Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

samste zerrissen wird; wollte Gott nur, ich
wäre durch den Tod bald dieser Qualen über-
hoben!"

"Und denken Sie nicht an Ihre Eltern,
liebes Fräulein? Wissen Sie nicht, daß auch
für das Leiden der Seele oft wunderkräftiger
Balsam in der Zukunft liegt?" fragte Meier.
"Gerade ein so reines Gemüth, wie das Ihre,
muß im Leben tausend Freuden finden, weil es
geschaffen ist, Freude zu bereiten durch sein
bloßes Dasein."

"Ich habe Niemandem Freude gemacht, ich
habe immer allein gestanden unter den Meinen,
von Kindheit an; und ohne meines Vaters
Liebe wüßte ich kaum, daß ich eine Heimat
habe. Meinen Tod würde man bald vergessen,
und er würde vielleicht ein Glück, ein Ver-
söhnungsmittel werden. Sie sagen, ich hätte
ein weiches Gemüth; beklagen Sie dann mein
Schicksal, das mich in die kälteste Atmosphäre

ſamſte zerriſſen wird; wollte Gott nur, ich
wäre durch den Tod bald dieſer Qualen über-
hoben!“

„Und denken Sie nicht an Ihre Eltern,
liebes Fräulein? Wiſſen Sie nicht, daß auch
für das Leiden der Seele oft wunderkräftiger
Balſam in der Zukunft liegt?“ fragte Meier.
„Gerade ein ſo reines Gemüth, wie das Ihre,
muß im Leben tauſend Freuden finden, weil es
geſchaffen iſt, Freude zu bereiten durch ſein
bloßes Daſein.“

„Ich habe Niemandem Freude gemacht, ich
habe immer allein geſtanden unter den Meinen,
von Kindheit an; und ohne meines Vaters
Liebe wüßte ich kaum, daß ich eine Heimat
habe. Meinen Tod würde man bald vergeſſen,
und er würde vielleicht ein Glück, ein Ver-
ſöhnungsmittel werden. Sie ſagen, ich hätte
ein weiches Gemüth; beklagen Sie dann mein
Schickſal, das mich in die kälteſte Atmoſphäre

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0136" n="124"/>
&#x017F;am&#x017F;te zerri&#x017F;&#x017F;en wird; wollte Gott nur, ich<lb/>
wäre durch den Tod bald die&#x017F;er Qualen über-<lb/>
hoben!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und denken Sie nicht an Ihre Eltern,<lb/>
liebes Fräulein? Wi&#x017F;&#x017F;en Sie nicht, daß auch<lb/>
für das Leiden der Seele oft wunderkräftiger<lb/>
Bal&#x017F;am in der Zukunft liegt?&#x201C; fragte Meier.<lb/>
&#x201E;Gerade ein &#x017F;o reines Gemüth, wie das Ihre,<lb/>
muß im Leben tau&#x017F;end Freuden finden, weil es<lb/>
ge&#x017F;chaffen i&#x017F;t, Freude zu bereiten durch &#x017F;ein<lb/>
bloßes Da&#x017F;ein.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich habe Niemandem Freude gemacht, ich<lb/>
habe immer allein ge&#x017F;tanden unter den Meinen,<lb/>
von Kindheit an; und ohne meines Vaters<lb/>
Liebe wüßte ich kaum, daß ich eine Heimat<lb/>
habe. Meinen Tod würde man bald verge&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
und er würde vielleicht ein Glück, ein Ver-<lb/>
&#x017F;öhnungsmittel werden. Sie &#x017F;agen, ich hätte<lb/>
ein weiches Gemüth; beklagen Sie dann mein<lb/>
Schick&#x017F;al, das mich in die kälte&#x017F;te Atmo&#x017F;phäre<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0136] ſamſte zerriſſen wird; wollte Gott nur, ich wäre durch den Tod bald dieſer Qualen über- hoben!“ „Und denken Sie nicht an Ihre Eltern, liebes Fräulein? Wiſſen Sie nicht, daß auch für das Leiden der Seele oft wunderkräftiger Balſam in der Zukunft liegt?“ fragte Meier. „Gerade ein ſo reines Gemüth, wie das Ihre, muß im Leben tauſend Freuden finden, weil es geſchaffen iſt, Freude zu bereiten durch ſein bloßes Daſein.“ „Ich habe Niemandem Freude gemacht, ich habe immer allein geſtanden unter den Meinen, von Kindheit an; und ohne meines Vaters Liebe wüßte ich kaum, daß ich eine Heimat habe. Meinen Tod würde man bald vergeſſen, und er würde vielleicht ein Glück, ein Ver- ſöhnungsmittel werden. Sie ſagen, ich hätte ein weiches Gemüth; beklagen Sie dann mein Schickſal, das mich in die kälteſte Atmoſphäre

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/136
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/136>, abgerufen am 22.11.2024.