Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Es litt ihn nicht am Schreibtische. Unruhig
schritt er im Zimmer umher; er überlegte, daß
Erlau, der Bewunderer der Giovanolla, und
Steinheim gewiß im Theater wären, daß Erlau
vermuthlich jetzt in der Meierschen Loge neben
Jenny sei. Was die Liebe allein nicht ver-
mocht hatte, das errang die Eifersucht: er griff
rasch nach Hut und Mantel, und war eine
Viertelstunde später im Theater.

Erleichtert athmete er auf, als er sie allein
sah. Heute, nachdem er sie zwei Tage nicht
gesehen, in denen er unaufhörlich an sie ge-
dacht und die heißeste Sehnsucht empfunden
hatte, heute schien sie ihm schöner und begeh-
renswerther, als je! Aber Alles lag trennend
zwischen ihm und ihr: -- Religion und Ver-
hältnisse, und vor Allem ihre Kälte. Ja!
wenn er ihr mehr als ein geehrter Lehrer
wäre, wenn sie ein anderes Interesse für ihn
hätte, wenn sie ihn liebte! Mit diesen Ge-

Es litt ihn nicht am Schreibtiſche. Unruhig
ſchritt er im Zimmer umher; er überlegte, daß
Erlau, der Bewunderer der Giovanolla, und
Steinheim gewiß im Theater wären, daß Erlau
vermuthlich jetzt in der Meierſchen Loge neben
Jenny ſei. Was die Liebe allein nicht ver-
mocht hatte, das errang die Eiferſucht: er griff
raſch nach Hut und Mantel, und war eine
Viertelſtunde ſpäter im Theater.

Erleichtert athmete er auf, als er ſie allein
ſah. Heute, nachdem er ſie zwei Tage nicht
geſehen, in denen er unaufhörlich an ſie ge-
dacht und die heißeſte Sehnſucht empfunden
hatte, heute ſchien ſie ihm ſchöner und begeh-
renswerther, als je! Aber Alles lag trennend
zwiſchen ihm und ihr: — Religion und Ver-
hältniſſe, und vor Allem ihre Kälte. Ja!
wenn er ihr mehr als ein geehrter Lehrer
wäre, wenn ſie ein anderes Intereſſe für ihn
hätte, wenn ſie ihn liebte! Mit dieſen Ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0096" n="84"/>
Es litt ihn nicht am Schreibti&#x017F;che. Unruhig<lb/>
&#x017F;chritt er im Zimmer umher; er überlegte, daß<lb/>
Erlau, der Bewunderer der Giovanolla, und<lb/>
Steinheim gewiß im Theater wären, daß Erlau<lb/>
vermuthlich jetzt in der Meier&#x017F;chen Loge neben<lb/>
Jenny &#x017F;ei. Was die Liebe allein nicht ver-<lb/>
mocht hatte, das errang die Eifer&#x017F;ucht: er griff<lb/>
ra&#x017F;ch nach Hut und Mantel, und war eine<lb/>
Viertel&#x017F;tunde &#x017F;päter im Theater.</p><lb/>
        <p>Erleichtert athmete er auf, als er &#x017F;ie allein<lb/>
&#x017F;ah. Heute, nachdem er &#x017F;ie zwei Tage nicht<lb/>
ge&#x017F;ehen, in denen er unaufhörlich an &#x017F;ie ge-<lb/>
dacht und die heiße&#x017F;te Sehn&#x017F;ucht empfunden<lb/>
hatte, heute &#x017F;chien &#x017F;ie ihm &#x017F;chöner und begeh-<lb/>
renswerther, als je! Aber Alles lag trennend<lb/>
zwi&#x017F;chen ihm und ihr: &#x2014; Religion und Ver-<lb/>
hältni&#x017F;&#x017F;e, und vor Allem ihre Kälte. Ja!<lb/>
wenn er ihr mehr als ein geehrter Lehrer<lb/>
wäre, wenn &#x017F;ie ein anderes Intere&#x017F;&#x017F;e für ihn<lb/>
hätte, wenn &#x017F;ie ihn liebte! Mit die&#x017F;en Ge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0096] Es litt ihn nicht am Schreibtiſche. Unruhig ſchritt er im Zimmer umher; er überlegte, daß Erlau, der Bewunderer der Giovanolla, und Steinheim gewiß im Theater wären, daß Erlau vermuthlich jetzt in der Meierſchen Loge neben Jenny ſei. Was die Liebe allein nicht ver- mocht hatte, das errang die Eiferſucht: er griff raſch nach Hut und Mantel, und war eine Viertelſtunde ſpäter im Theater. Erleichtert athmete er auf, als er ſie allein ſah. Heute, nachdem er ſie zwei Tage nicht geſehen, in denen er unaufhörlich an ſie ge- dacht und die heißeſte Sehnſucht empfunden hatte, heute ſchien ſie ihm ſchöner und begeh- renswerther, als je! Aber Alles lag trennend zwiſchen ihm und ihr: — Religion und Ver- hältniſſe, und vor Allem ihre Kälte. Ja! wenn er ihr mehr als ein geehrter Lehrer wäre, wenn ſie ein anderes Intereſſe für ihn hätte, wenn ſie ihn liebte! Mit dieſen Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/96
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/96>, abgerufen am 12.10.2024.