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Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840.

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Ursprung und Verhalten des Humus.

Diese Processe stellen sich in einer andern Form dar, als
wie die Zersetzung von Salzen oder von Oxiden und Schwefe-
lungsstufen. Dieß ist keine Frage. Welche Schuld trägt aber
die Chemie, wenn die Physiologie von diesen neuen Formen
der chemischen Actionen keine Notiz nimmt!

Wenn wir wissen, daß die Basen aller alkalischen Salze,
welche durch organische Säuren gebildet sind, durch die Harn-
wege in der Form von kohlensauren Alkalien abgeführt werden
(Wöhler); ist es rationell, daß der Arzt in der Steinkrank-
heit seine Patienten Borax unzenweise zu sich nehmen läßt.
Kommt denn die Transformation der Harnsteine, die aus
Harnsäure bestehen, in die sogenannten Maulbeersteine, welche
Oxalsäure enthalten, nicht täglich vor, wenn die in der Stadt
lebenden Patienten das Land beziehen, wo sie mehr Vegetabi-
lien genießen. An dem Rhein, wo das weinsaure Kali in so
großer Menge genossen wird, haben sich aus den von den
Physikatsärzten geführten Listen nur eingewanderte Steinkranke
herausgestellt. Sind alle diese Erscheinungen keiner Erklärung
fähig?

Aus dem in der Gährung gebildeten Fuselöl der Kartoffeln
erzeugen wir das flüchtige Oel der Baldrianwurzel mit allen
seinen Eigenschaften (Dumas), aus einem kristallinischen Stoff,
aus der Weidenrinde bekommen wir das Oel der Spiraea ul-
maria
(Piria). Wir sind im Stande, Ameisensäure, Oxal-
säure, Harnstoff, den krystallinischen Körper in der allantoischen
Flüssigkeit der Kuh, lauter Producte der Lebenskraft, in unse-
ren Laboratorien zu erzeugen. Wie man sieht, hat diese myste-
riöse Lebenskraft viele Beziehungen mit den chemischen Kräften
gemein, denn die letzteren können sogar ihre Rolle übernehmen.
Diese Beziehungen sind es nun, welche ausgemittelt werden

Urſprung und Verhalten des Humus.

Dieſe Proceſſe ſtellen ſich in einer andern Form dar, als
wie die Zerſetzung von Salzen oder von Oxiden und Schwefe-
lungsſtufen. Dieß iſt keine Frage. Welche Schuld trägt aber
die Chemie, wenn die Phyſiologie von dieſen neuen Formen
der chemiſchen Actionen keine Notiz nimmt!

Wenn wir wiſſen, daß die Baſen aller alkaliſchen Salze,
welche durch organiſche Säuren gebildet ſind, durch die Harn-
wege in der Form von kohlenſauren Alkalien abgeführt werden
(Wöhler); iſt es rationell, daß der Arzt in der Steinkrank-
heit ſeine Patienten Borax unzenweiſe zu ſich nehmen läßt.
Kommt denn die Transformation der Harnſteine, die aus
Harnſäure beſtehen, in die ſogenannten Maulbeerſteine, welche
Oxalſäure enthalten, nicht täglich vor, wenn die in der Stadt
lebenden Patienten das Land beziehen, wo ſie mehr Vegetabi-
lien genießen. An dem Rhein, wo das weinſaure Kali in ſo
großer Menge genoſſen wird, haben ſich aus den von den
Phyſikatsärzten geführten Liſten nur eingewanderte Steinkranke
herausgeſtellt. Sind alle dieſe Erſcheinungen keiner Erklärung
fähig?

Aus dem in der Gährung gebildeten Fuſelöl der Kartoffeln
erzeugen wir das flüchtige Oel der Baldrianwurzel mit allen
ſeinen Eigenſchaften (Dumas), aus einem kriſtalliniſchen Stoff,
aus der Weidenrinde bekommen wir das Oel der Spiraea ul-
maria
(Piria). Wir ſind im Stande, Ameiſenſäure, Oxal-
ſäure, Harnſtoff, den kryſtalliniſchen Körper in der allantoiſchen
Flüſſigkeit der Kuh, lauter Producte der Lebenskraft, in unſe-
ren Laboratorien zu erzeugen. Wie man ſieht, hat dieſe myſte-
riöſe Lebenskraft viele Beziehungen mit den chemiſchen Kräften
gemein, denn die letzteren können ſogar ihre Rolle übernehmen.
Dieſe Beziehungen ſind es nun, welche ausgemittelt werden

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[54/0072] Urſprung und Verhalten des Humus. Dieſe Proceſſe ſtellen ſich in einer andern Form dar, als wie die Zerſetzung von Salzen oder von Oxiden und Schwefe- lungsſtufen. Dieß iſt keine Frage. Welche Schuld trägt aber die Chemie, wenn die Phyſiologie von dieſen neuen Formen der chemiſchen Actionen keine Notiz nimmt! Wenn wir wiſſen, daß die Baſen aller alkaliſchen Salze, welche durch organiſche Säuren gebildet ſind, durch die Harn- wege in der Form von kohlenſauren Alkalien abgeführt werden (Wöhler); iſt es rationell, daß der Arzt in der Steinkrank- heit ſeine Patienten Borax unzenweiſe zu ſich nehmen läßt. Kommt denn die Transformation der Harnſteine, die aus Harnſäure beſtehen, in die ſogenannten Maulbeerſteine, welche Oxalſäure enthalten, nicht täglich vor, wenn die in der Stadt lebenden Patienten das Land beziehen, wo ſie mehr Vegetabi- lien genießen. An dem Rhein, wo das weinſaure Kali in ſo großer Menge genoſſen wird, haben ſich aus den von den Phyſikatsärzten geführten Liſten nur eingewanderte Steinkranke herausgeſtellt. Sind alle dieſe Erſcheinungen keiner Erklärung fähig? Aus dem in der Gährung gebildeten Fuſelöl der Kartoffeln erzeugen wir das flüchtige Oel der Baldrianwurzel mit allen ſeinen Eigenſchaften (Dumas), aus einem kriſtalliniſchen Stoff, aus der Weidenrinde bekommen wir das Oel der Spiraea ul- maria (Piria). Wir ſind im Stande, Ameiſenſäure, Oxal- ſäure, Harnſtoff, den kryſtalliniſchen Körper in der allantoiſchen Flüſſigkeit der Kuh, lauter Producte der Lebenskraft, in unſe- ren Laboratorien zu erzeugen. Wie man ſieht, hat dieſe myſte- riöſe Lebenskraft viele Beziehungen mit den chemiſchen Kräften gemein, denn die letzteren können ſogar ihre Rolle übernehmen. Dieſe Beziehungen ſind es nun, welche ausgemittelt werden

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Zitationshilfe: Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840/72>, abgerufen am 24.11.2024.