Pflanzen aus den verschiedensten Welttheilen, die alle nur ein factices, krüppelhaftes Dasein führen, oft wie eine Verirrung des Geschmackes; und wenn es nicht wissenschaftlichen Zwecken gälte, möchte ich lieber auf alle exotischen Ge- wächse verzichten, als sie so kümmerlich gedeihen sehen. Ich sehe ihnen immer an, was sie sein könnten, wenn sie in ihrer Heimat und frei wären, und die armen, kranken Verbannten thun mir leid."
Clara hörte ihm überrascht zu und blickte mit stillem Entzücken auf ihr schönes Bouquet. "Ich habe die südlichen, schönen Gewächse den- noch lieb", sagte sie, "und vielleicht ist es Mit- leid mit den Gefangenen, das mich so unwider- stehlich zu ihnen zieht", fügte sie lächelnd hinzu.
"Wenigstens wäre das echt weiblich", schal- tete William ein, als sie das Hornsche Haus erreicht hatten und gemeinschaftlich das Zimmer der Commerzienräthin betraten. Hier konnte
Pflanzen aus den verſchiedenſten Welttheilen, die alle nur ein factices, krüppelhaftes Daſein führen, oft wie eine Verirrung des Geſchmackes; und wenn es nicht wiſſenſchaftlichen Zwecken gälte, möchte ich lieber auf alle exotiſchen Ge- wächſe verzichten, als ſie ſo kümmerlich gedeihen ſehen. Ich ſehe ihnen immer an, was ſie ſein könnten, wenn ſie in ihrer Heimat und frei wären, und die armen, kranken Verbannten thun mir leid.“
Clara hörte ihm überraſcht zu und blickte mit ſtillem Entzücken auf ihr ſchönes Bouquet. „Ich habe die ſüdlichen, ſchönen Gewächſe den- noch lieb“, ſagte ſie, „und vielleicht iſt es Mit- leid mit den Gefangenen, das mich ſo unwider- ſtehlich zu ihnen zieht“, fügte ſie lächelnd hinzu.
„Wenigſtens wäre das echt weiblich“, ſchal- tete William ein, als ſie das Hornſche Haus erreicht hatten und gemeinſchaftlich das Zimmer der Commerzienräthin betraten. Hier konnte
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Pflanzen aus den verſchiedenſten Welttheilen,
die alle nur ein factices, krüppelhaftes Daſein
führen, oft wie eine Verirrung des Geſchmackes;
und wenn es nicht wiſſenſchaftlichen Zwecken
gälte, möchte ich lieber auf alle exotiſchen Ge-
wächſe verzichten, als ſie ſo kümmerlich gedeihen
ſehen. Ich ſehe ihnen immer an, was ſie ſein
könnten, wenn ſie in ihrer Heimat und frei
wären, und die armen, kranken Verbannten thun
mir leid.“
Clara hörte ihm überraſcht zu und blickte
mit ſtillem Entzücken auf ihr ſchönes Bouquet.
„Ich habe die ſüdlichen, ſchönen Gewächſe den-
noch lieb“, ſagte ſie, „und vielleicht iſt es Mit-
leid mit den Gefangenen, das mich ſo unwider-
ſtehlich zu ihnen zieht“, fügte ſie lächelnd hinzu.
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/216>, abgerufen am 22.11.2024.
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