Gebilde.
67. Alle Beobachtungen führen, wie ſich aus dem Vor-
hergehenden ergiebt, zu der Anſicht, daß gewiſſe ſtickſtofffreie
Beſtandtheile der Nahrung der Gras-freſſenden Thiere
(Amylon, Zucker, Gummi ꝛc.) die Form einer Natronver-
bindung erhalten, welche in ihrem Körper zu den nämlichen
Zwecken dient, wozu, wie wir mit Beſtimmtheit wiſſen, die
Galle (das kohlenſtoffreichſte Product der Umſetzung ihrer
Gebilde) in dem Körper des Fleiſch-freſſenden Thieres ver-
wendet wird. Sie dienen zur Unterhaltung gewiſſer vitalen
Proceſſe, und werden zuletzt zur Hervorbringung der ani-
maliſchen Wärme, zum Widerſtand gegen die Einwirkung
der Atmoſphäre verbraucht; bei den Fleiſchfreſſern iſt der
raſche Umſatz ihrer Gebilde eine Bedingung ihres Beſtehens,
eben weil erſt in Folge des Stoffwechſels die Materien ge-
bildet werden müſſen, welche zur Verbindung mit dem Sauer-
ſtoff der Luft beſtimmt ſind; in dieſem Sinne kann man
ſagen, daß die ſtickſtofffreien Nahrungsmittel den Stoff-
wechſel hindern, daß ſie ihn verlangſamen und eine ebenſo
raſche Beſchleunigung wie bei den Fleiſchfreſſern jedenfalls
unnöthig machen.
68. Mit dieſer Fähigkeit der ſtickſtofffreien Nahrungsſtoffe,
als Reſpirationsmaterie zu dienen, ſteht die verhältnißmäßig
ſo geringe Menge von ſtickſtoffhaltiger Nahrung, die ſie
zur Unterhaltung ihrer Lebensfunctionen bedürfen, in dem
engſten Zuſammenhang, und es dürfte vielleicht ſich heraus-
ſtellen, daß die Nothwendigkeit zuſammengeſetzterer Verdauungs-
organe in dem Körper der Pflanzen-freſſenden Thiere weit
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Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie. Braunschweig, 1842, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_physiologie_1842/193>, abgerufen am 23.11.2024.
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