Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Da zog Klemenz einen Brief hervor, den ein Waffengefährte Schlichting's geschrieben hatte. Es hieß darin: Auch Schlichting ist verwundet. Die rechte Schulter ist ihm über dem Arm durchschossen, und er fiebert heftig. Doch ist er vollkommen klar und keine Gefahr für ihn vorhanden. Er ersucht Sie, diese Nachricht seiner jungen Frau zu bringen, sie aber in seinem Namen ausdrücklich zu bitten, daß sie sich keiner unnöthigen Besorgniß überlassen und unter dem Schutze ihrer trefflichen Mutter ruhig die weiteren Nachrichten abwarten solle, die sie baldmöglichst erhalten wird. -- Ich verstummte vor dem Befehle. Klemenz gab uns alle Auskunft, die er noch erhalten hatte, dann entfernte er sich, und wir blieben allein, ohne daß wir mit einander sprachen, meine Mutter und ich. Nur Caroline konnte denken, fragen, Pläne, Vorschläge machen. Wir Andern waren wie benommen. Wärst du nicht solch ein Kind, sagte Caroline endlich, könntest du allein reisen, ich riethe dir dennoch zu gehen. Mich an deiner Stelle, mich sollte kein Befehl und keine Macht der Erde fern halten von dem Krankenlager meines Mannes. Aber du freilich, du kannst nicht gehen -- und im Grunde, was solltest du auch dort, so unerfahren wie du armes Kind es bist? Ich bin überzeugt, es lag ihren Worten nur der ehrliche Ausdruck ihrer Stimmung zum Grunde, aber hätte sie die Absicht gehabt, mich noch tiefer in Muthlosigkeit und Trauer zu versenken, sie hätte es nicht Da zog Klemenz einen Brief hervor, den ein Waffengefährte Schlichting's geschrieben hatte. Es hieß darin: Auch Schlichting ist verwundet. Die rechte Schulter ist ihm über dem Arm durchschossen, und er fiebert heftig. Doch ist er vollkommen klar und keine Gefahr für ihn vorhanden. Er ersucht Sie, diese Nachricht seiner jungen Frau zu bringen, sie aber in seinem Namen ausdrücklich zu bitten, daß sie sich keiner unnöthigen Besorgniß überlassen und unter dem Schutze ihrer trefflichen Mutter ruhig die weiteren Nachrichten abwarten solle, die sie baldmöglichst erhalten wird. — Ich verstummte vor dem Befehle. Klemenz gab uns alle Auskunft, die er noch erhalten hatte, dann entfernte er sich, und wir blieben allein, ohne daß wir mit einander sprachen, meine Mutter und ich. Nur Caroline konnte denken, fragen, Pläne, Vorschläge machen. Wir Andern waren wie benommen. Wärst du nicht solch ein Kind, sagte Caroline endlich, könntest du allein reisen, ich riethe dir dennoch zu gehen. Mich an deiner Stelle, mich sollte kein Befehl und keine Macht der Erde fern halten von dem Krankenlager meines Mannes. Aber du freilich, du kannst nicht gehen — und im Grunde, was solltest du auch dort, so unerfahren wie du armes Kind es bist? Ich bin überzeugt, es lag ihren Worten nur der ehrliche Ausdruck ihrer Stimmung zum Grunde, aber hätte sie die Absicht gehabt, mich noch tiefer in Muthlosigkeit und Trauer zu versenken, sie hätte es nicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="diaryEntry" n="2"> <pb facs="#f0086"/> <p>Da zog Klemenz einen Brief hervor, den ein Waffengefährte Schlichting's geschrieben hatte. Es hieß darin: Auch Schlichting ist verwundet. Die rechte Schulter ist ihm über dem Arm durchschossen, und er fiebert heftig. Doch ist er vollkommen klar und keine Gefahr für ihn vorhanden. Er ersucht Sie, diese Nachricht seiner jungen Frau zu bringen, sie aber in seinem Namen ausdrücklich zu bitten, daß sie sich keiner unnöthigen Besorgniß überlassen und unter dem Schutze ihrer trefflichen Mutter ruhig die weiteren Nachrichten abwarten solle, die sie baldmöglichst erhalten wird. — Ich verstummte vor dem Befehle. Klemenz gab uns alle Auskunft, die er noch erhalten hatte, dann entfernte er sich, und wir blieben allein, ohne daß wir mit einander sprachen, meine Mutter und ich. Nur Caroline konnte denken, fragen, Pläne, Vorschläge machen. Wir Andern waren wie benommen.</p><lb/> <p>Wärst du nicht solch ein Kind, sagte Caroline endlich, könntest du allein reisen, ich riethe dir dennoch zu gehen. Mich an deiner Stelle, mich sollte kein Befehl und keine Macht der Erde fern halten von dem Krankenlager meines Mannes. Aber du freilich, du kannst nicht gehen — und im Grunde, was solltest du auch dort, so unerfahren wie du armes Kind es bist? Ich bin überzeugt, es lag ihren Worten nur der ehrliche Ausdruck ihrer Stimmung zum Grunde, aber hätte sie die Absicht gehabt, mich noch tiefer in Muthlosigkeit und Trauer zu versenken, sie hätte es nicht<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0086]
Da zog Klemenz einen Brief hervor, den ein Waffengefährte Schlichting's geschrieben hatte. Es hieß darin: Auch Schlichting ist verwundet. Die rechte Schulter ist ihm über dem Arm durchschossen, und er fiebert heftig. Doch ist er vollkommen klar und keine Gefahr für ihn vorhanden. Er ersucht Sie, diese Nachricht seiner jungen Frau zu bringen, sie aber in seinem Namen ausdrücklich zu bitten, daß sie sich keiner unnöthigen Besorgniß überlassen und unter dem Schutze ihrer trefflichen Mutter ruhig die weiteren Nachrichten abwarten solle, die sie baldmöglichst erhalten wird. — Ich verstummte vor dem Befehle. Klemenz gab uns alle Auskunft, die er noch erhalten hatte, dann entfernte er sich, und wir blieben allein, ohne daß wir mit einander sprachen, meine Mutter und ich. Nur Caroline konnte denken, fragen, Pläne, Vorschläge machen. Wir Andern waren wie benommen.
Wärst du nicht solch ein Kind, sagte Caroline endlich, könntest du allein reisen, ich riethe dir dennoch zu gehen. Mich an deiner Stelle, mich sollte kein Befehl und keine Macht der Erde fern halten von dem Krankenlager meines Mannes. Aber du freilich, du kannst nicht gehen — und im Grunde, was solltest du auch dort, so unerfahren wie du armes Kind es bist? Ich bin überzeugt, es lag ihren Worten nur der ehrliche Ausdruck ihrer Stimmung zum Grunde, aber hätte sie die Absicht gehabt, mich noch tiefer in Muthlosigkeit und Trauer zu versenken, sie hätte es nicht
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Zitationshilfe: | Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/86>, abgerufen am 05.07.2024. |