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Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840.

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Ursache der Gährung, Fäulniß und Verwesung.
dieß setzt voraus, daß ihre Atome eine andere Lage angenom-
men haben, daß sie mithin selbst im festen Zustande bis zu
einem gewissen Grade Beweglichkeit besitzen. Die rascheste Um-
setzung oder Formänderung dieser Art kennt man vom Arra-
gonit, identisch in seiner chemischen Zusammensetzung mit dem
Kalkspath, beweis't seine verschiedene Krystallform und Härte, daß
seine Atome auf eine andere Weise geordnet sind, als wie
beim Kalkspath; beim Erwärmen eines Arragonitkrystalls, bei
dem Inbewegungsetzen seiner Atome durch die Ausdehnung
heben wir ihr Beharrungsvermögen auf und mit großer Kraft
zerspringt in Folge dessen der Arragonitkrystall zu einem Hauf-
werk von Krystallen und Kalkspath.

Es ist unmöglich, sich über die Ursachen dieser Verände-
rungen zu täuschen, sie ist eine Aufhebung des Zustandes der
Ruhe, in Folge welcher die in Bewegung gesetzten Theilchen
eines Körpers entweder andern, oder ihren eigenen natürlichen
Anziehungen folgen.

Wenn aber, wie sich aus dem Vorhergehenden ergiebt, die
mechanische Bewegung schon hinreicht, um bei vielen Körpern
eine Form und Zustandsänderung zu bewirken, so kann es um
so weniger zweifelhaft erscheinen, daß ein im Zustand der Ver-
bindung oder Zersetzung begriffener Körper fähig ist, gewissen
andern Körpern den nämlichen Zustand der Bewegung oder
Thätigkeit zu ertheilen, in welchem sich seine Atome befinden,
durch seine Berührung also mit andern Körpern, diese zu be-
fähigen, Verbindungen einzugehen oder Zersetzungen zu erleiden.

Dieser Einfluß ist durch die angeführten Thatsachen aus
dem Verhalten anorganischer Körper hinreichend belegt worden,
er zeigt sich bei den organischen Materien bei weitem häufiger
und nimmt die Form an von den umfassendsten und bewun-
dernswürdigsten Naturerscheinungen.

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Urſache der Gährung, Fäulniß und Verweſung.
dieß ſetzt voraus, daß ihre Atome eine andere Lage angenom-
men haben, daß ſie mithin ſelbſt im feſten Zuſtande bis zu
einem gewiſſen Grade Beweglichkeit beſitzen. Die raſcheſte Um-
ſetzung oder Formänderung dieſer Art kennt man vom Arra-
gonit, identiſch in ſeiner chemiſchen Zuſammenſetzung mit dem
Kalkſpath, beweiſ’t ſeine verſchiedene Kryſtallform und Härte, daß
ſeine Atome auf eine andere Weiſe geordnet ſind, als wie
beim Kalkſpath; beim Erwärmen eines Arragonitkryſtalls, bei
dem Inbewegungſetzen ſeiner Atome durch die Ausdehnung
heben wir ihr Beharrungsvermögen auf und mit großer Kraft
zerſpringt in Folge deſſen der Arragonitkryſtall zu einem Hauf-
werk von Kryſtallen und Kalkſpath.

Es iſt unmöglich, ſich über die Urſachen dieſer Verände-
rungen zu täuſchen, ſie iſt eine Aufhebung des Zuſtandes der
Ruhe, in Folge welcher die in Bewegung geſetzten Theilchen
eines Körpers entweder andern, oder ihren eigenen natürlichen
Anziehungen folgen.

Wenn aber, wie ſich aus dem Vorhergehenden ergiebt, die
mechaniſche Bewegung ſchon hinreicht, um bei vielen Körpern
eine Form und Zuſtandsänderung zu bewirken, ſo kann es um
ſo weniger zweifelhaft erſcheinen, daß ein im Zuſtand der Ver-
bindung oder Zerſetzung begriffener Körper fähig iſt, gewiſſen
andern Körpern den nämlichen Zuſtand der Bewegung oder
Thätigkeit zu ertheilen, in welchem ſich ſeine Atome befinden,
durch ſeine Berührung alſo mit andern Körpern, dieſe zu be-
fähigen, Verbindungen einzugehen oder Zerſetzungen zu erleiden.

Dieſer Einfluß iſt durch die angeführten Thatſachen aus
dem Verhalten anorganiſcher Körper hinreichend belegt worden,
er zeigt ſich bei den organiſchen Materien bei weitem häufiger
und nimmt die Form an von den umfaſſendſten und bewun-
dernswürdigſten Naturerſcheinungen.

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[209/0227] Urſache der Gährung, Fäulniß und Verweſung. dieß ſetzt voraus, daß ihre Atome eine andere Lage angenom- men haben, daß ſie mithin ſelbſt im feſten Zuſtande bis zu einem gewiſſen Grade Beweglichkeit beſitzen. Die raſcheſte Um- ſetzung oder Formänderung dieſer Art kennt man vom Arra- gonit, identiſch in ſeiner chemiſchen Zuſammenſetzung mit dem Kalkſpath, beweiſ’t ſeine verſchiedene Kryſtallform und Härte, daß ſeine Atome auf eine andere Weiſe geordnet ſind, als wie beim Kalkſpath; beim Erwärmen eines Arragonitkryſtalls, bei dem Inbewegungſetzen ſeiner Atome durch die Ausdehnung heben wir ihr Beharrungsvermögen auf und mit großer Kraft zerſpringt in Folge deſſen der Arragonitkryſtall zu einem Hauf- werk von Kryſtallen und Kalkſpath. Es iſt unmöglich, ſich über die Urſachen dieſer Verände- rungen zu täuſchen, ſie iſt eine Aufhebung des Zuſtandes der Ruhe, in Folge welcher die in Bewegung geſetzten Theilchen eines Körpers entweder andern, oder ihren eigenen natürlichen Anziehungen folgen. Wenn aber, wie ſich aus dem Vorhergehenden ergiebt, die mechaniſche Bewegung ſchon hinreicht, um bei vielen Körpern eine Form und Zuſtandsänderung zu bewirken, ſo kann es um ſo weniger zweifelhaft erſcheinen, daß ein im Zuſtand der Ver- bindung oder Zerſetzung begriffener Körper fähig iſt, gewiſſen andern Körpern den nämlichen Zuſtand der Bewegung oder Thätigkeit zu ertheilen, in welchem ſich ſeine Atome befinden, durch ſeine Berührung alſo mit andern Körpern, dieſe zu be- fähigen, Verbindungen einzugehen oder Zerſetzungen zu erleiden. Dieſer Einfluß iſt durch die angeführten Thatſachen aus dem Verhalten anorganiſcher Körper hinreichend belegt worden, er zeigt ſich bei den organiſchen Materien bei weitem häufiger und nimmt die Form an von den umfaſſendſten und bewun- dernswürdigſten Naturerſcheinungen. 14

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Zitationshilfe: Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840/227>, abgerufen am 03.05.2024.