Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.anders machen können. In jenen Tagen, in denen Alles zu helfen, zu nützen bemüht war, als ein Wesen bezeichnet zu werden, das dem eigenen Manne, dem Wohlthäter nichts zu leisten, nichts zu sein vermochte, das schien mir das Schwerste, das mich treffen konnte. Tag und Nacht fand ich keine Ruhe, keinen Schlaf. Wenn ich müde bis zur Erschöpfung Nachts im Bette lag und vor meinen wachen Augen die entsetzlichsten Bilder wechselten, so sah ich wohl zum Lager meiner Mutter hinüber, und auch sie war wach und hatte die Hände still gefaltet im Gebete. Ich gab kein Zeichen, daß ich sie beobachtete, aber in meinem Innern rief es: warum hat die Mutter ihn nicht geheirathet, die er zu sich fordern, die zu ihm eilen und ihn pflegen würde! Ich sah es, wie sehr sie um ihn sorgte, obschon sie mir stets Muth zusprach. Ich konnte den Gedanken nicht los werden, daß ich Unrecht gethan, die Hand des Onkels anzunehmen, daß ich ihn nicht verdiene, nie verdienen könne, und daß er mit meiner Mutter, ja selbst mit meiner Schwester besser daran gewesen wäre, als mit mir. Das entwurzelte mich aus dem Boden der Sicherheit, auf dem ich mich bisher bewegt hatte, und meine Gesundheit wurde davon angegriffen. Ich verlor alle Farbe, wurde mager, und des Kummers nicht gewohnt, kam er mir unerträglich vor. Alles, was ich bisher im heitern Lichte der Sorglosigkeit betrachtet, erschien mir jetzt in düsterer Farbe. anders machen können. In jenen Tagen, in denen Alles zu helfen, zu nützen bemüht war, als ein Wesen bezeichnet zu werden, das dem eigenen Manne, dem Wohlthäter nichts zu leisten, nichts zu sein vermochte, das schien mir das Schwerste, das mich treffen konnte. Tag und Nacht fand ich keine Ruhe, keinen Schlaf. Wenn ich müde bis zur Erschöpfung Nachts im Bette lag und vor meinen wachen Augen die entsetzlichsten Bilder wechselten, so sah ich wohl zum Lager meiner Mutter hinüber, und auch sie war wach und hatte die Hände still gefaltet im Gebete. Ich gab kein Zeichen, daß ich sie beobachtete, aber in meinem Innern rief es: warum hat die Mutter ihn nicht geheirathet, die er zu sich fordern, die zu ihm eilen und ihn pflegen würde! Ich sah es, wie sehr sie um ihn sorgte, obschon sie mir stets Muth zusprach. Ich konnte den Gedanken nicht los werden, daß ich Unrecht gethan, die Hand des Onkels anzunehmen, daß ich ihn nicht verdiene, nie verdienen könne, und daß er mit meiner Mutter, ja selbst mit meiner Schwester besser daran gewesen wäre, als mit mir. Das entwurzelte mich aus dem Boden der Sicherheit, auf dem ich mich bisher bewegt hatte, und meine Gesundheit wurde davon angegriffen. Ich verlor alle Farbe, wurde mager, und des Kummers nicht gewohnt, kam er mir unerträglich vor. Alles, was ich bisher im heitern Lichte der Sorglosigkeit betrachtet, erschien mir jetzt in düsterer Farbe. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="diaryEntry" n="2"> <p><pb facs="#f0087"/> anders machen können. In jenen Tagen, in denen Alles zu helfen, zu nützen bemüht war, als ein Wesen bezeichnet zu werden, das dem eigenen Manne, dem Wohlthäter nichts zu leisten, nichts zu sein vermochte, das schien mir das Schwerste, das mich treffen konnte.</p><lb/> <p>Tag und Nacht fand ich keine Ruhe, keinen Schlaf. Wenn ich müde bis zur Erschöpfung Nachts im Bette lag und vor meinen wachen Augen die entsetzlichsten Bilder wechselten, so sah ich wohl zum Lager meiner Mutter hinüber, und auch sie war wach und hatte die Hände still gefaltet im Gebete. Ich gab kein Zeichen, daß ich sie beobachtete, aber in meinem Innern rief es: warum hat die Mutter ihn nicht geheirathet, die er zu sich fordern, die zu ihm eilen und ihn pflegen würde! Ich sah es, wie sehr sie um ihn sorgte, obschon sie mir stets Muth zusprach. Ich konnte den Gedanken nicht los werden, daß ich Unrecht gethan, die Hand des Onkels anzunehmen, daß ich ihn nicht verdiene, nie verdienen könne, und daß er mit meiner Mutter, ja selbst mit meiner Schwester besser daran gewesen wäre, als mit mir. Das entwurzelte mich aus dem Boden der Sicherheit, auf dem ich mich bisher bewegt hatte, und meine Gesundheit wurde davon angegriffen. Ich verlor alle Farbe, wurde mager, und des Kummers nicht gewohnt, kam er mir unerträglich vor.</p><lb/> <p>Alles, was ich bisher im heitern Lichte der Sorglosigkeit betrachtet, erschien mir jetzt in düsterer Farbe.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0087]
anders machen können. In jenen Tagen, in denen Alles zu helfen, zu nützen bemüht war, als ein Wesen bezeichnet zu werden, das dem eigenen Manne, dem Wohlthäter nichts zu leisten, nichts zu sein vermochte, das schien mir das Schwerste, das mich treffen konnte.
Tag und Nacht fand ich keine Ruhe, keinen Schlaf. Wenn ich müde bis zur Erschöpfung Nachts im Bette lag und vor meinen wachen Augen die entsetzlichsten Bilder wechselten, so sah ich wohl zum Lager meiner Mutter hinüber, und auch sie war wach und hatte die Hände still gefaltet im Gebete. Ich gab kein Zeichen, daß ich sie beobachtete, aber in meinem Innern rief es: warum hat die Mutter ihn nicht geheirathet, die er zu sich fordern, die zu ihm eilen und ihn pflegen würde! Ich sah es, wie sehr sie um ihn sorgte, obschon sie mir stets Muth zusprach. Ich konnte den Gedanken nicht los werden, daß ich Unrecht gethan, die Hand des Onkels anzunehmen, daß ich ihn nicht verdiene, nie verdienen könne, und daß er mit meiner Mutter, ja selbst mit meiner Schwester besser daran gewesen wäre, als mit mir. Das entwurzelte mich aus dem Boden der Sicherheit, auf dem ich mich bisher bewegt hatte, und meine Gesundheit wurde davon angegriffen. Ich verlor alle Farbe, wurde mager, und des Kummers nicht gewohnt, kam er mir unerträglich vor.
Alles, was ich bisher im heitern Lichte der Sorglosigkeit betrachtet, erschien mir jetzt in düsterer Farbe.
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Zitationshilfe: | Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/87>, abgerufen am 05.07.2024. |