sagte; ich bin krank, und übertreibe dabei mein Empfinden, das wissen Sie. Und denken Sie nicht ungleich von mir, weil ich den Meinen im Unmuth so übel mitgespielt habe. Gewiß, Herr Doctor!" sagte sie, indem sie zu lächeln versuchte, "ich bin nicht so schlecht, als ich Ih- nen heute erscheinen mußte, und ich möchte nicht gern, daß Sie mich dafür halten."
"Liebes, gutes Fräulein, wie mögen Sie glauben, daß ich an Ihnen irre werden könnte?" rief Meier aus. "Genügt es nicht, daß ich Sie kenne, daß ich mich seit Wochen an Ihrer Geduld, Ihrer Resignation erbauen darf, um ein unwandelbar schönes Bild Ihres Wesens in mir festzustellen? Glauben Sie mir, dem Arzte offenbart sich die Göttlichkeit des Men- schen ebenso oft, als er von der erbärmlichen Menschlichkeit unangenehm überrascht wird. Ih- nen danke ich das Erste, und wenn ich als ein kalter Zweifler zu Ihnen gekommen wäre, ich
ſagte; ich bin krank, und übertreibe dabei mein Empfinden, das wiſſen Sie. Und denken Sie nicht ungleich von mir, weil ich den Meinen im Unmuth ſo übel mitgeſpielt habe. Gewiß, Herr Doctor!“ ſagte ſie, indem ſie zu lächeln verſuchte, „ich bin nicht ſo ſchlecht, als ich Ih- nen heute erſcheinen mußte, und ich möchte nicht gern, daß Sie mich dafür halten.“
„Liebes, gutes Fräulein, wie mögen Sie glauben, daß ich an Ihnen irre werden könnte?“ rief Meier aus. „Genügt es nicht, daß ich Sie kenne, daß ich mich ſeit Wochen an Ihrer Geduld, Ihrer Reſignation erbauen darf, um ein unwandelbar ſchönes Bild Ihres Weſens in mir feſtzuſtellen? Glauben Sie mir, dem Arzte offenbart ſich die Göttlichkeit des Men- ſchen ebenſo oft, als er von der erbärmlichen Menſchlichkeit unangenehm überraſcht wird. Ih- nen danke ich das Erſte, und wenn ich als ein kalter Zweifler zu Ihnen gekommen wäre, ich
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ſagte; ich bin krank, und übertreibe dabei mein
Empfinden, das wiſſen Sie. Und denken Sie
nicht ungleich von mir, weil ich den Meinen
im Unmuth ſo übel mitgeſpielt habe. Gewiß,
Herr Doctor!“ ſagte ſie, indem ſie zu lächeln
verſuchte, „ich bin nicht ſo ſchlecht, als ich Ih-
nen heute erſcheinen mußte, und ich möchte
nicht gern, daß Sie mich dafür halten.“
„Liebes, gutes Fräulein, wie mögen Sie
glauben, daß ich an Ihnen irre werden könnte?“
rief Meier aus. „Genügt es nicht, daß ich
Sie kenne, daß ich mich ſeit Wochen an Ihrer
Geduld, Ihrer Reſignation erbauen darf, um
ein unwandelbar ſchönes Bild Ihres Weſens in
mir feſtzuſtellen? Glauben Sie mir, dem
Arzte offenbart ſich die Göttlichkeit des Men-
ſchen ebenſo oft, als er von der erbärmlichen
Menſchlichkeit unangenehm überraſcht wird. Ih-
nen danke ich das Erſte, und wenn ich als ein
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/139>, abgerufen am 22.11.2024.
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