Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.sie wieder wie damals, und -- fügte sie nach kurzer Pause hinzu -- und was würde erst aus dir werden, wenn Klemenz diese Liebe theilte! Ich richtete mich auf, ich sah sie mit meinen weinenden Augen an, denn ich begriff sie immer weniger. Was hat dir Klemenz denn gesagt? fragte ich leise. Gesagt? wiederholte sie, was brauchte er es mir zu sagen? Ich fühlte, seit er zum Erstenmal zu uns kam, wie sehr wir uns verstanden, wie gleich wir dachten. Er, er und ich, wir waren auch die Einzigen, die dich schweigend beklagten in der Trauungsstunde. Ich sah den Blick, den er auf dich richtete und der sich dann zu mir wendete, gleichsam Verständniß suchend. Ein paar Tage später hatten wir an einem Abende, als hier Alles von Gratulationsbesuchen für dich voll war, im Cabinete eine lange und ernste Unterredung über die Liebe und die Ehe. Alles, was er sprach, war mir aus dem Herzen gesprochen, löste die Starrheit des Schmerzes von meiner Brust. Gleichheit aller Lebensbedingungen, sagte er, ist die Wurzel der Liebe, wo diese Gleichheit fehlt, bleibt das Unglück der Ehe selten aus. Er that, als bezöge er es auf dich und den Onkel, aber ich fühlte, daß er die Verbiendung meinte, mit der ich mich einem Manne verlobt, der nicht meines Volkes, nicht meines Glaubens gewesen, und als ich ihm erschüttert von seiner Theilnahme die Hand reichte, drückte und küßte er sie mit solcher Liebe -- ja, es war schon damals Liebe, sie wieder wie damals, und — fügte sie nach kurzer Pause hinzu — und was würde erst aus dir werden, wenn Klemenz diese Liebe theilte! Ich richtete mich auf, ich sah sie mit meinen weinenden Augen an, denn ich begriff sie immer weniger. Was hat dir Klemenz denn gesagt? fragte ich leise. Gesagt? wiederholte sie, was brauchte er es mir zu sagen? Ich fühlte, seit er zum Erstenmal zu uns kam, wie sehr wir uns verstanden, wie gleich wir dachten. Er, er und ich, wir waren auch die Einzigen, die dich schweigend beklagten in der Trauungsstunde. Ich sah den Blick, den er auf dich richtete und der sich dann zu mir wendete, gleichsam Verständniß suchend. Ein paar Tage später hatten wir an einem Abende, als hier Alles von Gratulationsbesuchen für dich voll war, im Cabinete eine lange und ernste Unterredung über die Liebe und die Ehe. Alles, was er sprach, war mir aus dem Herzen gesprochen, löste die Starrheit des Schmerzes von meiner Brust. Gleichheit aller Lebensbedingungen, sagte er, ist die Wurzel der Liebe, wo diese Gleichheit fehlt, bleibt das Unglück der Ehe selten aus. Er that, als bezöge er es auf dich und den Onkel, aber ich fühlte, daß er die Verbiendung meinte, mit der ich mich einem Manne verlobt, der nicht meines Volkes, nicht meines Glaubens gewesen, und als ich ihm erschüttert von seiner Theilnahme die Hand reichte, drückte und küßte er sie mit solcher Liebe — ja, es war schon damals Liebe, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="diaryEntry" n="2"> <p><pb facs="#f0107"/> sie wieder wie damals, und — fügte sie nach kurzer Pause hinzu — und was würde erst aus dir werden, wenn Klemenz diese Liebe theilte! Ich richtete mich auf, ich sah sie mit meinen weinenden Augen an, denn ich begriff sie immer weniger. Was hat dir Klemenz denn gesagt? fragte ich leise.</p><lb/> <p>Gesagt? wiederholte sie, was brauchte er es mir zu sagen? Ich fühlte, seit er zum Erstenmal zu uns kam, wie sehr wir uns verstanden, wie gleich wir dachten. Er, er und ich, wir waren auch die Einzigen, die dich schweigend beklagten in der Trauungsstunde. Ich sah den Blick, den er auf dich richtete und der sich dann zu mir wendete, gleichsam Verständniß suchend. Ein paar Tage später hatten wir an einem Abende, als hier Alles von Gratulationsbesuchen für dich voll war, im Cabinete eine lange und ernste Unterredung über die Liebe und die Ehe. Alles, was er sprach, war mir aus dem Herzen gesprochen, löste die Starrheit des Schmerzes von meiner Brust. Gleichheit aller Lebensbedingungen, sagte er, ist die Wurzel der Liebe, wo diese Gleichheit fehlt, bleibt das Unglück der Ehe selten aus. Er that, als bezöge er es auf dich und den Onkel, aber ich fühlte, daß er die Verbiendung meinte, mit der ich mich einem Manne verlobt, der nicht meines Volkes, nicht meines Glaubens gewesen, und als ich ihm erschüttert von seiner Theilnahme die Hand reichte, drückte und küßte er sie mit solcher Liebe — ja, es war schon damals Liebe,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0107]
sie wieder wie damals, und — fügte sie nach kurzer Pause hinzu — und was würde erst aus dir werden, wenn Klemenz diese Liebe theilte! Ich richtete mich auf, ich sah sie mit meinen weinenden Augen an, denn ich begriff sie immer weniger. Was hat dir Klemenz denn gesagt? fragte ich leise.
Gesagt? wiederholte sie, was brauchte er es mir zu sagen? Ich fühlte, seit er zum Erstenmal zu uns kam, wie sehr wir uns verstanden, wie gleich wir dachten. Er, er und ich, wir waren auch die Einzigen, die dich schweigend beklagten in der Trauungsstunde. Ich sah den Blick, den er auf dich richtete und der sich dann zu mir wendete, gleichsam Verständniß suchend. Ein paar Tage später hatten wir an einem Abende, als hier Alles von Gratulationsbesuchen für dich voll war, im Cabinete eine lange und ernste Unterredung über die Liebe und die Ehe. Alles, was er sprach, war mir aus dem Herzen gesprochen, löste die Starrheit des Schmerzes von meiner Brust. Gleichheit aller Lebensbedingungen, sagte er, ist die Wurzel der Liebe, wo diese Gleichheit fehlt, bleibt das Unglück der Ehe selten aus. Er that, als bezöge er es auf dich und den Onkel, aber ich fühlte, daß er die Verbiendung meinte, mit der ich mich einem Manne verlobt, der nicht meines Volkes, nicht meines Glaubens gewesen, und als ich ihm erschüttert von seiner Theilnahme die Hand reichte, drückte und küßte er sie mit solcher Liebe — ja, es war schon damals Liebe,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T14:16:08Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T14:16:08Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |