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Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840.

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Ursprung und Verhalten des Humus.

Durch die Harnwege wird der überflüssige Stickstoff als
flüssiges Excrement, durch den Darmkanal alle, keiner Metamor-
phose mehr fähigen festen Stoffe, und durch die Lunge alle
gasförmigen aus dem Körper entfernt.

Man darf sich durch den Popanz der Lebenskraft nicht
abhalten lassen, den Proceß der Metamorphose der Nahrungs-
mittel und in ihrem Zusammenhang die Assimilation der Or-
ganismen in dem chemischen Gesichtspunkte zu betrachten, um
so mehr, da man weiß, wie erfolglos, wie aller Anwendung
unfähig die bis jetzt gewählten blieben.

Ist es denn wirklich die Lebenskraft, welche den Zucker, die
erste Nahrung der jungen Pflanzen, im Keime erzeugt, welche
dem Magen die Fähigkeit giebt, alle Stoffe, die ihm zugeführt
werden, zur Assimilation vorzubereiten, ihre Auflösung zu be-
wirken?

Eine Abkochung von gekeimter Gerste besitzt so wenig wie
ein todter Kalbsmagen die Eigenschaft, sich selbst zu reprodu-
ciren, von Leben kann in beiden keine Rede sein. Aber wenn
man in die Abkochung der Gerste Amylon bringt, so verwan-
delt es sich zuerst in einen gummiähnlichen Stoff, zuletzt in
Zucker. In der Abkochung des Kalbmagens, der man einige
Tropfen Salzsäure zufügt, lös't sich hartgekochtes Eiweiß und
Muskelfaser gerade so auf, wie in dem Magen selbst *).
(Schwann, Schulz).

Die Fähigkeit, Metamorphosen zu bewirken, gehört also
nicht der Lebenskraft an, sie gehen vor sich in Folge von Stö-
rungen in der Anziehung der Elemente, in Folge also von
chemischen Processen.

*) Das letztere merkwürdige Verhalten ist in dem hiesigen Laboratorium
durch einen höchst ausgezeichneten jungen Physiologen Dr. Vogel
aufs Vollständigste bestätigt worden.
Urſprung und Verhalten des Humus.

Durch die Harnwege wird der überflüſſige Stickſtoff als
flüſſiges Excrement, durch den Darmkanal alle, keiner Metamor-
phoſe mehr fähigen feſten Stoffe, und durch die Lunge alle
gasförmigen aus dem Körper entfernt.

Man darf ſich durch den Popanz der Lebenskraft nicht
abhalten laſſen, den Proceß der Metamorphoſe der Nahrungs-
mittel und in ihrem Zuſammenhang die Aſſimilation der Or-
ganismen in dem chemiſchen Geſichtspunkte zu betrachten, um
ſo mehr, da man weiß, wie erfolglos, wie aller Anwendung
unfähig die bis jetzt gewählten blieben.

Iſt es denn wirklich die Lebenskraft, welche den Zucker, die
erſte Nahrung der jungen Pflanzen, im Keime erzeugt, welche
dem Magen die Fähigkeit giebt, alle Stoffe, die ihm zugeführt
werden, zur Aſſimilation vorzubereiten, ihre Auflöſung zu be-
wirken?

Eine Abkochung von gekeimter Gerſte beſitzt ſo wenig wie
ein todter Kalbsmagen die Eigenſchaft, ſich ſelbſt zu reprodu-
ciren, von Leben kann in beiden keine Rede ſein. Aber wenn
man in die Abkochung der Gerſte Amylon bringt, ſo verwan-
delt es ſich zuerſt in einen gummiähnlichen Stoff, zuletzt in
Zucker. In der Abkochung des Kalbmagens, der man einige
Tropfen Salzſäure zufügt, löſ’t ſich hartgekochtes Eiweiß und
Muskelfaſer gerade ſo auf, wie in dem Magen ſelbſt *).
(Schwann, Schulz).

Die Fähigkeit, Metamorphoſen zu bewirken, gehört alſo
nicht der Lebenskraft an, ſie gehen vor ſich in Folge von Stö-
rungen in der Anziehung der Elemente, in Folge alſo von
chemiſchen Proceſſen.

*) Das letztere merkwürdige Verhalten iſt in dem hieſigen Laboratorium
durch einen höchſt ausgezeichneten jungen Phyſiologen Dr. Vogel
aufs Vollſtändigſte beſtätigt worden.
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[53/0071] Urſprung und Verhalten des Humus. Durch die Harnwege wird der überflüſſige Stickſtoff als flüſſiges Excrement, durch den Darmkanal alle, keiner Metamor- phoſe mehr fähigen feſten Stoffe, und durch die Lunge alle gasförmigen aus dem Körper entfernt. Man darf ſich durch den Popanz der Lebenskraft nicht abhalten laſſen, den Proceß der Metamorphoſe der Nahrungs- mittel und in ihrem Zuſammenhang die Aſſimilation der Or- ganismen in dem chemiſchen Geſichtspunkte zu betrachten, um ſo mehr, da man weiß, wie erfolglos, wie aller Anwendung unfähig die bis jetzt gewählten blieben. Iſt es denn wirklich die Lebenskraft, welche den Zucker, die erſte Nahrung der jungen Pflanzen, im Keime erzeugt, welche dem Magen die Fähigkeit giebt, alle Stoffe, die ihm zugeführt werden, zur Aſſimilation vorzubereiten, ihre Auflöſung zu be- wirken? Eine Abkochung von gekeimter Gerſte beſitzt ſo wenig wie ein todter Kalbsmagen die Eigenſchaft, ſich ſelbſt zu reprodu- ciren, von Leben kann in beiden keine Rede ſein. Aber wenn man in die Abkochung der Gerſte Amylon bringt, ſo verwan- delt es ſich zuerſt in einen gummiähnlichen Stoff, zuletzt in Zucker. In der Abkochung des Kalbmagens, der man einige Tropfen Salzſäure zufügt, löſ’t ſich hartgekochtes Eiweiß und Muskelfaſer gerade ſo auf, wie in dem Magen ſelbſt *). (Schwann, Schulz). Die Fähigkeit, Metamorphoſen zu bewirken, gehört alſo nicht der Lebenskraft an, ſie gehen vor ſich in Folge von Stö- rungen in der Anziehung der Elemente, in Folge alſo von chemiſchen Proceſſen. *) Das letztere merkwürdige Verhalten iſt in dem hieſigen Laboratorium durch einen höchſt ausgezeichneten jungen Phyſiologen Dr. Vogel aufs Vollſtändigſte beſtätigt worden.

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Zitationshilfe: Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840/71>, abgerufen am 24.11.2024.