Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Abend fing schon an hereinzubrechen
und die Atmosphäre hatte jenen warmen, been-
genden Duft, der in unserm Klima den ersten
Tagen des beginnenden Frühlings häufig eigen
ist und der Seele eine weiche melancholische
Stimmung gibt. Jenny, der man früher nie-
mals erlaubt, ohne Begleitung eines Dieners
die Straße zu betreten, wollte sich, um Rein-
hard zu gefallen, gern von Allem entwöhnen,
was der Luxus den Reichen zum Bedürfniß
macht und hatte zu Hause erklärt, sie werde
allein von dem Hause des Pastors zu ihrer
künftigen Schwiegermutter gehen. Es war das
erste Mal, daß sie den Versuch machen wollte,
und als sie nun bei einbrechender Dunkelheit --
denn der Unterricht hatte länger als gewöhnlich
gedauert -- allein durch die Straßen ging,
überkam sie ein Gefühl von Elend, wie sie es
nie zuvor empfunden hatte. Sie schämte sich,
weil irgend ein Bekannter sie sehen könnte,

Der Abend fing ſchon an hereinzubrechen
und die Atmoſphäre hatte jenen warmen, been-
genden Duft, der in unſerm Klima den erſten
Tagen des beginnenden Frühlings häufig eigen
iſt und der Seele eine weiche melancholiſche
Stimmung gibt. Jenny, der man früher nie-
mals erlaubt, ohne Begleitung eines Dieners
die Straße zu betreten, wollte ſich, um Rein-
hard zu gefallen, gern von Allem entwöhnen,
was der Luxus den Reichen zum Bedürfniß
macht und hatte zu Hauſe erklärt, ſie werde
allein von dem Hauſe des Paſtors zu ihrer
künftigen Schwiegermutter gehen. Es war das
erſte Mal, daß ſie den Verſuch machen wollte,
und als ſie nun bei einbrechender Dunkelheit —
denn der Unterricht hatte länger als gewöhnlich
gedauert — allein durch die Straßen ging,
überkam ſie ein Gefühl von Elend, wie ſie es
nie zuvor empfunden hatte. Sie ſchämte ſich,
weil irgend ein Bekannter ſie ſehen könnte,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0326" n="318"/>
        <p>Der Abend fing &#x017F;chon an hereinzubrechen<lb/>
und die Atmo&#x017F;phäre hatte jenen warmen, been-<lb/>
genden Duft, der in un&#x017F;erm Klima den er&#x017F;ten<lb/>
Tagen des beginnenden Frühlings häufig eigen<lb/>
i&#x017F;t und der Seele eine weiche melancholi&#x017F;che<lb/>
Stimmung gibt. Jenny, der man früher nie-<lb/>
mals erlaubt, ohne Begleitung eines Dieners<lb/>
die Straße zu betreten, wollte &#x017F;ich, um Rein-<lb/>
hard zu gefallen, gern von Allem entwöhnen,<lb/>
was der Luxus den Reichen zum Bedürfniß<lb/>
macht und hatte zu Hau&#x017F;e erklärt, &#x017F;ie werde<lb/>
allein von dem Hau&#x017F;e des Pa&#x017F;tors zu ihrer<lb/>
künftigen Schwiegermutter gehen. Es war das<lb/>
er&#x017F;te Mal, daß &#x017F;ie den Ver&#x017F;uch machen wollte,<lb/>
und als &#x017F;ie nun bei einbrechender Dunkelheit &#x2014;<lb/>
denn der Unterricht hatte länger als gewöhnlich<lb/>
gedauert &#x2014; <hi rendition="#g">allein durch die Straßen ging</hi>,<lb/>
überkam &#x017F;ie ein Gefühl von Elend, wie &#x017F;ie es<lb/>
nie zuvor empfunden hatte. Sie &#x017F;chämte &#x017F;ich,<lb/>
weil irgend ein Bekannter &#x017F;ie &#x017F;ehen könnte,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[318/0326] Der Abend fing ſchon an hereinzubrechen und die Atmoſphäre hatte jenen warmen, been- genden Duft, der in unſerm Klima den erſten Tagen des beginnenden Frühlings häufig eigen iſt und der Seele eine weiche melancholiſche Stimmung gibt. Jenny, der man früher nie- mals erlaubt, ohne Begleitung eines Dieners die Straße zu betreten, wollte ſich, um Rein- hard zu gefallen, gern von Allem entwöhnen, was der Luxus den Reichen zum Bedürfniß macht und hatte zu Hauſe erklärt, ſie werde allein von dem Hauſe des Paſtors zu ihrer künftigen Schwiegermutter gehen. Es war das erſte Mal, daß ſie den Verſuch machen wollte, und als ſie nun bei einbrechender Dunkelheit — denn der Unterricht hatte länger als gewöhnlich gedauert — allein durch die Straßen ging, überkam ſie ein Gefühl von Elend, wie ſie es nie zuvor empfunden hatte. Sie ſchämte ſich, weil irgend ein Bekannter ſie ſehen könnte,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/326
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/326>, abgerufen am 22.11.2024.