Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.der Erwartung, Klemenz dort zu sehen. Und diese Erwartung trog mich nicht. Als ich in dem Landhause ankam, fand ich meine Beschützerin nicht zu Hause. Sie war zu dem Frauencomite gefahren, der Diener hatte aber die Weisung erhalten, mich zum Bleiben aufzufordern. Er öffnete mir das Gartencabinet und überließ mich mir selber, der gefährlichsten Gesellschaft, die ich haben konnte. Das Herz hat seine unwiderleglichen Ahnungen. Kaum hatte ich das Zimmer betreten, als es mir zur unumstößlichen Gewißheit wurde, daß ich Klemenz hier, gerade in diesem Raume sehen würde, und es war mir, als hätte ich schon einmal hier gesessen, als hätte ich hier einmal irgend etwas erlebt. Bald sann ich darüber, was das denn gewesen, bald fragte ich mich, ob ich vielleicht von diesem Zimmer einst geträumt; aber das war unmöglich, denn ich hatte es nie zuvor betreten, und doch kannte ich Alles in demselben auf das Genaueste. Diese Tapeten, zwischen deren grünem Weinlaub Liebesgötterchen hervorsahen, diese niedrigen Möbel von schwarzem Ebenholz mit Bronze verziert, diese Polster von grünem Gros de Tour und die Kupferstiche, welche Scenen aus dem englischen Landleben darstellten, dies Alles hatte ich schon gesehen. Vor dem großen Blumenkörbe in der Mitte des Zimmers, in welchem die damals noch seltenen Hortensien blühten, hatte ich schon gestanden, grade so war das Licht der Erwartung, Klemenz dort zu sehen. Und diese Erwartung trog mich nicht. Als ich in dem Landhause ankam, fand ich meine Beschützerin nicht zu Hause. Sie war zu dem Frauencomité gefahren, der Diener hatte aber die Weisung erhalten, mich zum Bleiben aufzufordern. Er öffnete mir das Gartencabinet und überließ mich mir selber, der gefährlichsten Gesellschaft, die ich haben konnte. Das Herz hat seine unwiderleglichen Ahnungen. Kaum hatte ich das Zimmer betreten, als es mir zur unumstößlichen Gewißheit wurde, daß ich Klemenz hier, gerade in diesem Raume sehen würde, und es war mir, als hätte ich schon einmal hier gesessen, als hätte ich hier einmal irgend etwas erlebt. Bald sann ich darüber, was das denn gewesen, bald fragte ich mich, ob ich vielleicht von diesem Zimmer einst geträumt; aber das war unmöglich, denn ich hatte es nie zuvor betreten, und doch kannte ich Alles in demselben auf das Genaueste. Diese Tapeten, zwischen deren grünem Weinlaub Liebesgötterchen hervorsahen, diese niedrigen Möbel von schwarzem Ebenholz mit Bronze verziert, diese Polster von grünem Gros de Tour und die Kupferstiche, welche Scenen aus dem englischen Landleben darstellten, dies Alles hatte ich schon gesehen. Vor dem großen Blumenkörbe in der Mitte des Zimmers, in welchem die damals noch seltenen Hortensien blühten, hatte ich schon gestanden, grade so war das Licht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="diaryEntry" n="2"> <p><pb facs="#f0095"/> der Erwartung, Klemenz dort zu sehen. Und diese Erwartung trog mich nicht.</p><lb/> <p>Als ich in dem Landhause ankam, fand ich meine Beschützerin nicht zu Hause. Sie war zu dem Frauencomité gefahren, der Diener hatte aber die Weisung erhalten, mich zum Bleiben aufzufordern. Er öffnete mir das Gartencabinet und überließ mich mir selber, der gefährlichsten Gesellschaft, die ich haben konnte.</p><lb/> <p>Das Herz hat seine unwiderleglichen Ahnungen. Kaum hatte ich das Zimmer betreten, als es mir zur unumstößlichen Gewißheit wurde, daß ich Klemenz hier, gerade in diesem Raume sehen würde, und es war mir, als hätte ich schon einmal hier gesessen, als hätte ich hier einmal irgend etwas erlebt. Bald sann ich darüber, was das denn gewesen, bald fragte ich mich, ob ich vielleicht von diesem Zimmer einst geträumt; aber das war unmöglich, denn ich hatte es nie zuvor betreten, und doch kannte ich Alles in demselben auf das Genaueste.</p><lb/> <p>Diese Tapeten, zwischen deren grünem Weinlaub Liebesgötterchen hervorsahen, diese niedrigen Möbel von schwarzem Ebenholz mit Bronze verziert, diese Polster von grünem Gros de Tour und die Kupferstiche, welche Scenen aus dem englischen Landleben darstellten, dies Alles hatte ich schon gesehen. Vor dem großen Blumenkörbe in der Mitte des Zimmers, in welchem die damals noch seltenen Hortensien blühten, hatte ich schon gestanden, grade so war das Licht<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0095]
der Erwartung, Klemenz dort zu sehen. Und diese Erwartung trog mich nicht.
Als ich in dem Landhause ankam, fand ich meine Beschützerin nicht zu Hause. Sie war zu dem Frauencomité gefahren, der Diener hatte aber die Weisung erhalten, mich zum Bleiben aufzufordern. Er öffnete mir das Gartencabinet und überließ mich mir selber, der gefährlichsten Gesellschaft, die ich haben konnte.
Das Herz hat seine unwiderleglichen Ahnungen. Kaum hatte ich das Zimmer betreten, als es mir zur unumstößlichen Gewißheit wurde, daß ich Klemenz hier, gerade in diesem Raume sehen würde, und es war mir, als hätte ich schon einmal hier gesessen, als hätte ich hier einmal irgend etwas erlebt. Bald sann ich darüber, was das denn gewesen, bald fragte ich mich, ob ich vielleicht von diesem Zimmer einst geträumt; aber das war unmöglich, denn ich hatte es nie zuvor betreten, und doch kannte ich Alles in demselben auf das Genaueste.
Diese Tapeten, zwischen deren grünem Weinlaub Liebesgötterchen hervorsahen, diese niedrigen Möbel von schwarzem Ebenholz mit Bronze verziert, diese Polster von grünem Gros de Tour und die Kupferstiche, welche Scenen aus dem englischen Landleben darstellten, dies Alles hatte ich schon gesehen. Vor dem großen Blumenkörbe in der Mitte des Zimmers, in welchem die damals noch seltenen Hortensien blühten, hatte ich schon gestanden, grade so war das Licht
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/95 |
Zitationshilfe: | Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/95>, abgerufen am 05.07.2024. |