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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843.

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der Menschen, daß Lob oder Tadel seiner Um-
gebung ihn kalt ließe, und es könnte für Jen-
ny's Glück eine harte Probe werden, wenn sie
es erleben müßte, Walter's Entschluß von sei-
nen Standesgenossen getadelt und ihn dadurch
verletzt zu sehen. Ihre erste Verlobung brachte
sie in geistiger Beziehung in einen traurigen
Conflikt, diese könnte sie in ein schwer zu über-
windendes Mißverhältniß zu den äußern Um-
ständen versetzen und sie leicht ebenso unglücklich
machen, als jene. Wie ich Jenny beurtheile,
fühlt sie das selbst und hat Scheu vor Walter's
unverkennbarer Neigung, weil sie sich nicht den
Muth zutraut, seiner Liebe und seiner Werbung
zu widerstehen. Bei Walter's persönlichen Eigen-
schaften und seiner Stellung in der Welt würde
es vielleicht jedem Mädchen schwer, da keines
von Eitelkeit frei und Walter ganz der Mann
ist, Liebe und Zutrauen zu erwecken. Doch
bin ich überzeugt, daß diese Heirath früher oder


der Menſchen, daß Lob oder Tadel ſeiner Um-
gebung ihn kalt ließe, und es könnte für Jen-
ny's Glück eine harte Probe werden, wenn ſie
es erleben müßte, Walter's Entſchluß von ſei-
nen Standesgenoſſen getadelt und ihn dadurch
verletzt zu ſehen. Ihre erſte Verlobung brachte
ſie in geiſtiger Beziehung in einen traurigen
Conflikt, dieſe könnte ſie in ein ſchwer zu über-
windendes Mißverhältniß zu den äußern Um-
ſtänden verſetzen und ſie leicht ebenſo unglücklich
machen, als jene. Wie ich Jenny beurtheile,
fühlt ſie das ſelbſt und hat Scheu vor Walter's
unverkennbarer Neigung, weil ſie ſich nicht den
Muth zutraut, ſeiner Liebe und ſeiner Werbung
zu widerſtehen. Bei Walter's perſönlichen Eigen-
ſchaften und ſeiner Stellung in der Welt würde
es vielleicht jedem Mädchen ſchwer, da keines
von Eitelkeit frei und Walter ganz der Mann
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[221/0231] der Menſchen, daß Lob oder Tadel ſeiner Um- gebung ihn kalt ließe, und es könnte für Jen- ny's Glück eine harte Probe werden, wenn ſie es erleben müßte, Walter's Entſchluß von ſei- nen Standesgenoſſen getadelt und ihn dadurch verletzt zu ſehen. Ihre erſte Verlobung brachte ſie in geiſtiger Beziehung in einen traurigen Conflikt, dieſe könnte ſie in ein ſchwer zu über- windendes Mißverhältniß zu den äußern Um- ſtänden verſetzen und ſie leicht ebenſo unglücklich machen, als jene. Wie ich Jenny beurtheile, fühlt ſie das ſelbſt und hat Scheu vor Walter's unverkennbarer Neigung, weil ſie ſich nicht den Muth zutraut, ſeiner Liebe und ſeiner Werbung zu widerſtehen. Bei Walter's perſönlichen Eigen- ſchaften und ſeiner Stellung in der Welt würde es vielleicht jedem Mädchen ſchwer, da keines von Eitelkeit frei und Walter ganz der Mann iſt, Liebe und Zutrauen zu erwecken. Doch bin ich überzeugt, daß dieſe Heirath früher oder

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/231>, abgerufen am 28.04.2024.