Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

mehr ergeben, da er ihm die glückliche Aende-
rung seiner Lage zuschreiben mußte.

Auf Jenny hatte der neue Lehrer einen eigen-
thümlichen Eindruck gemacht. Weil Eduard
ihn so hoch hielt, hatte sie im Voraus die
günstigste Meinung für ihn gefaßt, und als
nun Reinhard in ihrem elterlichen Hause vor-
gestellt wurde, imponirte ihr sein Aeußeres und
sein ganzes Wesen auf ungewohnte Weise.
Weit über die gewöhnliche Größe, schlank und
doch sehr kräftig gebaut, hatte er eine jener
Gestalten, unter denen man sich die Ritter
der deutschen Vorzeit zu denken pflegte. Hell-
braunes, sehr weiches Haar, und große blaue
Augen, bei geraden regelmäßigen Zügen, mach-
ten das Bild des Deutschen vollkommen, und
ein Ausdruck von melancholischem Nachdenken
gab ihm in Jenny's Augen noch höhere Schön-
heit. Er bewegte sich ungezwungen, sprach mit
einer ruhigen Würde, für die er fast zu jung

mehr ergeben, da er ihm die glückliche Aende-
rung ſeiner Lage zuſchreiben mußte.

Auf Jenny hatte der neue Lehrer einen eigen-
thümlichen Eindruck gemacht. Weil Eduard
ihn ſo hoch hielt, hatte ſie im Voraus die
günſtigſte Meinung für ihn gefaßt, und als
nun Reinhard in ihrem elterlichen Hauſe vor-
geſtellt wurde, imponirte ihr ſein Aeußeres und
ſein ganzes Weſen auf ungewohnte Weiſe.
Weit über die gewöhnliche Größe, ſchlank und
doch ſehr kräftig gebaut, hatte er eine jener
Geſtalten, unter denen man ſich die Ritter
der deutſchen Vorzeit zu denken pflegte. Hell-
braunes, ſehr weiches Haar, und große blaue
Augen, bei geraden regelmäßigen Zügen, mach-
ten das Bild des Deutſchen vollkommen, und
ein Ausdruck von melancholiſchem Nachdenken
gab ihm in Jenny's Augen noch höhere Schön-
heit. Er bewegte ſich ungezwungen, ſprach mit
einer ruhigen Würde, für die er faſt zu jung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0076" n="64"/>
mehr ergeben, da er ihm die glückliche Aende-<lb/>
rung &#x017F;einer Lage zu&#x017F;chreiben mußte.</p><lb/>
        <p>Auf Jenny hatte der neue Lehrer einen eigen-<lb/>
thümlichen Eindruck gemacht. Weil Eduard<lb/>
ihn &#x017F;o hoch hielt, hatte &#x017F;ie im Voraus die<lb/>
gün&#x017F;tig&#x017F;te Meinung für ihn gefaßt, und als<lb/>
nun Reinhard in ihrem elterlichen Hau&#x017F;e vor-<lb/>
ge&#x017F;tellt wurde, imponirte ihr &#x017F;ein Aeußeres und<lb/>
&#x017F;ein ganzes We&#x017F;en auf ungewohnte Wei&#x017F;e.<lb/>
Weit über die gewöhnliche Größe, &#x017F;chlank und<lb/>
doch &#x017F;ehr kräftig gebaut, hatte er eine jener<lb/>
Ge&#x017F;talten, unter denen man &#x017F;ich die Ritter<lb/>
der deut&#x017F;chen Vorzeit zu denken pflegte. Hell-<lb/>
braunes, &#x017F;ehr weiches Haar, und große blaue<lb/>
Augen, bei geraden regelmäßigen Zügen, mach-<lb/>
ten das Bild des Deut&#x017F;chen vollkommen, und<lb/>
ein Ausdruck von melancholi&#x017F;chem Nachdenken<lb/>
gab ihm in Jenny's Augen noch höhere Schön-<lb/>
heit. Er bewegte &#x017F;ich ungezwungen, &#x017F;prach mit<lb/>
einer ruhigen Würde, für die er fa&#x017F;t zu jung<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0076] mehr ergeben, da er ihm die glückliche Aende- rung ſeiner Lage zuſchreiben mußte. Auf Jenny hatte der neue Lehrer einen eigen- thümlichen Eindruck gemacht. Weil Eduard ihn ſo hoch hielt, hatte ſie im Voraus die günſtigſte Meinung für ihn gefaßt, und als nun Reinhard in ihrem elterlichen Hauſe vor- geſtellt wurde, imponirte ihr ſein Aeußeres und ſein ganzes Weſen auf ungewohnte Weiſe. Weit über die gewöhnliche Größe, ſchlank und doch ſehr kräftig gebaut, hatte er eine jener Geſtalten, unter denen man ſich die Ritter der deutſchen Vorzeit zu denken pflegte. Hell- braunes, ſehr weiches Haar, und große blaue Augen, bei geraden regelmäßigen Zügen, mach- ten das Bild des Deutſchen vollkommen, und ein Ausdruck von melancholiſchem Nachdenken gab ihm in Jenny's Augen noch höhere Schön- heit. Er bewegte ſich ungezwungen, ſprach mit einer ruhigen Würde, für die er faſt zu jung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/76
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/76>, abgerufen am 14.10.2024.