Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.helfen könnten in der Welt; wir mußten es oft hören, Niemandem werde sein Schicksal an der Wiege vorgesungen, es sei Alles wandelbar, man dürfe sich also nicht verwöhnen. Das klang Alles unheimlich und zog schattenhaft und trüb an uns vorüber, und da vollends zu Anfang des Jahres achtzehnhundert sechs die Großmutter verschied und wir Alle in die schwarze Trauertracht gekleidet wurden, dachte ich, nun sei es mit allen bunten Farben und aller Lust und Heiterkeit auch ein für allemal vorbei. Es wurden der Trauer wegen keine Gesellschaften gegeben, die Mutter ging auch mit den großen Schwestern nicht zu Bällen, und wir Kleinen fragten nur immer, was denn Caroline mit den Herrlichkeiten und den Diamanten aus dem großen Schranke machen würde, an welche sich eine traditionelle Erinnerung unter uns erhalten hatte. Aber der Krieg rückte immer näher, Handel und Wandel geriethen ins Stocken, der Vater hatte viele Verluste zu erleiden, und im Herbste war es mit allen heitern Aussichten in die Zukunft nun vollends für lange Zeit vorbei. Die Schlachten bei Saalfeld und Jena wurden geschlagen und verloren, der schöne Prinz Louis Ferdinand, den wir Kinder alle so oft gesehen und angestaunt, war umgekommen, die Feinde rückten in das Land, der König mußte fliehen, alle Minister und die zu ihren Bureau's gehörenden Beamten folgten ihm. Ich erinnere mich noch deutlich jenes Abends, an dem Schlichting Abschied nahm. Er war mit seinem Mini- helfen könnten in der Welt; wir mußten es oft hören, Niemandem werde sein Schicksal an der Wiege vorgesungen, es sei Alles wandelbar, man dürfe sich also nicht verwöhnen. Das klang Alles unheimlich und zog schattenhaft und trüb an uns vorüber, und da vollends zu Anfang des Jahres achtzehnhundert sechs die Großmutter verschied und wir Alle in die schwarze Trauertracht gekleidet wurden, dachte ich, nun sei es mit allen bunten Farben und aller Lust und Heiterkeit auch ein für allemal vorbei. Es wurden der Trauer wegen keine Gesellschaften gegeben, die Mutter ging auch mit den großen Schwestern nicht zu Bällen, und wir Kleinen fragten nur immer, was denn Caroline mit den Herrlichkeiten und den Diamanten aus dem großen Schranke machen würde, an welche sich eine traditionelle Erinnerung unter uns erhalten hatte. Aber der Krieg rückte immer näher, Handel und Wandel geriethen ins Stocken, der Vater hatte viele Verluste zu erleiden, und im Herbste war es mit allen heitern Aussichten in die Zukunft nun vollends für lange Zeit vorbei. Die Schlachten bei Saalfeld und Jena wurden geschlagen und verloren, der schöne Prinz Louis Ferdinand, den wir Kinder alle so oft gesehen und angestaunt, war umgekommen, die Feinde rückten in das Land, der König mußte fliehen, alle Minister und die zu ihren Bureau's gehörenden Beamten folgten ihm. Ich erinnere mich noch deutlich jenes Abends, an dem Schlichting Abschied nahm. Er war mit seinem Mini- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="diaryEntry" n="2"> <p><pb facs="#f0048"/> helfen könnten in der Welt; wir mußten es oft hören, Niemandem werde sein Schicksal an der Wiege vorgesungen, es sei Alles wandelbar, man dürfe sich also nicht verwöhnen. Das klang Alles unheimlich und zog schattenhaft und trüb an uns vorüber, und da vollends zu Anfang des Jahres achtzehnhundert sechs die Großmutter verschied und wir Alle in die schwarze Trauertracht gekleidet wurden, dachte ich, nun sei es mit allen bunten Farben und aller Lust und Heiterkeit auch ein für allemal vorbei. Es wurden der Trauer wegen keine Gesellschaften gegeben, die Mutter ging auch mit den großen Schwestern nicht zu Bällen, und wir Kleinen fragten nur immer, was denn Caroline mit den Herrlichkeiten und den Diamanten aus dem großen Schranke machen würde, an welche sich eine traditionelle Erinnerung unter uns erhalten hatte.</p><lb/> <p>Aber der Krieg rückte immer näher, Handel und Wandel geriethen ins Stocken, der Vater hatte viele Verluste zu erleiden, und im Herbste war es mit allen heitern Aussichten in die Zukunft nun vollends für lange Zeit vorbei. Die Schlachten bei Saalfeld und Jena wurden geschlagen und verloren, der schöne Prinz Louis Ferdinand, den wir Kinder alle so oft gesehen und angestaunt, war umgekommen, die Feinde rückten in das Land, der König mußte fliehen, alle Minister und die zu ihren Bureau's gehörenden Beamten folgten ihm. Ich erinnere mich noch deutlich jenes Abends, an dem Schlichting Abschied nahm. Er war mit seinem Mini-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0048]
helfen könnten in der Welt; wir mußten es oft hören, Niemandem werde sein Schicksal an der Wiege vorgesungen, es sei Alles wandelbar, man dürfe sich also nicht verwöhnen. Das klang Alles unheimlich und zog schattenhaft und trüb an uns vorüber, und da vollends zu Anfang des Jahres achtzehnhundert sechs die Großmutter verschied und wir Alle in die schwarze Trauertracht gekleidet wurden, dachte ich, nun sei es mit allen bunten Farben und aller Lust und Heiterkeit auch ein für allemal vorbei. Es wurden der Trauer wegen keine Gesellschaften gegeben, die Mutter ging auch mit den großen Schwestern nicht zu Bällen, und wir Kleinen fragten nur immer, was denn Caroline mit den Herrlichkeiten und den Diamanten aus dem großen Schranke machen würde, an welche sich eine traditionelle Erinnerung unter uns erhalten hatte.
Aber der Krieg rückte immer näher, Handel und Wandel geriethen ins Stocken, der Vater hatte viele Verluste zu erleiden, und im Herbste war es mit allen heitern Aussichten in die Zukunft nun vollends für lange Zeit vorbei. Die Schlachten bei Saalfeld und Jena wurden geschlagen und verloren, der schöne Prinz Louis Ferdinand, den wir Kinder alle so oft gesehen und angestaunt, war umgekommen, die Feinde rückten in das Land, der König mußte fliehen, alle Minister und die zu ihren Bureau's gehörenden Beamten folgten ihm. Ich erinnere mich noch deutlich jenes Abends, an dem Schlichting Abschied nahm. Er war mit seinem Mini-
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Zitationshilfe: | Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/48>, abgerufen am 26.07.2024. |