Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.nicht. Dafür will ich dich noch ganz anders lieben und verehren, wenn du wieder kommst. Wenn ich wieder komme! sprach der Onkel mir nach, und seine Stimme klang bewegt. Ich sah ihn, ich sah meine Mutter an; daß er nicht wiederkehren könne, daran hatte ich in meiner Erregung nicht gedacht. O, du wirst nicht sterben! rief ich. Siehst du, Onkel, siehst du, Mutter, ich habe die felsenfeste Ueberzeugung, daß der Onkel gesund zurückkommt, daß ihm nichts geschieht. Gewiß nichts, Onkel! Er lächelte und strich mir mit der Hand leise über die Stirne. Das gebe Gott! sagte er, denn ich mag noch gerne leben. Indeß habe ich seit Wochen meine Angelegenheiten darauf vorbereitet, daß ich gehe, und für alle Fälle vorgesorgt. Komme es dann, wie's Gott gefällt. Er war so ruhig, daß ich plötzlich zu weinen anfing; auch die Mutter hatte die Augen voller Thränen und konnte gar nichts sprechen, nicht einmal fragen, wann er gehen werde? Er schwieg einen Augenblick, als habe er die eigene Bewegung zu besiegen, dann hieß er mich das Zimmer verlassen. Als ich hinaus war, setzte er sich zu meiner Mutter nieder und nahm ihre Hand, die sie ihm willig überließ. Er schien nachzudenken und doch nicht zu wissen, wie er es der Mutter sagen sollte, was ihm auf der Seele lag und was gesagt und schnell gesagt nicht. Dafür will ich dich noch ganz anders lieben und verehren, wenn du wieder kommst. Wenn ich wieder komme! sprach der Onkel mir nach, und seine Stimme klang bewegt. Ich sah ihn, ich sah meine Mutter an; daß er nicht wiederkehren könne, daran hatte ich in meiner Erregung nicht gedacht. O, du wirst nicht sterben! rief ich. Siehst du, Onkel, siehst du, Mutter, ich habe die felsenfeste Ueberzeugung, daß der Onkel gesund zurückkommt, daß ihm nichts geschieht. Gewiß nichts, Onkel! Er lächelte und strich mir mit der Hand leise über die Stirne. Das gebe Gott! sagte er, denn ich mag noch gerne leben. Indeß habe ich seit Wochen meine Angelegenheiten darauf vorbereitet, daß ich gehe, und für alle Fälle vorgesorgt. Komme es dann, wie's Gott gefällt. Er war so ruhig, daß ich plötzlich zu weinen anfing; auch die Mutter hatte die Augen voller Thränen und konnte gar nichts sprechen, nicht einmal fragen, wann er gehen werde? Er schwieg einen Augenblick, als habe er die eigene Bewegung zu besiegen, dann hieß er mich das Zimmer verlassen. Als ich hinaus war, setzte er sich zu meiner Mutter nieder und nahm ihre Hand, die sie ihm willig überließ. Er schien nachzudenken und doch nicht zu wissen, wie er es der Mutter sagen sollte, was ihm auf der Seele lag und was gesagt und schnell gesagt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="diaryEntry" n="2"> <p><pb facs="#f0063"/> nicht. Dafür will ich dich noch ganz anders lieben und verehren, wenn du wieder kommst.</p><lb/> <p>Wenn ich wieder komme! sprach der Onkel mir nach, und seine Stimme klang bewegt. Ich sah ihn, ich sah meine Mutter an; daß er nicht wiederkehren könne, daran hatte ich in meiner Erregung nicht gedacht. O, du wirst nicht sterben! rief ich. Siehst du, Onkel, siehst du, Mutter, ich habe die felsenfeste Ueberzeugung, daß der Onkel gesund zurückkommt, daß ihm nichts geschieht. Gewiß nichts, Onkel!</p><lb/> <p>Er lächelte und strich mir mit der Hand leise über die Stirne. Das gebe Gott! sagte er, denn ich mag noch gerne leben. Indeß habe ich seit Wochen meine Angelegenheiten darauf vorbereitet, daß ich gehe, und für alle Fälle vorgesorgt. Komme es dann, wie's Gott gefällt. Er war so ruhig, daß ich plötzlich zu weinen anfing; auch die Mutter hatte die Augen voller Thränen und konnte gar nichts sprechen, nicht einmal fragen, wann er gehen werde? Er schwieg einen Augenblick, als habe er die eigene Bewegung zu besiegen, dann hieß er mich das Zimmer verlassen.</p><lb/> <p>Als ich hinaus war, setzte er sich zu meiner Mutter nieder und nahm ihre Hand, die sie ihm willig überließ. Er schien nachzudenken und doch nicht zu wissen, wie er es der Mutter sagen sollte, was ihm auf der Seele lag und was gesagt und schnell gesagt<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0063]
nicht. Dafür will ich dich noch ganz anders lieben und verehren, wenn du wieder kommst.
Wenn ich wieder komme! sprach der Onkel mir nach, und seine Stimme klang bewegt. Ich sah ihn, ich sah meine Mutter an; daß er nicht wiederkehren könne, daran hatte ich in meiner Erregung nicht gedacht. O, du wirst nicht sterben! rief ich. Siehst du, Onkel, siehst du, Mutter, ich habe die felsenfeste Ueberzeugung, daß der Onkel gesund zurückkommt, daß ihm nichts geschieht. Gewiß nichts, Onkel!
Er lächelte und strich mir mit der Hand leise über die Stirne. Das gebe Gott! sagte er, denn ich mag noch gerne leben. Indeß habe ich seit Wochen meine Angelegenheiten darauf vorbereitet, daß ich gehe, und für alle Fälle vorgesorgt. Komme es dann, wie's Gott gefällt. Er war so ruhig, daß ich plötzlich zu weinen anfing; auch die Mutter hatte die Augen voller Thränen und konnte gar nichts sprechen, nicht einmal fragen, wann er gehen werde? Er schwieg einen Augenblick, als habe er die eigene Bewegung zu besiegen, dann hieß er mich das Zimmer verlassen.
Als ich hinaus war, setzte er sich zu meiner Mutter nieder und nahm ihre Hand, die sie ihm willig überließ. Er schien nachzudenken und doch nicht zu wissen, wie er es der Mutter sagen sollte, was ihm auf der Seele lag und was gesagt und schnell gesagt
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Zitationshilfe: | Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/63>, abgerufen am 26.07.2024. |